Berlin. Die SPD will Teile der Agenda 2010 von Gerhard Schröder überdenken. Ein Plan von Martin Schulz zielt nun auf das Arbeitslosengeld.

  • Die SPD will das Arbeitslosengeld I länger zahlen, wenn Erwerbslose an einer Qualifizierungsmaßnahme teilnehmen.
  • SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hatte das sogenannte Arbeitslosengeld Q vorgeschlagen
  • Schon an diesem Montag soll der SPD-Vorstand den Reformplan beschließen

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat es eilig, sich als ordnende Hand auf dem Arbeitsmarkt zu profilieren. Keine zwei Wochen ist es her, dass er auf einem SPD-Arbeitnehmerkongress ankündigte, er wolle Fehler der umstrittenen „Agenda 2010“ des früheren SPD-Kanzlers Gerhard Schröder korrigieren.

Schulz berichtete von der Begegnung mit einem 50-Jährigen, der Angst vor Jobverlust und raschem Abstieg zum Hartz-IV-Bezieher hatte. Damit löste der Kanzlerkandidat prompt eine Debatte über die mögliche Rückabwicklung der Arbeitsmarktreformen aus.

Schulz setzt in Arbeitsmarktpolitik auf Qualifizierung

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    Das steckt hinter dem „Arbeitslosengeld Q“

    Jetzt hat Schulz geliefert. Bereits an diesem Montag soll der SPD-Vorstand seinen konkreten Reformplan beschließen, der maßgeblich auf Konzepten von Arbeitsministerin Andreas Nahles (SPD) basiert. Mit dem dreiseitigen Papier, das unserer Redaktion vorliegt, macht Schulz allerdings klar: Er hat zwar ehrgeizige Reformvorstellungen, will für alle Arbeitnehmer und Arbeitslose ein Recht auf Weiterbildung einführen – die Agenda 2010 aber will auch er nur in einigen Details ändern. Das befristete Arbeitslosengeld I will Schulz keineswegs einfach ausdehnen – sondern begrenzt um Zeiten der Qualifizierung verlängern.

    Die Idee: Arbeitslosen, die nicht innerhalb von drei Monaten eine neue Stelle finden, muss die Arbeitsagentur eine Qualifizierungsmaßnahme anbieten, die die Vermittlungschancen nachhaltig erhöht. Für die Dauer dieser Weiterbildung zahlt die Arbeitsagentur ein neues „Arbeitslosengeld Q“ in Höhe des regulären Arbeitslosengeldes I.

    Kritik kommt von der Union

    Der Vorstoß von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz für eine deutlich längere Zahlung des Arbeitslosengelds I bei Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen stößt beim Arbeitnehmerflügel der Union auf Kritik. „Der Vorschlag von Schulz reicht bei weitem nicht aus, er bleibt bei der Hälfte stehen“, sagte der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Peter Weiß, unserer Redaktion.

    Wichtiger wäre es, dass die Bundesagentur für Arbeit noch mehr Qualifizierungsangebote schon während der Berufstätigkeit mache. „Wir brauchen ein viel breiteres Weiterbildungs-Angebot für Arbeitnehmer und deutlich mehr vorbeugende Initiativen zur Qualifizierung, um Arbeitslosigkeit von vornherein zu vermeiden. Da müssen wir ansetzen“, sagte Weiß.

    Bezugsdauer verlängert sich um Dauer der Weiterbildung

    Findet sich danach nicht gleich ein Job, wird das ALG 1 weitergezahlt. Neu wäre nun, dass sich die Bezugsdauer des ALG I um die Zeit einer Weiterqualifizierung verlängern würde. Bisher wird die Weiterbildungsphase zur Hälfte auf die Bezugsdauer angerechnet.

    Schulz bekräftigt Willen zu Änderungen bei Agenda 2010

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      Beispiel: Ein 50-Jähriger hat bislang Anspruch auf 15 Monate Arbeitslosengeld I, bevor er zum Hartz-IV-Bezieher wird. Macht er nun nach zwei Monaten eine einjährige Qualifizierung, hätte er mit dem Schulz-Plan danach immer noch 13 Monate Anrecht auf das Arbeitslosengeld: Insgesamt bliebe er also 27 Monate im ALG-I-System. Die Bundesagentur fördert bislang Weiterbildungen bis zu zwei Jahren. Wer 58 Jahre und älter ist und seinen Job verliert, hätte mit einem ALG-Anspruch von 24 Monaten und der längstmöglichen Weiterbildungsdauer immerhin vier Jahre im ALG-System sicher. Allerdings sind die Qualifizierungsmaßnahmen in der Regel deutlich kürzer, meist nur einige Monate – ältere Arbeitnehmer würde der Plan wohl nur vorübergehend vor dem Wechsel zu Hartz IV schützen.

      Schulz: Qualifizierung ist das Schlüsselwort der Arbeitswelt

      Doch die Frage, wie lange jemand Arbeitslosengeld von der Versicherung bezieht, ist in dem Reformkonzept von Schulz gar nicht der zentrale Punkt. Sein Ansatz geht, auf Anregung von Nahles, viel weiter: Die SPD will ein Recht auf Weiterbildung einführen. Die künftige „Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung“ soll dazu stärker die Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitnehmern in den Blick nehmen, entsprechende Beratung in allen Phasen des Berufslebens bieten und frühzeitige Bildungsmaßnahmen auch vor dem Jobverlust fördern. „Heute ist das Schlüsselwort, egal wo in der Welt der Arbeit, Qualifizierung und Weiterbildung“, sagte Schulz am Samstag in Würzburg.

      In dem Konzept heißt es, die neue Arbeitswelt 4.0 brauche neue Absicherung für die Beschäftigten. Längere Phasen der Arbeitslosigkeit sollten so möglichst vermieden werden – und die Zeit der Arbeitslosigkeit andererseits für Qualifizierung genutzt werden.

      Linke kritisiert Reformvorhaben

      Zu den Reformvorschlägen zählt aber auch, den Zugang zur Arbeitslosenversicherung zu erleichtern: Um ALG I beziehen zu können, wären nicht mehr zwölf Monate Versicherungszeit innerhalb von zwei Jahren notwendig, sondern zehn Monate in drei Jahren. Für Hartz-IV-Bezieher soll das Schonvermögen von 150 Euro auf 300 Euro pro Lebensjahr verdoppelt werden.

      Die Opposition kritisierte die Pläne als unzureichend. „Es reicht nicht, das Arbeitslosengeld I zu verlängern“, sagte Linke-Chefin Katja Kipping unserer Redaktion. „Wir müssen die Agenda 2010 grundsätzlich überwinden.“ Sanktionen und Sperrzeiten bei Hartz IV seien eine „Angstmaschine und Modernisierungsbremse“, es gelte, die Angst vor dem Abstieg zu nehmen. Kipping sagte: „Die Linke bietet Martin Schulz einen Solidarpakt gegen die Armut an“. Die Grünen lobten zwar den Qualifizierungsansatz von Schulz, monierten aber, Hartz-IV-Beziehern helfe sein Vorschlag nichts.