Berlin. Nach Angela Merkel hat sich auch Martin Schulz den Fragen der YouTube-Stars gestellt. Ein Format, das ihm mehr lag als der Kanzlerin.
Drei Wochen vor der Bundestagswahl scheint SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz zum Schlusssprint anzusetzen. Am Sonntag erst das
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Montag dann das Kräftemessen im Bierzelt gegen Karl-Theodor zu Guttenberg und nun auch sein erstes eigenes
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im Livestream.
Außer Puste wirkte Schulz am Dienstagmittag ob dieses Wahlkampf-Pensums aber nicht. Eher so, als hätte er es sich noch ein Weilchen länger in den Ledersesseln des Berliner YouTube-Space gemütlich machen können – schließlich konnte er da so nett aus seinem Leben erzählen.
Der, der aus Erfahrung spricht
Denn eines war besonders auffällig: Ziemlich egal, was Schulz gefragt wurde – ob zur Integration von Migranten, Fachkräftemangel oder Breitbandinternet – immer hatte er mindestens „von einem Bekannten gehört“ oder „einen engen Freund aus der Schulzeit“, dem Ähnliches widerfahren war.
Noch besser war es für Schulz natürlich, wenn er Sachen sagen konnte wie „Ich bin ja selbst im dualen System ausgebildet worden“ oder „Das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, kenne ich gut.“ Schulz, der Versteher. Der Kanzlerkandidat, dem nichts Menschliches fremd ist.
Interviewer gaben Schulz Steilvorlagen
Wie schon
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wurde der SPD-Herausforderer von vier YouTubern interviewt, von denen nur einer sich auch im Netz mit politischen Fragen beschäftigt. Mirko Drotschmann (31) alias MrWissen2Go war auch dieses Mal wieder dabei, ebenso wie die Psychologiestudentin Lisa Sophie (22) alias ItsColeslaw. Neu waren Marcel Althaus (23) alias MarcelScorpion und Nihan Sen (26), die sich auf YouTube Nihan0311 nennt. Vor allem aber über die persönlichen Fragen von Lisa Sophie und Drotschmann dürfte sich Schulz gefreut haben.
Denn als dieser nach der Legalisierung von Cannabis fragte, konnte Schulz seine restriktive Haltung dazu mit seiner überwundenen Alkoholabhängigkeit erklären – ein Teil seiner Biografie, der zwar glanzlos, aber mitunter doch nützlich ist, um sich als ehrlicher Mann des Volkes darzustellen.
Ebenso gut funktioniert die Geschichte mit seinem Schulabbruch, nach dem ihn ItsColeslaw direkt fragte. „Meine Mutter war außer sich, ich selbst war am Boden“, sagte Schulz. Denn eigentlich habe er Fußballprofi werden wollen, die Schule deshalb nicht ernst genommen. „Ich hatte Glück, dass ich die Ausbildung zum Buchhändler bekommen habe und dass man mir dort so viel Verständnis entgegengebracht hat.“
Der Kalenderspruch zum Einrahmen
Im gleichen Atemzug gab Schulz ItsColeslaw dann auch noch eines mit auf den Weg: „Man muss den Mut haben, einen ungewöhnlichen Lebensweg zu gehen, wenn man ihn gehen will.“
Schulz’ Positionen
Inhalte gab es natürlich auch – allerdings nichts, was einen überrascht hätte:
• Drei konkrete Maßnahmen, um Flüchtlinge zu integrieren? Schulz: „Erstens Verfahren beschleunigen, zweitens die, die bleiben, brauchen Arbeit, drittens früher Sprachunterricht.“
• Wie löst man den Konflikt mit Nordkorea? Schulz: „Wir brauchen ein ähnliches Modell wie beim Iran. Wir müssen alle diplomatischen Kanäle nutzen, der Schlüssel dazu liegt in Peking.“
• Wie sollte der Kurs gegenüber dem
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sein? Schulz: „Er ist ein Mann, der Leute akzeptiert, die die gleiche Sprache sprechen wie er.“ Er bleibe deshalb dabei, dass man die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen sollte.
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wurde auch über die Zukunftsthemen Bildung und Digitalisierung gesprochen.
• Wie würde ein ideales Schulsystem aussehen? Schulz: „Alle Schulen wären gleich modern ausgestattet und es wäre vergleichbar.“ Wer umziehe, müsse nicht in ein völlig neues System wechseln. Zudem favorisiere er G9, also die Rückkehr zum Schulabschluss nach neun statt acht Jahren, und würde ein Pflichtfach „Digitale Bildung“ einführen.
• Auf welche Aufgaben würde sich ein von der SPD geplantes Digitalministerium konzentrieren? Schulz: „Ausbau der Infrastruktur, damit das Internet schneller wird. Klar machen, dass digital nicht in irgendeiner Ecke steht, sondern die ganze Welt digital ist. Aufhören, die Debatte über die digitale Zukunft als Gefahrendebatte zu führen.“
So schlugen sich die Interviewer
Sie wirkten ähnlich gut von der ProSiebenSat.1-Tochter Studio71 vorbereitet worden zu sein wie beim Merkel-Interview. Etwas leicht machte es Schulz Neuling MarcelScorpio mit seinen vielen „Werden Sie das ändern?“-Fragen. Besserer LTE-Empfang? – Ja, absolut. Billigere Mobilfunktarife? – Unbedingt. Investitionen in Start-ups? – Sicher. Wie und mit welchem Geld? Offenbar nicht so wichtig.
Was wurde eigentlich aus AlexiBexi und Ischtar Isik?
Die Szenen, die von Merkels YouTube-Interview vor allem in Erinnerungen blieben, hatte man zwei Internetstars zu verdanken, die dieses Mal nicht mehr dabei waren. Die Frage nach dem Lieblings-Emoji der Kanzlerin etwa, mit der sich Alexander Böhm (28) alias AlexiBexi keinen Gefallen getan haben dürfte – zu sehr bediente sie das Vorurteil vom zu seichten Interviewer.
Beauty-Bloggerin Ischtar Isik fiel hingegen positiv durch unerwartet hartnäckiges Nachfragen auf. Als sie Merkel offen gestand, zum ersten Mal in ihrem Leben jemanden interviewt zu haben, entlockte sie der Kanzlerin zudem einen seltenen authentischen Moment. „Ihr allererstes Interview im Leben?“, fragte Merkel damals verdutzt, um dann wohl etwas unüberlegt fortzufahren: „Sonst machen Sie immer nur ... Selbstdarstellung?“
Offiziell hieß es zunächst von ProSiebenSat.1, AlexiBexi und Ischtar Isik seien aus Termingründen nicht mehr dabei. Dann jedoch twitterte AlexiBexi, dass er die Gründe selbst nicht kenne.
ProSiebenSat.1 ließ daraufhin gegenüber „Meedia“ wissen, es habe ein Missverständnis gegeben. Mehrere YouTuber hätten nach dem Merkel-Interview Interesse bekundet, an einem ähnlichen Format mitzuwirken. Diesen habe man nun die Chance geben wollen.
Fazit
Schulz’ Taktik, sich über persönliche Erfahrungen nahbarer zu machen, war zwar leicht zu durchschauen, sie ließ die bei Merkel noch arg steife Interview-Situation aber mehr wie ein natürliches Gespräch wirken. So entstand eine angenehme Atmosphäre, die zwar nicht oberstes Ziel eines (journalistischen) Interviewers sein sollte, Schulz aber sympathisch wirken ließ.
Der SPD-Kandidat nutzte zudem eine sehr verständliche Sprache, Antworten kamen routiniert und ohne Verlegenheitspausen. Fielen doch mal Fachbegriffe, erklärte er sie mühelos in einfachen Worten. Nur als Schulz gegen Ende plötzlich mehrmals vom „Feeling“ sprach, was die ältere und jüngere Generation voneinander bekommen müsse, schoss er etwas übers Ziel hinaus.
Und eine Frage blieb leider ungeklärt: Was ist eigentlich Schulz’ Lieblings-Emoji?