London. Die britische Premierministerin May schwächelt auf der Zielgeraden des Wahlrennens. Sie wirkt nervös. Ihre Gegner wittern ihre Chance.

Warum sie denn nicht an einer TV-Debatte mit Oppositionsführer Jeremy Corbyn teilnehmen wolle, wurde die britische Regierungschefin Theresa May bei einer Pressekonferenz gefragt. Die Premierministerin lachte nervös. Der Frust, dass diese Pressekonferenz nicht nach Plan läuft, steht ihr ins Gesicht geschrieben. Sie macht nicht den Eindruck, als ob sie den britischen Wahlkampf aus vollem Herzen genieße.

„Ich finde es einfach wichtiger“, antwortete May dann, „mit den Leuten vor Ort direkt zu reden und ihre Fragen zu beantworten, als im Fernsehen aufzutreten.“ Aber auch wenn sie mit der TV-Debatte Millionen Wähler erreichen könnte? „Nein, nein“, wehrte May ab, „ich habe von Anfang an klargestellt, dass meine Wahlkampagne darin besteht, die Bürger zu treffen und mich ihren Fragen zu stellen.“

Wahlkampf ganz auf May ausgerichtet

Das macht Theresa May gerne: Immer wieder die gleiche Antwort geben. Zunächst lautete ihr Dauer-Mantra „Brexit bedeutet Brexit“, jetzt wiederholt sie oft: „Starke und stabile Führerschaft.“

Als sie am 18. April überraschend erklärt hatte, vorgezogene Neuwahlen zum britischen Unterhaus abhalten zu wollen, war die Begründung: Das Land brauche in den anstehenden Brexit-Verhandlungen eine Premierministerin mit starkem Mandat. Folglich wurde der Wahlkampf der Konservativen ganz auf May ausgerichtet.

May kneift vor der direkten Auseinandersetzung

Noch nie hat Großbritannien eine derart präsidiale Kampagne gesehen. Da erschien nicht mehr prominent das Parteilogo der Torys auf den Flugblättern, sondern das Konterfei der Premierministerin. Da steht auf dem Schlachtbus, mit dem Theresa May durchs Land zieht, nur ganz klein „Konservative Partei“, dafür aber ganz groß ihr Name. Da wird nicht viel über politische Inhalte geredet, sondern vor allem über die Frage, welche Person besser geeignet sei, das Land in den Brexit-Verhandlungen zu vertreten: May oder Labour-Chef Corbyn.

Und jetzt hat May das Angebot ausgeschlagen, in einer TV-Debatte direkt gegen Corbyn anzutreten. Das macht sich bei den Briten gar nicht gut. Warum kneift sie? Warum will sie ihre „starke und stabile Führerschaft“ nicht demonstrieren? Eine Woche vor dem Wahltermin am 8. Juni diskutiert das Land, ob Theresa May nicht genug Mumm hat für die direkte Auseinandersetzung. Da muss in der Kampagne der Konservativen wohl einiges schiefgelaufen sein.

Verkrampfte Mimik und Stottern

Je länger der Wahlkampf dauert, desto zahlreicher werden die Kratzer am Image der Chefin. Sie, die zuvor so kompetent, resolut und dominant erschien, offenbart Schwächen, besonders wenn sie mit unangenehmen Fragen konfrontiert wird. Einst wirkte sie souverän – zumeist wenn sie vorbereitete Reden verlas. Jetzt wird immer öfter deutlich, dass ungewohnte Situationen May schnell überfordern. Dann offenbart die 57-Jährige eine verkrampfte Mimik, wirkt nervös, stottert zuweilen – und vermeidet klare Antworten.

Erweist sich schon Mays Performance als nicht so überzeugend wie erhofft, so hat den konservativen Wahlkampf vor allem ein gigantischer Patzer aus der Spur geschleudert. In ihr Wahlprogramm hatten die Torys eine Reform der Altenpflege aufgenommen, was politisch durchaus löblich ist angesichts der Dimension der nationalen Pflegekrise.

Debakel mit der „Demenzsteuer“

Taktisch gesehen, hätte man kaum einen schlimmeren Schnitzer machen können. Denn die Reformen zielen darauf ab, dass die Rentner zur Kasse gebeten werden. Nicht nur wird der winterliche Heizkostenzuschuss gekürzt und der Zuwachs der Sozialrenten begrenzt. Besonders großen Unmut löste auch eine schnell als „Demenzsteuer“ getaufte Maßnahme aus.

Danach soll zukünftig bei der Bezahlung der Pflegekosten auch der Immobilienbesitz berücksichtigt werden: Rentner, die ein Eigenheim haben, das mehr als 100.000 Pfund (ca. 115.000 Euro) wert ist, müssten dann voll für ihre Pflege zahlen. Was im Land der Häuslebesitzer bedeutet, dass im schlimmsten Fall die Leute maximal ein Erbe von 100.000 Pfund an ihre Kinder weiterreichen können. Selbst konservative Zeitungen zeterten über die Steuer und rechneten vor, wie teuer den Hinterbliebenen eine Alzheimer-Erkrankung ihrer Eltern käme.

Labour holt in Umfragen stark auf

Die Initiative ließ Zweifel an Mays politischer Kompetenz aufkommen. Denn die von ihr ins Visier genommenen Rentner gehören zu der Kernwählerschaft der Konservativen. Und bei den über 60-Jährigen war bisher die Premierministerin mit Abstand die populärste Politikerin. Ein Protestsong gegen May mit dem Refrain „She’s a liar“ (Sie ist eine Lügnerin) schaffte es in den Charts nach weit oben.

Wieviel Schaden angerichtet wurde, zeigen die Meinungsumfragen: Der anfangs gigantische Vorsprung von bis zu 24 Prozent der Konservativen vor Labour ist fast ganz dahin geschmolzen. Nach einer aktuellen Umfrage für die „Times“ kommen die Konservativen auf 42 Prozent – Labour ist ihnen mit 39 Prozent inzwischen dicht auf den Fersen.

Das britische Pfund bleibt schwach

Die Finanzmärkte reagierten auf die letzten Umfragen mit leichter Panik. Das ohnehin seit dem Brexit-Referendum schwächelnde Pfund sank weiter gegenüber dem Euro. Sollte Theresa May nur eine knappe Parlamentsmehrheit erringen, dürfte die Landeswährung weiter fallen, denn man geht davon aus, dass ihr dann die Brexit-Hardliner in der Konservativen-Fraktion das Leben schwer machen werden.

Auch wenn man den Umfragen, die bei den Parlamentswahlen 2015 wie beim Brexit danebenlagen, nur bedingt Glauben schenken sollte, so ist doch eines gewiss: Im britischen Wahlkampf wird in der Woche vor der Wahl es noch einmal richtig spannend.