G20-Gipfel: Das schwierige Verhältnis von Kanada und USA
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Von Jörg Michel und Michael Backfisch
Vancouver/Berlin. Beim G20-Gipfel werden Kanadas Premier und der US-Präsident wieder aufeinander treffen. Ihre Positionen liegen sehr weit auseinander.
Mitte Februar, Weißes Haus in Washington. Zwei Männer sitzen sich gegenüber, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Links Kanadas Premierminister Justin Trudeau – dunkles, volles Haar, weltoffen, für freien Handel und Einwanderung. Rechts US-Präsident Donald Trump – blondierte Haarmatte, „America First“-Rhetorik, für Importzölle und Grenzmauern.
Kurz vor dem obligatorischen Handschlag blickt Trudeau skeptisch zu seinem Gegenüber. „Soll ich oder soll ich nicht?“, scheint seine Miene zu sagen. Dann schlägt er doch ein.
Die Szene spricht Bände: Für das liberale Kanada ist das Verhältnis zu seinem mächtigen Nachbarn ein Balanceakt geworden. Einerseits will und muss die Multikulti-Regierung von Trudeau ihre Unabhängigkeit von Trump beweisen. Andererseits hat sie kein Interesse daran, den Anrainer im Süden in die Isolation zu treiben. Zu eng sind die wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen Bande der beiden nordamerikanischen Länder.
Kanada gibt 70 Prozent mehr für seine Verteidigung aus
Trudeau, der sein Land beim G20-Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer am 7. und 8. Juli in Hamburg vertritt, steht vor einer ähnlichen Herausforderung wie Gastgeberin Angela Merkel.
Andererseits kann Merkel – ebenso wenig wie die EU – die Verbindungen zu den Amerikanern völlig kappen. Zu dicht sind die wirtschaftlichen Verflechtungen, zu sehr sind die westlichen Geheimdienste beim Kampf gegen den islamistischen Terror auf den gegenseitigen Austausch von Informationen angewiesen. Ein politischer Tanz auf dem Drahtseil.
Kein Zweifel besteht, dass die meisten Kanadier mit der derzeitigen US-Politik wenig anfangen können. Premier Trudeau steht in wichtigen Fragen wie Klima, Handel oder Zuwanderung den europäischen Verbündeten näher als den USA. In einer viel beachteten Grundsatzrede im Unterhaus in Ottawa hatte Außenministerin Chrystia Freeland nur wenige Wochen vor dem 150. Jahrestag der Staatsgründung am heutigen Sonnabend die Außenpolitik Kanadas strategisch neu ausgerichtet – und sich dabei demonstrativ von den USA abgesetzt. Angesichts der zunehmend isolationistischen Politik Trumps setzt Kanada auf einen eigenständigeren Kurs und will sich wieder stärker an internationalen Gremien wie Nato, UN oder G20 anlehnen.
Kanada kann sich nicht mehr vollständig auf Amerika verlassen
„Die Tatsache, dass unser Freund und Alliierter den Wert seiner eigenen weltweiten Führung infrage stellt, zwingt uns und alle anderen, auf einen eigenen souveränen Kurs zu setzen“, hatte Freeland erklärt. Einen Tag danach kündigte die Regierung eine massive Aufstockung der Verteidigungsausgaben an. Diese sollen in den nächsten zehn Jahren um 70 Prozent steigen. In Kanada vertritt man – ähnlich wie Angela Merkel – die Einschätzung, sich im Falle eines Falles nicht mehr komplett auf den Schutzschirm der Amerikaner verlassen zu können.
Trotzdem wird Trudeau versuchen, die Brücken zu Trump nicht abzureißen. Kanada wickelt rund zwei Drittel seines Außenhandels mit den USA ab, teilt mit den Amerikanern die mit 9000 Kilometer Länge größte Landgrenze der Welt und ist trotz der politischen Entfremdung auf ein funktionierendes Verhältnis zum südlichen Nachbarn angewiesen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund des Freihandelsabkommens Nafta, das auf Druck der USA demnächst neu verhandelt werden soll.
Die wichtigen Köpfe des G20-Gipfels
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Kanada steht zum Pariser Klimaabkommen
Für Schlagzeilen sorgten daher Berichte, wonach Trudeau den USA auf dem G20-Gipfel in Hamburg angeblich mit einem verwässerten Bekenntnis beim Thema Klimaschutz entgegenkommen wolle. Tatsächlich setzt Trumps Ausstieg aus dem Pariser Vertrag die Kanadier mächtig unter Druck. Die kanadische Industrie muss Wettbewerbsnachteile gegenüber der US-Konkurrenz befürchten.
In Ottawa werden diese Gerüchte allerdings scharf dementiert. „Wir werden den Vertrag von Paris weiter umsetzen, und wir stehen vereint mit all jenen Ländern, die das Abkommen unterstützen“, erklärte eine Sprecherin Freelands. Darüber hinaus verfolgt Kanada mit Blick auf die USA eine taktische Marschroute der Seitwärtsbewegung. Wo immer es geht, versucht die Regierung in Ottawa, Trump zu ignorieren, und arbeitet stattdessen mit amerikanischen Bundesstaaten, Städten und Wirtschaftsvertretern zusammen.
Als Kanada am 1. Juli 1867 als eigenständiger Staat ausgerufen wurde, war es den Gründungsvätern angesichts der sinkenden Weltmachtrolle des Mutterlandes Großbritannien nicht zuletzt auch darum gegangen, auf dem nordamerikanischen Kontinent ein Gegengewicht zu den USA zu schaffen. 150 Jahre später versucht das Land erneut, aus dem Schatten des übermächtigen Nachbarn zu treten.