Berlin. Die Grünen wollen mehr Rechte für Homosexuelle – und eine Parlamentsentscheidung erzwingen. Dabei hoffen sie auf die höchsten Richter.

Manchmal muss man in der Politik wie ein Staubsauger-Vertreter sein und nimmermüde anklopfen. Bereits 27 Mal wurde die Gesetzesinitiative „Ehe für alle“ im Bundestag behandelt, aber eine Entscheidung über die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zwei Jahre lang vertagt. Nachdem die Grünen mit dem Anliegen am Mittwoch erneut aufgelaufen waren,

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Um zehn Uhr übergab der Grünen-Politiker Volker Beck am Donnerstag beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf „einstweilige Anordnung“.

Worum geht es den Grünen?

Regulär bleiben dem Parlament drei Arbeitswochen, eine im Mai, zwei im Juni. Letzte Sitzung: 30. Juni. Dann beginnt die Sommerpause, danach kommt die Bundestagswahl, und mit dem Ende der Legislaturperiode „verfallen“ alle Initiativen im Hohen Haus. Langsam bekommen die Grünen Torschlusspanik.

Ihre Fraktionschefin und Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt sagt: „Wir kämpfen dafür, dass der Bundestag endlich sein Ja-Wort gibt.“ Nach dem Grundgesetz (Artikel 76) muss das Parlament über Vorlagen „in angemessener Frist“ beraten und Beschlüsse fassen. Darauf berufen sich die Grünen. Mit dem Argument wird sich der Zweite Senat in Karlsruhe befassen müssen, vermutlich in den nächsten zwei Wochen.

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    Wie ist die Lage in Deutschland?

    Die eingetragenen Partnerschaften wurden in Deutschland im August 2001 eingeführt – auf Betreiben von SPD und Grünen. Für schwule und lesbische Paare war es ein Fortschritt. Sie konnten nach dem Gesetz heiraten. Im Laufe der Jahre sind ihre Rechte und Pflichten denen herkömmlicher Ehen vielfach angeglichen worden, beispielsweise im Steuerrecht.

    Laut Statistischem Bundesamt gab es 2015 rund 78.000 Paare, die in einer gleich­geschlecht­lichen Gemeinschaft lebten, gut ein Drittel mehr als zehn Jahre zuvor. Männer lebten etwas häufiger mit einem Partner des gleichen Geschlechtes zusammen als Frauen. Viele von ihnen haben ihren Status verfestigt, in dem sie sich offiziell als einge­tragene Lebens­partnerschaften registrieren ließen. Heute dürfte ihre Zahl schon bei weit über 40.000 liegen.

    Welche Regeln gelten für die Adoption?

    Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft dürfen kein fremdes Kind adoptieren. Erlaubt ist allerdings die so genannte Sukzessivadoption eines Stiefkinds. Dabei ist derjenige, der die Adoption erklärt, mit einem Elternteil des Adoptivkindes verheiratet oder verpartnert. Außerdem hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein im Ausland von einem homosexuellen Paar adoptiertes Kind auch in Deutschland geschützt ist. Genauer: Die Adoption ist anerkannt.

    Haben schwule und lesbische Paare weitere Nachteile?

    Demonstranten vor dem Reichstag am Internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie am Mittwoch. Bislang blockiert das Parlament eine Abstimmung über die Homoehe.
    Demonstranten vor dem Reichstag am Internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie am Mittwoch. Bislang blockiert das Parlament eine Abstimmung über die Homoehe. © imago/epd | Rolf Zoellner

    Die Nachteile bei Adoptionen werden von den Betroffenen immer wieder beklagt. Aber es gibt weitere Ungleichbehandlungen von Lebenspartnerschaften gegenüber Ehen. Beck führt darüber Buch, es ist eine lange Liste, rund 50 Punkte. Ehepartner haben es zum Beispiel leichter eingebürgert zu werden. Standesbeamte haben nur bei einer Eheschließung eine „Mitwirkungspflicht“: Sie dürfen sie nicht verweigern – eine eingetragene Lebenspartnerschaft im Umkehrschluss aber schon. Und: Ehen können geschieden werden, Lebenspartnerschaft werden nur aufgehoben – ohne dass daraus rechtliche Konsequenzen folgen.

    Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich?

    Die Ehe für alle gilt in vielen westeuropäischen Ländern, in Portugal, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Irland, in den Benelux-Staaten und in Skandinavien. In Italien gibt es wie in Deutschland eingetragene Partnerschaften. In Osteuropa werden Homosexuelle häufig nur toleriert, vielfach jedoch diskriminiert. Die überwiegende Mehrheit der Deutschen findet es richtig, dass Schwule und Lesben gesetzlich vor Diskriminierung geschützt sind. Mehr als 80 Prozent sprechen sich in Umfragen für eine Öffnung der Ehe für Homosexuelle aus.

    Worüber streiten die Parteien hierzulande?

    SPD, Grüne, Linke und FDP fordern die „Ehe für alle“, die Union ist dagegen, Die Sozialdemokraten setzten darauf, „dass auch die Union endlich zur Einsicht kommt“, vermeiden aber die Zerreißprobe einer offenen Abstimmung im Bundestag. „Ich will jetzt auch von der SPD hören und sehen, wie sie sich entscheidet“, beharrt aber Göring-Eckardt.

    Bewegt sich die Union?

    Die Basis ist in dieser Frage konservativer als die Führung und die CSU fundamentalistischer als die CDU. Prominente Befürworter der Ehe für alle sind das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn und der schleswig-holsteinische Parteichef Daniel Günther. Auf die Privilegierung der Ehe von Mann und Frau pochen die Kirchen. Bei dem Thema kann die Union zeigen, dass sie konservativ und kirchennah ist. An dem Alleinstellungsmerkmal dürfte CDU-Chefin Angela Merkel auch in ihrem Wahlprogramm festhalten. Im Falles eines Wahlsieges könnte sich für die Merkel-CDU eine ähnliche Gefechtslage wie vor vier Jahren bei der doppelte Staatsbürgerschaft ergeben: Da hat die Union in den Koalitionsverhandlungen nachgegeben.