Berlin. Außenminister Sigmar Gabriel spricht im Interview über die Erwartungen an den G20-Gipfel. Für Donald Trump hat er auch eine Botschaft.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat große Erwartungen an den G20-Gipfel: Selten sei dieses Treffen so nötig gewesen wie heute, erklärt er im Interview. Gabriel, der selbst in Hamburg dabei sein wird, hat auch schon eine Botschaft an US-Präsident Donald Trump.

Herr Minister, Hamburg ist im Ausnahmezustand, 20.000 Polizisten sind im Einsatz, 100.000 Demonstranten werden erwartet. Viele fragen sich: Lohnt sich ein solches Gipfeltreffen überhaupt, ist es noch zeitgemäß?

Sigmar Gabriel: Ich finde es seit Jahren entsetzlich, dass solche Treffen nur noch unter riesigem Sicherheitsaufgebot stattfinden können. Aber ohne derartige Treffen würde die Welt ja noch mehr aus den Fugen geraten als ohnehin schon. Es gab selten eine Zeit, in der dieses Treffen so wichtig, so nötig war wie heute. Schauen wir uns mal um in der Welt. Es knallt an allen Ecken, die globale Ordnung droht immer mehr zu verschwinden. Statt der Herrschaft des Rechts kehrt das Recht des Stärkeren zurück. Vielen fällt da nichts Besseres ein, als aufzurüsten und sich abzuschotten. Wer da denkt, wir sollten alle zu Hause bleiben und die Hände in den Schoß legen, hat mit der Welt abgeschlossen. Wenn wir nur noch über Twitter und per Megafon kommunizieren, verändern wir nichts.

Haben Sie Verständnis für die Proteste?

Gabriel: Ich kann verstehen, dass viele Menschen unzufrieden damit sind, wie die Welt momentan funktioniert. Ich bin es nämlich auch. Kriege, Hunger, Ungerechtigkeit – Verzweiflung und auch Wut darüber sind mehr als verständlich. Wir Deutschen und wir Europäer setzen uns in Hamburg deswegen für eine friedlichere und gerechtere Welt ein, in der Wachstum nicht nur bei den Reichen und den Finanzhaien ankommt. Das ist schwierig und sicher nicht schnell erfolgreich. Aber nur dagegen zu protestieren und nicht miteinander zu reden ist eigentlich eine Kapitulation vor den Verhältnissen.

In aller Kürze: Was sind aus deutscher Sicht die wichtigsten Ziele des Gipfels? Was wäre ein Erfolg? Und wann wäre der Gipfel gescheitert?

Sigmar Gabriel fordert Ende der Terrorfinanzierung

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    Gabriel: Der Dialog der G20 ist für unsere Welt und unsere Zukunft überlebenswichtig. Die deutsche G20 Präsidentschaft hat diesen Gipfel über die letzten Monate hinweg intensiv vorbereitet. Neue Initiativen für Afrika, den Klimaschutz trotz des Austritts der USA aus dem Abkommen aufrechtzuerhalten, für mehr Fairness und Gerechtigkeit im Welthandel einzutreten und immer wieder für Waffenstillstände, Verhandlungen und die Beendigung von Kriegen und Bürgerkriegen einzutreten: Das sind unsere Themen. Wie weit wir damit kommen, weiß ich nicht. Aber ich bin Sozialdemokrat und aus unserer 150-jährigen Geschichte habe ich gelernt: Ein besseres Leben kommt nicht von allein. Und jeder noch so kleine Schritt muss getan werden.

    Was ist der besondere Beitrag Deutschlands als Gastgeber bei diesem Gipfel? Hat die Bundesrepublik mit der G20-Präsidentschaft an Führungsstärke hinzugewonnen?

    Gabriel: Es hat vielleicht nie ein G20-Treffen gegeben, das zu einer schwierigeren Zeit stattfand als heute. Deutschland ist da genau der richtige Gastgeber. Wir werden weltweit als ehrlicher Vermittler geschätzt und respektiert. Das merke ich immer wieder auf meinen Reisen – egal ob nach Saudi-Arabien, China oder in die USA. Und wenn Sie bereit sind, in einer Zeit wie dieser die G20-Präsidentschaft zu übernehmen und dabei auch schwierige Themen anzupacken, dann zeigt das ein Stück weit Führungsstärke. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir uns größer machen wollen, als wir sind. Wir kennen unseren Platz und wollen einen konstruktiven Beitrag leisten.

    Auf US-Präsident Trump richten sich viele Blicke. Er hat G20-Absprachen aufgekündigt, auch das Klimaabkommen torpediert. Was erwarten Sie von ihm in Hamburg?

    Gabriel: Mit Sicherheit wird Präsident Trump auch in Hamburg seine „America First“-Außenpolitik im Gepäck haben. Und wir wollen ihm erläutern, dass „America first“ nicht heißt „America only“. Die aktuelle US-Politik glaubt, dass internationale Vereinbarungen letztlich überflüssig sind und durch bilaterale Verabredungen zwischen zwei Ländern ersetzt werden sollten. Dahinter steckt die Idee, dass es immer um Vor- oder Nachteile jedes einzelnen Staates geht und der Stärkere sich eben gegen andere durchsetzen muss. Dem halten wir entgegen, dass verlässliche internationale Regeln für alle mehr bringen als die Summe der Einzelinteressen. Sie sichern Fairness, erzeugen Wettbewerb auf der Grundlage gemeinsamer Regeln und schaffen vor allem gemeinsame Standards auch für Menschen- und Freiheitsrechte. Für uns sind Freiheit und Verantwortung zwei Seiten einer Medaille. Das ist letztlich die Idee des Westens und Europas. Und die werden wir hochhalten – egal was die US-Regierung dazu denkt. Unsere Politik hat auch Interessen, kein Zweifel. Aber die müssen sich an unseren Werten orientieren. Das scheint in den USA derzeit eher umgekehrt zu sein.

    Wäre ein Klimaabkommen ohne Trump überhaupt noch etwas wert?

    Gabriel: Die Reaktion der internationalen Gemeinschaft war doch eindeutig: Sie hält uneingeschränkt am Übereinkommen fest. Das Rad lässt sich nicht so einfach zurückdrehen. Das sehen im Übrigen auch eine große Vielzahl von Menschen, Bundesstaaten, Kommunen und Unternehmen in den USA so. Mit ihnen und der übrigen internationalen Gemeinschaft werden wir weiter eng zusammenarbeiten.

    Könnte sich Deutschland eine offene Konfrontation mit den USA leisten?

    Bundesaußenminister Sigmar Gabriel ist überzeugt, dass verlässliche internationale Regeln für alle mehr bringen als die Summe der Einzelinteressen.
    Bundesaußenminister Sigmar Gabriel ist überzeugt, dass verlässliche internationale Regeln für alle mehr bringen als die Summe der Einzelinteressen. © dpa | Kay Nietfeld

    Gabriel: Wir wollen keine Konfrontation mit den USA. Im Gegenteil. Aber wir dürfen auch nicht unterwürfig daherkommen. Sondern selbstbewusst und klar. Wir sind kein Anhängsel irgendeiner Politik, sondern wir Deutsche sind Teil eines starken Europas. Denn trotz mancher Probleme auch in Europa gilt doch eines: Nirgendwo auf der Welt lebt es sich so friedlich, so demokratisch und sicher wie in Europa. Für Kleinmut gibt es keinen Grund.

    Wäre Europa bei einem offenen Konflikt mit den USA geschlossen genug? Und wie sieht es insgesamt mit der europäischen Einigkeit auf diesem Gipfel aus?

    Gabriel: Ich finde, wir sollten die Frage eines geeinten Auftretens Europas nicht an unserem Verhältnis zu den USA festmachen. Die USA sind und bleiben für uns in Europa der entscheidende Partner. Viel wichtiger ist, dass wir Europäer auch auf internationaler Bühne immer wieder klarmachen: Wir haben ein gemeinsames Europa, uns verbinden unsere gemeinsamen Werte. Das müssen wir – und allen voran auch wir Deutschen – verstehen und umsetzen. Europa geht es dann gut, wenn wir auf Augenhöhe miteinander reden, uns nicht spalten lassen. Globalen Problemen wie dem Klimawandel kommen wir nur bei, wenn wir gemeinsam für unsere Ziele eintreten.

    Die Signale im transatlantischen Verhältnis waren im Vorfeld wenig ermutigend. Besteht die Gefahr eines Handelskrieges mit den USA? Wie lassen sich Importhürden noch verhindern?

    Gabriel: Die Signale, die im Bereich der Handelspolitik aus Washington kommen, halte ich in der Tat für gefährlich und rückwärtsgewandt. Handel ist kein Nullsummenspiel, bei dem der Gewinn des einen der Verlust des anderen ist. Im Gegenteil, alle beteiligten Nationen profitieren von den mittlerweile sehr stark globalisierten Wertschöpfungsketten. Das eigentliche Problem ist doch nicht, wie wir zwischen den reichen Ländern um Wohlstand kämpfen, sondern wie wir die Armen an diesem Wohlstand endlich teilhaben lassen. Das Ziel der Globalisierung muss endlich Gerechtigkeit für alle, nicht Reichtum für wenige werden.

    Der US-Präsident macht vor dem Gipfel in Warschau Station. Eine deutliche Ansage. Wie bewerten Sie den Besuch?

    Gabriel: Europa wird sich nicht in „old Europe versus new Europe“ aufspalten lassen. Dass im Umfeld von multilateralen Gipfeln auch bilaterale Besuche stattfinden, ist normal. Polen ist ein wichtiger Staat in Mitteleuropa und sorgt sich aufgrund der russischen Politik. Dass der Präsident des wichtigsten Nato-Partners frühzeitig Polen besucht, ist ein wichtiges Signal für die Mittel- und Osteuropäer. Noch wichtiger allerdings wäre ein Treffen zwischen US Präsident Trump und dem russischen Präsidenten Putin. Wir brauchen endlich einen Neubeginn für Entspannung und Abrüstung.

    Donald Trump wird sich mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin das erste Mal treffen. Sie haben mit Putin gesprochen und auch mit dem amerikanischen Außenminister: Was erhoffen Sie sich von der direkten Begegnung?

    Gabriel: Konkrete Verabredungen für die künftige Zusammenarbeit: in Syrien, bei der Lösung des Ukraine-Konflikts, Gespräche über Rüstungskontrolle und Abrüstung. Aus dieser Verantwortung dürfen wir beide nicht entlassen.

    Die Beziehungen zur Türkei sind durch das Auftrittsverbot für Präsident Erdogan in Hamburg zusätzlich belastet. Wie geht die Bundesregierung, wie geht der Außenminister damit um?

    Gabriel: Die bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland waren selten einfach. Aber angesichts der jetzigen großen politischen Differenzen zwischen uns und der Türkei war es notwendig, eine klare Linie zu ziehen. Gerade weil Deutschland ein offenes, tolerantes Land ist, werden wir nicht zulassen, dass Konflikte hierher importiert werden, unsere Gesellschaft gespalten wird. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Türkei, sondern für alle ausländischen Amtsträger. Gleichzeitig heißt das ja nicht, dass wir aufhören, mit der Türkei zusammenzuarbeiten, etwa beim Thema Migration. Nicht zu vergessen: Das gilt für beide Seiten. Für die Türkei ist Europa wichtig. Nicht nur was die Handelsbeziehungen angeht, sondern auch als politischer Partner.