Berlin. Das Regime in Pjöngjang nimmt die Pazifikinsel Guam mit Raketen ins Visier. Das ist eine neue Eskalationsstufe in dem Atomkonflikt.
Weißer, feinkörniger Sandstrand, türkisfarbenes Wasser, eine leichte Brise, die durch die Palmen fächelt, dazu kristallklare Tauchreviere mit Schiffswracks: Guam, eine Insel im Westpazifik, gilt als Paradies für Touristen. Nur Hawaii ist ein noch populäreres Reiseziel im Pazifik.
Damit könnte es bald vorbei sein. Im Streit um das nordkoreanische Atomprogramm hat die Regierung in Pjöngjang mit einem Raketenangriff auf Guam gedroht. Denn die Insel, mit 545 Quadratkilometern halb so groß wie Berlin, gehört zum nichtinkorporierten US-Außengebiet. Donald Trump ist der Präsident der Insulaner, wählen durften sie ihn aber nicht. Bezahlt wird in Dollar, 6000 amerikanische Soldaten sind auf Guam stationiert. Es ist einer der wichtigsten Stützpunkte der USA im Pazifik.
Bis Mitte August soll der nordkoreanische Einsatzplan stehen. Vorgesehen ist, vier Mittelstreckenraketen vom Typ Hwasong-12 auf das rund 3400 Kilometer entfernt gelegene Guam zu schießen, berichteten staatliche Medien am Donnerstag. Der Plan werde Staatschef Kim Jong-un unterbreitet, der dann über das weitere Vorgehen entscheiden werde. Die Raketen würden 30 bis 40 Kilometer vor Guam im Meer niedergehen, zitierte die Nachrichtenagentur KCNA den Chef der strategischen Streitkräfte, General Kim Rak Gyom. Es wäre nicht nur eine Provokation. Es wäre eine weitere Stufe auf der Eskalationstreppe.
Trumps „Feuer und Wut“-Rede war nicht abgesprochen
Auch am Donnerstag feuerte das Regime wieder verbale Geschosse Richtung Washington ab. Trumps jüngste Äußerungen seien „vollkommener Unsinn“, hieß es in einer Stellungnahme der Streitkräfte. „Sachlicher Dialog ist mit so einem Typen bar jeder Vernunft nicht möglich, nur mit absoluter Stärke ist ihm beizukommen.“ Der US-Präsident hatte zuvor seine bislang schärfste Warnung an die Führung in Pjöngjang gerichtet. „Nordkorea sollte den USA besser nicht mehr drohen“, sagte er. „Sie werden mit Feuer und Wut getroffen, wie es die Welt noch nicht gesehen hat.“
Nach einem Bericht der „New York Times“ hatte der Chef des Weißen Hauses seine Äußerung nicht mit seinen Beratern abgesprochen. Verteidigungsminister James Mattis, der nationale Sicherheitsberater Herbert McMaster sowie Stabschef John Kelly gehören zu den kühleren Köpfen im engeren Mitarbeiterkreis des Präsidenten. Trumps Drohung folgte auf die Veröffentlichung eines japanischen Militärberichts sowie einer Studie aus dem amerikanischen Geheimdienst. Demnach hat Nordkorea beim Atomwaffenprogramm erhebliche Fortschritte gemacht und verfügt möglicherweise über Nuklearsprengköpfe. Nach Einschätzung von Fachleuten ist Pjöngjang bereits in der Lage, verkleinerte Sprengköpfe auf Langstreckenraketen anzubringen. Am 28. Juli hatte Nordkorea zum zweiten Mal erfolgreich eine Interkontinentalrakete getestet. Bei einer flacheren Flugkurve hätte sie eine Reichweite von rund 10.000 Kilometern erzielen können – genug, um US-Metropolen wie Los Angeles oder Chicago zu treffen.
Ein Drittel der Fläche von Guam kontrolliert das US-Militär
Auf Guam leben rund 160.000 Menschen. Etwa ein Drittel der Landfläche wird vom US-Militär kontrolliert - Tendenz steigend. Die Amerikaner unterhalten mehrere Militärbasen, darunter einen Stützpunkt der Marine sowie die Andersen Air Force Base der Luftwaffe. Dort befinden sich auch B-52-Langstreckenbomber und B-1B-Kampfjets, die immer wieder über der koreanischen Halbinsel patrouillieren. Die auf Guam stationierten Truppen sollen im Krisenfall den US-Verbündeten Japan, Südkorea, den Philippinen und Taiwan beistehen, aber auch permanent die wichtigen Seehandelsrouten in der Region schützen.
Bereits seit Beginn der Spannungen auf der koreanischen Halbinsel zur Jahrtausendwende baut Amerika seine Militärpräsenz auf Guam aus. Nach US-Medienberichten schickte die amerikanische Luftwaffe damals B-2-Tarnkappenbomber auf die Insel, um für einen Konflikt mit Nordkorea gerüstet zu sein. Die Marine verlegte mehrere atomgetriebene U-Boote nach Guam.
Präsident Obama betonte die Relevanz des asiatisch-pazifischen Raumes
2004 kamen die ersten B-52-Bomber. Zusätzliche Bedeutung erhielt die Insel 2012, als der damalige US-Präsident Barack Obama die gewachsene wirtschaftliche und militärische Bedeutung des asiatisch-pazifischen Raumes betonte. Im gleichen Jahr vereinbarten Washington und Tokio die Verlegung Tausender Marineinfanteristen von der japanischen Insel Okinawa nach Guam. Bis 2020 sollten 60 Prozent der US-Marineflotte im Pazifik stationiert werden, darunter sechs von elf Flugzeugträgern.
Nordkorea: Raketen für den Führer
Doch nicht nur Nordkorea, auch China sieht sich als ein Ziel der Aufrüstung auf Guam und beobachtet die Entwicklung misstrauisch. Westliche Experten gehen davon aus, dass die Volksrepublik Raketen stationiert hat, die die US-Streitkräfte auf oder in der Nähe von Guam treffen könnten. Die chinesische Marine hat ihre Aktivitäten in den Gewässern verstärkt. Nordkorea wiederum drohte bereits 2013 mit der Auslöschung der Basis der B-52-Bomber auf Guam.
THAAD-Abwehrraketen stehen seit 2015 auf Guam
Als Reaktion installierten die Amerikaner zunächst vorübergehend das Raketenabwehrsystem THAAD („Terminal High Altitude Area Defense“). Seit 2015 ist das System ein permanenter Bestandteil des Luftwaffenstützpunkts auf Guam. Auch in Südkorea wurde das System, das aus sechs Raketenwerfern mit je acht lenkbaren Abfangraketen besteht, errichtet. Damit sollen potenzielle nordkoreanische Geschosse vernichtet werden. Die THAAD-Abwehrraketen nutzen in einer Abfanghöhe von höchstens 150 Kilometern die Wucht des Zusammenpralls, um den gegnerischen Flugkörper zu zerstören.
Guam war in der Geschichte schon häufiger Zankapfel zwischen den Mächten gewesen, nicht zuletzt wegen seiner strategischen Position im Pazifik. Bereits im Koreakrieg von 1950 bis 1953 diente die Insel der US-Luftwaffe als Nachschub-Basis. Seit 1898 gehört Guam zu den Vereinigten Staaten. Die Japaner eroberten die Insel 1941 kurz nach dem Angriff auf Pearl Harbor (Hawaii), wo die US-Pazifikflotte vor Anker lag. Bis 1944 blieb sie in der Gewalt der Kaiserlichen Streitkräfte. An diese harte Besatzungszeit kann sich die ältere Bevölkerung noch gut erinnern.
In der Region rief die neueste Eskalation ein gemischtes Echo hervor. Während sich die Regierung in Südkorea gelassen gab, bezeichnete Japan das Vorgehen Nordkoreas als „absolut inakzeptabel“. Australiens Außenministerin Julie Bishop unterstrich, dass sich ihr Land im Fall eines militärischen Konflikts zwischen den USA und Nordkorea nicht zum Eingreifen verpflichtet fühle.
Auf der Insel gibt man sich gelassen
Trotz der akuten Raketen-Drohung aus Pjöngjang sieht man in Guam keinen Grund zur Panik. Derzeit seien weder Guam noch die Inselgruppe der Marianen, zu der Guam gehört, bedroht, sagte der zuständige Gouverneur Eddie Baza Calvo. Zugleich versicherte er, die Insel sei „auf alle Eventualitäten vorbereitet“. Er werde eine Koordinierungsgruppe einberufen, um über die Einsatzbereitschaft von Militär und Rettungskräften zu sprechen, betonte Calvo. Darüber hinaus arbeite er mit dem Heimatschutz, dem Konteradmiral und den USA zusammen, um die Sicherheit der Insel zu gewährleisten.
Der Bedrohungsgrad habe sich durch die Ereignisse in Nordkorea nicht erhöht, erklärte der Gouverneur. Zudem habe ihm das Weiße Haus in Washington zugesichert, dass jeder Angriff oder jede Bedrohung Guams eine Bedrohung oder ein Angriff auf die Vereinigten Staaten sei. „Sie haben gesagt, dass sie Amerika verteidigen werden“, so Calvo. „Guam ist amerikanischer Boden, und es leben 200.000 Amerikaner auf Guam und auf den Marianen. Wir sind nicht nur eine Militäranlage.“