Berlin. Andrea Nahles ist als SPD-Fraktionschefin eine gute Wahl. Aber sie beschönigt die Krise. Die SPD könnte zur Regionalpartei werden.

Die SPD hat im Umgang mit schweren Wahlniederlagen eine verstörende Routine entwickelt. Die ersten Tage nach dem desaströsen Wahlabend absolvieren die Spitzengenossen jedenfalls mit beachtlicher Haltung und Geschlossenheit. Der gescheiterte Kanzlerkandidat hat schnell begriffen, dass er seine Machtansprüche mindestens begrenzen muss, wenn er überleben will – statt ihn hat die geschrumpfte Bundestagsfraktion Andrea Nahles zur Oppositionsführerin gewählt.

Nahles ist in der Stunde der Not eine gute Wahl. Sie ist zwar nicht das Signal wirklicher Erneuerung, als das sie gepriesen wird: Aber sie verkörpert den Kampfgeist einer leidenschaftlichen Parteisoldatin mit dem Augenmaß einer erfolgreichen Bundesministerin. Durchsetzungsfähig in den eigenen Reihen ist sie auch.

Aber wie kann es sein, dass Nahles drei Tage nach der Wahlkatastrophe schon wieder von „Aufbruchstimmung“ spricht und in Gossensprache die Freude an der Oppositionsrolle beschwört? Und wie ist es möglich, dass der Parteichef bereits vom Wahlsieg 2021 fantasiert – aber bisher nicht ein einziges Mal über Wahlkampf-Fehler gesprochen, geschweige denn die Verantwortung für die Niederlage übernommen hat?

Es darf nicht mehr wie bisher weitergehen

Weite Teile der SPD haben offenbar das Ausmaß der Parteikrise noch nicht realisiert. Und wer es verstanden hat, schweigt aus taktischen Gründen. Das ist gefährlich. Denn nach dieser Wahlniederlage wird es nicht mehr wie bisher irgendwie weitergehen. Die Erosion der einstmals stolzen Volkspartei dauert schon zu lange. Und sie beschleunigt sich: Die Wahlanalysen zeigen, dass selbst die verbliebene Wählerschaft zu guten Teilen nur noch aus alter Verbundenheit, aber ohne innere Überzeugung ihr Kreuz bei der SPD macht.

Zwei Drittel ihrer Wähler wussten nicht, was die Partei mit ihrer zen­tralen Parole von sozialer Gerechtigkeit denn meint. Der Markenkern ist hohl. Schlimmer noch: In weiten Teilen Süd- und Ostdeutschlands hat die SPD ihre Bindekraft als Volkspartei bereits verloren, dort rangiert sie teilweise auf Platz drei oder vier, auf Augenhöhe mal mit der AfD, mal mit der FDP.

Nahles ist neue SPD-Fraktionschefin

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    Die SPD könnte zur Regionalpartei schrumpfen

    Die Sozialdemokraten sind auf dem besten Weg, zu einer west- und norddeutschen Regionalpartei zu schrumpfen – gut verankert in ihrem Stammgebiet, aber ohne Aussicht, bei bundesweiten Wahlen je wieder auf Augenhöhe mit der Union zu kommen. Die Strukturschwäche auszugleichen, wird viele Jahre brauchen, wenn sie überhaupt gelingt.

    Bis dahin hätte die SPD nur eine Chance auf die Kanzlerschaft, wenn sie eine breite Allianz unter Einschluss der im Osten besser verankerten Linkspartei anführen würde; die aber ist nicht in Sicht. Die Erwartung jedoch, mit einem forschen Oppositionsauftritt werde sich die SPD rasch erneuern und brauche dann nur auf die Merkel-Dämmerung zu warten, ist eine womöglich tödliche Illusion.

    Nahles wird sich nur schwierig Gehör verschaffen können

    Hat sich eine Jamaika-Koalition erst mal zusammengerauft, wird Nahles ihre liebe Not haben, sich im Bundestag überhaupt Gehör zu verschaffen – gegen die rhetorisch gut gerüsteten Regierungstruppen hier, die Scharfmacher von rechts und links dort. Die Genossen dürfen sich schon mal auf eine harte Landung einstellen.

    Der Gang in die Opposition ist für die SPD alternativlos, aber sie muss die Rolle auch sinnvoll nutzen: Nicht für Krawall, sondern für die Neuentwicklung einer mehrheitsfähigen sozialdemokratischen Politik. Dafür braucht es Mut, Weitsicht und die Bereitschaft, die Gründe für den Niedergang schonungslos aufzuarbeiten. Viel Zeit bleibt der SPD nicht. Sie sollte daher gut überlegen, ob nicht auch an der SPD-Spitze ein rascher Neuanfang die bessere Lösung wäre.