Berlin. Ein interner Bericht listet schwere Versäumnisse im Fall Anis Amri auf. Beim Einsatz nach dem Anschlag von Berlin lief einiges schief.

Nach dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz am 19. Dezember vergangenen Jahres muss sich die Berliner Polizei erneut schwere Versäumnisse vorwerfen lassen. Laut einem bisher unveröffentlichten polizeiinternen Bericht, aus dem die „Berliner Morgenpost“ und der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) zitieren, hat die Behörde mehr als drei Stunden verstreichen lassen, bis sie die bei Terrorlagen vorgesehenen „Fahndungssofortmaßnahmen“ einleitete.

Demnach suchten die Einsatzkräfte in den ersten Stunden nach dem Anschlag weder gezielt die Umgebung des Breitscheidplatzes ab, noch kontrollierten sie Fluchtwege auf Straßen oder Bahnstrecken. Der Attentäter Anis Amri konnte so ungehindert seine Flucht antreten.

Zwölf Menschen starben bei dem Anschlag

Amri hatte einen Lastwagen entführt und ihn am Abend des 19. Dezember in den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gesteuert. Insgesamt starben zwölf Menschen, fast 70 wurden verletzt.

Die Spezialisten des Berliner Landeskriminalamtes gingen nach der Lkw-Todesfahrt laut Polizeibericht frühzeitig von einem Terroranschlag aus. Der Polizeiführer klassifizierte die Lage aber als „Verdacht Amoklage“ und verzichtete auf die als „Maßnahme 300“ bezeichnete sofortige Fahndung. Grund war laut Bericht unter anderem, dass die Polizei bereits eine halbe Stunde nach dem Anschlag einen Tatverdächtigen festgenommen hatte.

Den Falschen festgenommen

Weitere Maßnahmen hielt die Polizeiführung daher offenbar nicht für nötig. Später stellte sich allerdings heraus, dass der Festgenommene mit dem Anschlag nichts zu tun hatte, und der wahre Täter, der Tunesier Anis Amri, flüchtig und bewaffnet war.

Die „Maßnahme 300“ wurde in Berlin erst am 19. Dezember um 23.08 Uhr ausgelöst, also mehr als drei Stunden nach dem Anschlag. In Brandenburg, Thüringen und Bayern, sowie von der Bundespolizei, wurden umfassende Fahndungsmaßnahmen laut Berliner Polizeibericht dagegen bereits deutlich früher eingeleitet.

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    „Eine ungeübte Führungstruppe“

    Der 120 Seiten starke Bericht der polizeiinternen sogenannten „Nachbereitungskommission“ liegt nach Informationen der „Berliner Morgenpost“ und des RBB bereits seit Monaten vor, die Ergebnisse wurden aber bisher nicht veröffentlicht.

    Die Verfasser nennen darin weitere schwerwiegende Versäumnisse. In den ersten drei Stunden nach dem Anschlag sei der Einsatz durch eine „ungeübte Führungsgruppe“ geleitet worden, deren Personalzusammensetzung „zufällig ausgewählt“ gewesen sei. Die Einsatzkräfte am Anschlagsort hätten „keine Aufträge“ erhalten „und handelten in weiten Teilen intuitiv“, heißt es.

    FDP sieht „heilloses Durcheinander“

    Der innenpolitische Sprecher der FDP, Marcel Luthe, forderte angesichts eines „heillosen Durcheinander“ indirekt den Rücktritt des Berliner Polizeipräsidenten Klaus Kandt. „Wenn die Aussagen des Berichts zutreffen, ist die Führung der Berliner Polizei meines Erachtens nach nicht zu halten“, sagte Luthe.

    Diese Berlinerin war Zeuge des Anschlags

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      „Es muss geklärt werden, wer das zu verantworten hat, dass man Amri hier sehenden Auges hat laufen lassen und damit die Gefährdung der Berliner und Berlinerinnen riskiert hat“, sagte die rechtspolitische Sprecherin der in Berlin mitregierenden Grünen, Canan Bayram. Der Innenexperte des Koalitionspartners Linke, Hakan Tas, forderte, Polizeipräsident Kandt müsse sich im Amri-Untersuchungsausschuss erklären.

      Dieser Text erschien zuerst auf morgenpost.de