Berlin . CSU-Chef Horst Seehofer pocht auf die Begrenzung der Zuwanderung auf 200.000 Flüchtlinge pro Jahr. Wie könnte eine Lösung aussehen?

Sie gilt als der Knackpunkt für Koalitionsverhandlungen: die Obergrenze. Die CSU will die Aufnahme von Flüchtlingen auf 200.000 im Jahr begrenzen – die anderen Parteien sind dagegen. Wieso ist die Obergrenze für die CSU so wichtig, wie viel Verhandlungsspielraum hat Parteichef Horst Seehofer und wie realistisch ist ein Kompromiss?

Ein Blick auf die Landkarte des Freistaates erklärt viel. Ihre besten Ergebnisse erzielte die AfD im Alpenvorland. In den Grenzregionen, die 2015 mit der größten Wucht den Zuzug der Flüchtlinge gespürt haben, war die Partei die zweitstärkste Kraft nach der CSU. Es ist die Region, die schon heute mit Grenzkontrollen leben muss. Wenn Seehofer sich die AfD auf Distanz halten will, sollte er auf die Obergrenze pochen.

Sondierungsgespräche im Oktober

In den USA wurde eine Obergrenze 1980 eingeführt. Gerade hat US-Präsident Donald Trump vorgeschlagen, sie 2018 auf 45.000 festzulegen. In Deutschland wäre sie wohl unvereinbar mit dem uneingeschränkten Anspruch auf Asyl.

Solange sich die Union nicht geeinigt hat, stehen die eigentlichen Bündnisgespräche mit Grünen und FDP über eine Jamaika-Koalition hintan. Die ersten Sondierungsgespräche mit der CDU sind für den 8. Oktober geplant. Auf beiden Seiten werden sie von je vier Vertretern geführt, nach derzeitigem Stand wären das neben den Partei- und Fraktionschefs die zwei Generalsekretäre sowie die Innenminister Joachim Herrmann (Bayern) und Thomas de Maizière (Bund). Erfahrungsgemäß wird Kanzleramtschef Peter Altmaier hinzugezogen, zumal er Flüchtlingskoordinator ist.

Was denn nun? So steht Seehofer wirklich zur umstrittenen Obergrenze

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    Hermann als „Mister Sicherheit“

    Generell besteht Einigkeit darüber, dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederholen darf und dass der Flüchtlingszuzug eingedämmt werden soll. Vermutlich wird so eine Formulierung Eingang in den Koalitionsvertrag finden. Auf EU-Ebene wird derweil über Kontingente für Flüchtlinge verhandelt. Solche Kontingente sind im Grunde Obergrenzen für Nationen.

    Die Kanzlerin will von einer starren Zahl nichts wissen, kann Seehofer allerdings andere Zugeständnisse machen, vorneweg der CSU mit dem Innenministerium eine operative Schaltstelle der Flüchtlingspolitik anbieten. Die Position läuft auf Herrmann zu, den sie in der CSU „Mister Sicherheit“ nennen und der in Berlin darauf achten würde, dass die Zahl der Zuwanderer wirklich unter 200.000 bleibt.

    Familiennachzug bis März 2018 ausgesetzt

    Da kann er auf die Hilfe der Kanzlerin zählen. Sie versprach, sich in Europa dafür einzusetzen, dass die Grenzkontrollen nach Österreich beibehalten werden. Das wäre eine Voraussetzung für eine Obergrenze. Die andere wäre eine konsequente Abschiebung. Auch da ist Merkel an der Seite der CSU. Eine weitere Maßnahme zur Begrenzung wäre die Einschränkung des Familiennachzugs. Bis März 2018 ist er für die Flüchtlinge mit geringerem Schutz ausgesetzt. Bisher hielt sich die Kanzlerin bedeckt, aber de Maizière sprach sich unlängst dafür aus, daran festzuhalten.

    Dass über eine Grenze „der Integrationskraft unseres Landes“ geredet werden müsse, sehen die Liberalen ein. Ihre Generalsekretärin Nicola Beer sagte dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ voraus, am Ende werde man festlegen, „wie viel Integration Deutschland insgesamt leisten kann“. Da treffen sich die Interessen von FDP, Union und Grünen. Alle wollen die Migration steuern, die einen sprechen von einem Einwanderungsgesetz, die CSU von einem Fachkräftezuzugsgesetz. Es gibt also Schnittmengen.

    Seehofer will Merkel zum CSU-Parteitag einladen

    FDP und Grüne warten ab, wie sich die Union sortiert. Grünen-Chef Cem Özdemir macht es sich leicht – er verweist auf die Kanzlerin. Der FDP-Spitzenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff glaubt, dass die CSU-Forderung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei, „das Verfassungsgericht würde jede Obergrenze ablehnen“. Das erinnert fatal an die Logik der Maut-Gegner, die vor vier Jahren die CSU mit dem Argument gewähren ließen, die Maut werde sowieso am Einspruch der EU scheitern. Dann fand CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt eine EU-konforme Regelung.

    Wenn die Grenzen kontrolliert und abgelehnte Asylbewerber abgeschoben, gleichzeitig Flüchtlinge aus sicheren Drittstaaten zurückgewiesen werden, wäre faktisch sichergestellt, dass der jährliche Zuzug unter 200.000 bleibt. Trotzdem will sich Seehofer nicht mit dem Verweis auf die Praxis begnügen und nicht auf eine Regelung verzichten. Sein Kalkül ist, dass Merkel mehr als er Neuwahlen scheut und deswegen der Schwesterpartei entgegenkommen wird.

    Vorsorglich will er Merkel zum CSU-Parteitag Mitte November einladen und an eine Tradition anknüpfen, die 2016 unterbrochen wurde. Eine Einladung an Merkel wird in den nächsten Tagen erfolgen. Sollte die CDU-Chefin sie annehmen, muss sie den Delegierten den Stand der Koalitionsbildung erläutern und ihre Position zur Obergrenze verteidigen. Beim letzten Gastauftritt auf einem CSU-Parteitag im November 2015 wurde Merkel auf offener Bühne abgekanzelt. Jetzt heißt es in CSU-Kreisen, wenn sie weiter regieren wolle, müsse sie auf die „Schwester“ zugehen. „Sonst macht sich die CSU vom Acker.“