Berlin. Hunderttausende Nutzer unterzeichnen derzeit im Netz einen offenen Brief an die AfD. Darum könnte die Petition nach hinten losgehen.

  • Im Netz haben Hunderttausende eine Petition gegen die AfD unterzeichnet
  • Der offene Brief positioniert sich klar gegen die Partei
  • Experten warnen aber davor, dass man die verfeindeten Gruppen innerhalb der AfD damit nur stärkt

Das Internet ist ein Ort, an dem man schnell sein Gewissen bereinigen kann. Eben noch bei H&M ein in den Fabriken von Bangladesch hergestelltes Shirt gekauft – dafür aber schnell mal eine Online-Petition gegen menschenunwürdige Bedingungen in Textilfabriken unterzeichnet. Wie viel besser man sich doch gleich fühlt.

Petitionen versprechen dieses Gefühl, die Gesellschaft verändern zu können, obwohl man womöglich Teil des Problems ist. Zugegeben, so lange man nicht mehr als seinen Finger bewegen muss, geht es auch ziemlich leicht, zu glauben, man würde die Welt mit einem Klick ein kleines bisschen besser machen.

Offener Brief wurde Hunderttausende Male unterzeichnet

So könnte das auch bei dem offenen Brief sein, der sich seit dem Abend der Bundestagswahl wie ein Lauffeuer im Netz verbreitet. Er wurde von der Plattform Avaaz veröffentlicht, bereits mehr als 280.000 Mal unterschrieben und mehr als 60.000 Mal geteilt – Tendenz steigend.

Der an die AfD gerichtete Brief ist gerade einmal zwei Absätze lang. Er ist nach Informationen unserer Redaktion die Avaaz-Petition, die sich am schnellsten in Deutschland verbreitet hat.

„Wir sind die 87 Prozent, die euch nicht gewählt haben. Wir sind links der Mitte, rechts der Mitte und genau auf der Mitte“ , heißt es da. „Wir sind die, die unser Land zu dem machen, was es ist.“

AfD-Wähler könnten sich angegriffen fühlen

Und weiter: „Wo ihr Mauern ziehen wollt, bauen wir Brücken. Wo ihr Hass verbreiten wollt, reagieren wir mit Zusammenhalt.“ Der Brief schließt in Anlehnung an die Ansage von AfD-Spitzenpolitiker

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: „Das hier ist unser aller Land und ihr ‘holt es euch nicht zurück’.“

Doch können solche Worte auch etwas verbessern? Andreas Jungherr von der Universität Konstanz bezweifelt das. „Aktionen wie diese können dazu führen, dass sich die unterschiedlichen Wählergruppen der

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gemeinsam angegriffen fühlen und erst dadurch wirklich zu einer Gruppe zusammengeschmiedet werden“, sagt der Politikwissenschaftler unserer Redaktion.

Unzufriedenheit mit großen Parteien

Er sieht Aktionen wie den offenen Brief an die AfD kritisch. Ein Großteil der Leute habe die AfD schließlich gewählt, weil sie mit den großen Parteien unzufrieden seien – und nicht aus rassistischen oder extremistischen Motiven. „Die Symbolik ‘wir gegen die anderen’ macht die AfD-Wähler zu dem Block, der sie jetzt noch nicht sind“, sagt er weiter.

„Organisationen wie Avaaz profitieren von genau der Spaltung: gut und böse, wir und die anderen“, sagt der Wissenschaftler. Der offene Brief bringe ihnen dann mehr Aufmerksamkeit und womöglich auch mehr Spenden, wodurch sie sich finanzieren.

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    Brief richtet sich nicht an AfD-Wähler

    Laut dem Wissenschaftler haben weder die AfD noch Avaaz „Interesse an der pragmatischen Suche nach Kompromissen“ – auch wenn sich beide „ganz klar in ihren gesellschaftlichen Vorstellungen und Zielen unterscheiden.“ Für beide sei die „permanente Opposition zum System Teil des Geschäftsmodells“.

    Der Kampagnenleiter von Avaaz, Christoph Schott, weist den Vorwurf deutlich zurück. Keinesfalls stehe seine Organisation für eine Spaltung. Zwar müsse man aufpassen, dass keine gesellschaftliche Teilung entstehe, sagt er unserer Redaktion. „Der Brief richtet sich aber auch nicht an die Wähler der AfD, sondern an die Partei selbst.“

    Avaaz wolle zudem auch einen Dialog erzeugen und auf die Wähler zugehen und sie fragen, warum sie ihre Stimme der AfD gegeben haben.

    Avaaz will nicht voneinander abgrenzen

    Die Organisation, die zuletzt mit einem Aufruf, die FDP nicht zu wählen, viel Kritik einstecken musste, wolle ein anderes Bild von Deutschland zeichnen, als es die AfD tue. Der Brief sei ein Symbol des Widerstandes. „Es soll zeigen, dass die große Mehrheit für Vielfältigkeit eintritt“, sagte Schott weiter. „Wir wollen keinesfalls voneinander abgrenzen und sagen: ‘Ihr seid die 13 und wir sind die 87’.“

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      Markus Reuter von Netzpolitik.org findet es wichtig und richtig, „dass sich Menschen gegen Rassismus und für ein weltoffenes Land engagieren“. Eine solche Petition dürfe aber nicht nur Gewissensberuhigung und Clicktivism bleiben, sagte er unserer Redaktion. Es seien auch Demonstrationen und anderes Engagement notwendig. „Sie setzen ein deutlicheres Zeichen als ein offener Brief und geben dem Anliegen wirklich ein Gesicht.“

      Demos gegen die AfD geplant

      Kampagnenleiter Schott ist das bewusst. Er sagt, dass der offene Brief an die AfD nur der Anfang sei. Demnächst sei eine Großdemonstration geplant, um zu zeigen, dass die AfD nur von einer Minderheit gewählt worden sei. „Der Widerstand beginnt erst jetzt.“