Barcelona. Am Sonntag stimmen die Katalanen über die Unabhängigkeit ab. Madrid schickt Polizisten. Doch das schüchtert in Barcelona keinen ein.

Der Hafen Barcelonas gleicht einem Feldlager. Mehr als 100 Mannschaftswagen der spanischen Nationalpolizei und der paramilitärischen Guardia Civil parken vor mehreren Kreuzfahrtschiffen, die an der Mole liegen. Die Ozeanriesen, die normalerweise Urlauber übers Mittelmeer schippern, dienen derzeit als schwimmende Kasernen. Hier schlafen viele der rund 10.000

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, die von der spanischen Regierung zur Verstärkung in die rebellische spanische Region Katalonien geschickt wurden. Das Polizistenheer soll dafür sorgen, dass ein einseitiges

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nicht stattfinden kann.

Wenn die Beamten am Wahlsonntag ausschwärmen, um Wahllokale zu schließen, dürften sie auf heftige Proteste stoßen: Zehntausende freiwillige Wahlhelfer der separatistischen Bürgerplattform Assemblea Nacional Catalana (ANC), der Katalanischen Nationalversammlung, wollen sich den Mitarbeitern der Zentralregierung in Madrid entgegenstellen und die Wahlurnen verteidigen: „Mit friedlichem Widerstand, null Gewalt und maximaler Kühnheit“, wie es in einem ANC-Aufruf heißt.

Die Gegner der Abspaltung haben Angst vor Repressalien

An Tausenden Balkonen und Fenstern in der Regionalhauptstadt Barcelona hängen die rot-gelben katalanischen Flaggen, meist auch noch mit dem markanten Stern der

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verziert. Daneben wehen Tücher, auf denen in einem großen weißen Kreis das schwarz gedruckte Wort „Sí“ prangt. Der Fußballtrainer Pep Guardiola ist einer der prominentesten Verfechter für die Unabhängigkeit.

Die Gegner der Abspaltung sind derweil kaum sichtbar: Aus Angst vor Repressalien trauen sich nur wenige, eine spanische Fahne aus dem Fenster zu hängen. Obwohl die Bevölkerung in der Frage der Unabhängigkeit gespalten ist. Die polizeiliche Aufrüstung und die steigenden Spannungen auf den Straßen lassen die Sorge wachsen, dass es am Sonntag Krawalle geben könnte. Es wird befürchtet, dass militante Gruppen aus ganz Spanien und dem Ausland nach Barcelona kommen könnten.

Rajoy will mit der Härte des Gesetzes reagieren

Das Auswärtige Amt in Berlin mahnt Reisende zur Vorsicht: „Eine Eskalation kann nicht ausgeschlossen werden“, hieß es auf der Webseite des Ministeriums. Touristen werde empfohlen, die lokalen Medien zu verfolgen, „größere Menschenansammlungen in dieser Zeit zu meiden und den Anweisungen von Sicherheitskräften unbedingt Folge zu leisten“.

Die

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. Eine Abspaltung vom Königreich Spanien ist in der „Constitución“, dem spanischen Grundgesetz, nicht vorgesehen. Spaniens konservativer Regierungschef Mariano Rajoy kündigte an, mit der Härte des Gesetzes zu reagieren.

Proteste von Unabhängigkeitsanhängern in Katalonien dauern an

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    Doch die Vorbereitungen laufen auch kurz vor dem Abstimmungstag weiter: Mitten im Stadtzentrum Barcelonas, der Regionalhauptstadt Kataloniens, verteilen seit Tagen junge Unabhängigkeitsaktivisten weiße Wahlzettel, auf denen in Katalanisch und Spanisch die Abstimmungsfrage steht: „Wollen Sie, dass Katalonien ein unabhängiger Staat in Form einer Republik wird?“ Darunter zwei Kästchen, die angekreuzt werden können. Sí oder No.

    Die Stimmzettel darf es offiziell nicht geben

    „Ich werde mit Ja stimmen, weil es hier um die Zukunft unserer Kinder geht“, sagt ein älterer grauhaariger Herr mit Jackett. Spanien habe Katalonien, das schon länger um mehr Autonomie bittet, nur mit Absagen und Verboten geantwortet. „Jetzt reicht es. Wir glauben, dass es uns mit einem eigenen Staat besser gehen wird.“ Der Rentner, der gleich vier Wahlzettel für die Familie mitnimmt, passt überhaupt nicht in das Bild eines Radikalen, so wie es der spanische Ministerpräsident Rajoy von den Separatisten zeichnet: „Katalonien“, behauptet Rajoy, „ist in der Hand von Ex­tremisten.“

    Separatistische Bewegungen in Europa

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      Der Wille, am Sonntag abzustimmen, ist in der Bevölkerung weit verbreitet: In einer Schlange warten die Menschen brav, um jenen Stimmzettel zu bekommen, den es offiziell nicht geben darf. Woher die Papiere stammen? Einer der Aktivisten, auf dessen T-Shirt in großen Lettern das Wort „Independència“ (Unabhängigkeit) steht, grinst nur und zuckt mit den Schultern. Auch im Internet kursieren diese Stimmdokumente – zum Ausdrucken am Heimcomputer.

      Etliche Druckereien wurden in Katalonien durchsucht

      Die Abstimmungsbefürworter haben auf dem Gelände der Universität Barcelonas, nicht weit vom bekannten Treffpunkt Plaça de Catalunya und der Flaniermeile Las Ramblas entfernt, einen Infostand aufgebaut. Plakate mit der Aufschrift „Sí a la república“ (Ja zur Republik) dekorieren ihren Tisch. Obwohl die Polizei jegliche Wahlkampagne unterbinden soll, tauchten die Sicherheitskräfte hier nicht auf. Andernorts ist die Polizei aktiver. Etliche Druckereien wurden in Katalonien durchsucht; mehr als 100 Internetseiten, die für das Referendum warben, wurden blockiert.

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      . Gerade erst wurden im Hinterland Barcelonas, in der Kleinstadt Igualada, in einer Lagerhalle 2,5 Millionen Wahlzettel und 100 Stimmurnen konfisziert. Im Dorf Bigues i Riells kassierten die Beamten in einem Versteck gleich 9,8 Millionen Stimmzettel ein. Doch jede Beschlagnahmeaktion wird von heftigen Protesten begleitet. „Votarem“ (Wir werden abstimmen) rufen die Menschen mit geballten Fäusten.

      Tausende Wahllokale sind in der Region geplant

      In Igualada flog wenig später ein Molotow-Cocktail gegen die Kaserne der am Einsatz beteiligten Guardia Civil, die in Katalonien besonders unbeliebt ist. „Haut ab, Besatzungskräfte“, schallt es den Guardia-Civil-Beamten entgegen, die mancherorts von der katalanischen Regionalpolizei, den Mossos d’Esquadra, vor dem wütenden Volk geschützt werden müssen.

      Ein Vorgeschmack auf das, was an diesem Sonntag blüht. Tausende Wahllokale will Kataloniens Regierungschef Puigdemont in seiner abtrünnigen Region öffnen. Vor allem in Schulen und Gesundheitszentren, die der katalanischen Verwaltung unterstehen.

      400 Pfarrer appellieren an die spanische Regierung

      Noch aus einem anderen Grund werden nicht überall die Wahllokale öffnen: Nur etwa 700 der insgesamt 947 katalanischen Gemeinden werden von Sympathisanten der in der Region regierenden Unabhängigkeitsfront Junts pel Sí (Gemeinsam für das Ja) regiert. In den anderen haben zum Beispiel die Sozialisten die Macht, welche das einseitige Referendum nicht unterstützen und keine Wahllokale bereitstellen wollen. Die spanientreuen Bürgermeister sehen sich Anfeindungen ausgesetzt und werden auf Plakaten und Kundgebungen vor ihren Rathäusern als „Feinde des Volkes“ gebrandmarkt.

      Studenten in Barcelona fordern Unabhängigkeitsreferendum

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        Rund 400 katholische Pfarrer der Region unterstützten in einem offenen Brief das Unabhängigkeitsreferendum und baten die spanische Regierung, „dass das legitime Streben des katalanischen Volkes“ erhört werde. In Barcelonas katholischer Kirche Iglesia de Nuestra Señora de Pompeya, nicht weit von der weltberühmten Gaudí-Basilika Sa­grada Família entfernt, gingen die Gläubigen nach einem Bittgebet für die umstrittene Abstimmung noch weiter. Sie baten die Heilige Jungfrau um himmlischen Beistand und überbrachten ihr zwei Gaben, die auf den Stufen vor dem Altar ausgebreitet wurden: eine katalanische Unabhängigkeitsfahne und einen Stimmzettel.