London. Wieder ein Anschlag, wieder London: Doch die Einwohner der Metropole sind entschlossen, sich vom Terror nicht einschüchtern zu lassen.
Es passiert auf dem Höhepunkt der Stoßzeit im Südwesten Londons. Kurz nach acht am Freitagmorgen fährt ein U-Bahnzug der „District“-Linie im Bahnhof Parsons Green ein. Der Zug ist vollgepackt, die Fahrgäste können sich kaum rühren. Plötzlich, so der Pendler Sylvain Pennec, „gab es einen lauten Knall und ich sah überall Flammen“.
Die Explosion selbst verletzt unmittelbar niemanden, aber sie schickt eine Flammenwand durch den Waggon. Passagier Peter Crowley steht in der Nähe der anscheinend selbstgebauten Bombe. „Ich hörte einen lauten Donnerschlag“, berichtet er, „er kam von den gegenüberliegenden Türen. Dann rauschte dieser Feuerball über meinen Kopf.“
Crowley kommt mit versengten Schläfen und verbrannten Haaren davon. Andere Passagiere erleiden schlimmere Verbrennungen, die meisten im Gesicht. Aber zum Glück gibt es keinen Toten.
Explosion in Londoner U-Bahn
Der fünfte große Anschlag in diesem Jahr
Schon wieder ein Terrorakt in Großbritannien. Es ist der fünfte Anschlag in diesem Jahr, bei denen es bisher 36 Tote zu beklagen gibt. Und eine Bombe in der Londoner U-Bahn weckt besonders schlimme Assoziationen. Vor zwölf Jahren, im Juli 2005, ermordeten vier Rucksackbomber 52 Menschen.
Damals fand das Grauen unterirdisch statt. Zum Glück liegt die jetzt betroffene Station Parsons Green ebenerdig. Das machte die Evakuierung des U-Bahnzugs leichter. Doch kam es bei den Passagieren zu einer Massenpanik. Sie strömten aus dem Zug und hetzten auf die Treppen zu. Manche fielen hin, wurden überrannt.
Handy-Fotos der Brandbombe im Internet
Der Notruf bei der Polizei ging um 8.20 Uhr Ortszeit ein. Binnen weniger Minuten waren die ersten Einsatzkräfte am Ort. London hat gelernt, schnell zu reagieren. Bald wimmelte es um die Station Parsons Green von Feuerwehrleuten, Ambulanzen, bewaffneten Spezialkräften und Anti-Terror-Einheiten. Über den Köpfen der Menschen knatterten Hubschrauber, die das Geschehen für die Nachrichtensender filmten.
Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte schnell ein großer weißer Eimer in einer XL-Supermarkttüte, der im Innern des Waggons nahe den U-Bahntüren platziert war. Passagiere schossen Handy-Fotos des noch brennenden Eimers, aus dem Drähte zu ragen schienen, und stellten die Bilder ins Internet.
Verdacht auf islamistische Tat
Der ehemals für die Terrorabwehr verantwortliche Generalmajor Chip Chapman hält den Sprengkörper für eine selbst gebaute Dampfdrucktopf-Bombe, die anscheinend nicht vollständig explodierte, und er vermutet „einen islamistisch-dschihadistischen Hintergrund“. Der bei Scotland Yard für die Terrorabwehr zuständige Mark Rowley bestätigte, dass es sich bei der Bombe um „eine improvisierte Sprengvorrichtung“ handelt. Sie soll, meldet der Nachrichtensender Sky News, mit einem Zeitzünder versehen worden sein.
All das deutet darauf hin, dass es sich nicht um ein versuchtes Selbstmordattentat handelt. Stattdessen dürfte der Täter, bevor der Zug in Parsons Green einfuhr, das Paket im U-Bahnwaggon hinterlassen haben. Der Zug kam aus Wimbledon im Süden der Hauptstadt. Die Polizei konzentrierte sich zunächst auf die Bilder der Überwachungskameras in den fünf U-Bahnhöfen, die vor Parsons Green liegen.
Auch die unvollständig explodierte Bombe dürfte den Fahndern eine Fülle an Informationen liefern. Hinweise auf die Machart der Bombe, womöglich DNA-Spuren. Nach den Verantwortlichen und Hintermännern des Anschlags läuft nun eine Menschenjagd, an der Hunderte von Polizisten und anderen Sicherheitskräften diverser Dienste beteiligt sind. Am Freitagabend reklamierte die Extremistenmiliz Islamischer Staat den Anschlag für sich.
„Der Terrorismus wird uns nicht besiegen“
In diesem Jahr kam es zu einem starken Anstieg bei der Verhaftung von Terrorverdächtigen – es gab zwei Drittel mehr Festnahmen als im Vorjahr. „Seit den Attacken von London und Manchester hat es eine deutliche Verstärkung gegeben“, meint Neil Basu, der für die nationale Koordinierung der Terrorabwehr zuständig ist. „Das bedeutet einfach, dass es da draußen mehr Leute gibt, die bereit sind anzugreifen.“
Rund 3000 sogenannte „subjects of interest“, also Terrorverdächtige, kennen die Sicherheitskräfte in Großbritannien, weitere 20.000 Personen gelten als mögliche Sympathisanten. Und zur Zeit werden rund 500 geplante Terroranschläge untersucht.
Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan war einer der ersten Politiker, die auf den Anschlag reagierten. „London hat wieder und wieder bewiesen“, sagte er, „dass wir niemals von Terrorismus eingeschüchtert oder besiegt werden.“ Außenminister Boris Johnson forderte seine Landsleute auf, „die Ruhe zu bewahren und ganz normal weiterzumachen“.
Londoner bieten per Twitter Hilfe an
Premierministerin Theresa May eilte aus ihrem Wahlkreis Maidenhead zurück nach London, wo sie am Freitagnachmittag eine Sitzung des Krisenstabes Cobra leitete. Ihre Gedanken, ließ die Premierministerin verlauten, seien „mit denen, die in Parsons Green verletzt wurden, und den Notfalldiensten, die auf diesen terroristischen Zwischenfall heldenhaft antworten.“
Die Londoner reagierten auf den Anschlag mit einer Mischung aus Stoizismus und Hilfsbereitschaft auf den neuerlichen Terrorakt. „Wenn irgendjemand geschockt und verwirrt wegen Parsons Green ist“, meldete sich eine Katy Dunn auf Twitter, „ich wohne um die Ecke und der Teekessel ist schon an.“
Auch James Edge twitterte, dass „jeder, der jetzt in Parsons Green/Fulham feststeckt“ ihm Bescheid sagen solle, und er würde ihn abholen.