Kairo. Die Kanzlerin spricht bei ihrem Ägypten-Besuch viele große Themen an. Ihr geht es bei den Treffen nicht nur um die Flüchtlingskrise.

Kairo machte es der deutschen Kanzlerin nicht leicht. Auch wenn einige Hauptstadtzeitungen Angela Merkel wie den rettenden Engel feierten, schon die deutsche Nationalhymne zur Begrüßung am Flughafen war gespickt mit Misstönen. Auch die meisten ägyptischen und deutschen Flaggen an den Laternen Kairos hingen den ganzen Tag schlaff herunter.

„Merkel ist in der Stadt“, twitterte der bekannte Blogger Big Pharaoh. „Sie will uns ihren Deal schmackhaft machen – stoppt die Migranten und steckt sie in Lager, dann halten wir die Klappe bei den Menschenrechten und zahlen Geld.“

Ägypten hat erheblichen Einfluss in der Region

Uns – damit gemeint ist vor allem Staatschef Abdel Fattah al-Sisi, der die Kanzlerin zu einem einstündigen Gespräch in seinem Ittihadiya-Palast empfing. Die beiden redeten über Wirtschaftsbeziehungen und Migranten, über den Kampf gegen den Terror und die Lage in Libyen, von dessen Küste im vergangenen Jahr die meisten der 180.000 Bootsflüchtlinge in Richtung Italien übersetzten.

Ägypten hat erheblichen Einfluss in dem zerfallenden Post-Gaddafi-Staat. Erst vor zwei Wochen gelang es Kairo, zum ersten Mal ein indirektes Treffen zwischen dem Premier der Einheitsregierung in Tripolis, Fayez al-Sarraj, und seinem härtesten Gegenspieler im Osten, Ex-General Khalifa Haftar, zu arrangieren – wenn auch ohne greifbares Ergebnis.

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    Auffällig viele Minderjähre unter den Flüchtlingen

    Bei den von Merkel, der Union und Teilen der SPD favorisierten Auffanglagern für Migranten in Nordafrika winkt Kairo ab. Doch seit dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei wissen auch die Mächtigen in Ägypten, dass sich mit Europas Flüchtlingsangst viel Geld verdienen lässt. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit lässt Präsident Sisi seit Februar 2016 die Ziffer von angeblich fünf Millionen Flüchtlingen kursieren, für die Ägypten sorgen müsse. Der UNHCR weiß davon nichts und spricht von rund 250.000 Betroffenen, der Großteil kommt aus Syrien und dem Sudan.

    Finanzielle Unterstützung für diese Familien leisten allein das UN-Hilfswerk und seine Partner. Ägyptens Bürokratie dagegen versucht vor allem, sich an dem Unglück der Fremden zu bereichern, indem sie für Aufenthaltsgenehmigungen hohe Bestechungssummen kassiert. Die Zahl der Bootsflüchtlinge von Ägypten nach Europa ist deutlich geringer als von Libyen, weil der Seeweg mit zehn Tagen wesentlich weiter und gefährlicher ist. Auf sieben bis acht Prozent schätzen EU-Experten im letzten Jahr die Abfahrten aus dem Nildelta, auffallend viele an Bord waren Minderjährige.

    Attentat vor Kirche

    Wesentlich angenehmer als diese dornigen Themen war dann am Nachmittag die Videoschaltung in die drei Siemenskraftwerke New Capital, Beni Suef und Borollos, um dort die erste Produktionsstufe offiziell einzuweihen. Ende 2018 sollen die drei Giganten ihre gesamten 14.400 Megawatt liefern, was die Hälfte des ägyptischen Strombedarfs abdeckt.

    Vom Präsidentenpalast fuhr Merkel zur Kathedrale des koptischen Papstes Tawadros II., der sich als unverbrüchlicher Verbündeter von Ex-Feldmarschall Sisi versteht. Gemeinsam besuchten sie die benachbarte St. Peter und Paul Kirche und legten dort Blumen nieder. Vor drei Monaten sprengte sich in dem Gotteshaus ein IS-Attentäter während der Sonntagsmesse in die Luft und riss 29 Menschen mit in den Tod, die meisten waren Frauen und Kinder.

    Nächste Station für Merkel ist Tunesien

    Inzwischen hat der „Islamische Staat“ auf dem Nordsinai allen Christen des Landes den Krieg erklärt. Praktisch alle koptischen Familien haben in den letzten Tagen die Halbinsel verlassen und sich im Niltal in Sicherheit gebracht. Und so dient Merkels Treffen beim Großimam von Al Azhar, Ahmed al-Tayyeb, vor allem darum, die gemäßigten religiösen Kräfte in Ägypten zu stärken, für Toleranz und ein friedliche Koexistenz der Religionen zu werben.

    Vor dem Abendessen in kleinem Kreis bei Präsident Sisi war noch eine halbe Stunde für Vertreter der Zivilgesellschaft eingeschoben, die von dem militärgestützten Regime systematisch unterdrückt wird. „Die Zivilgesellschaft und der Rechtsstaat spielen eine zentrale Rolle für offene Gesellschaften und für den Kampf gegen den Terrorismus“, betonte Merkel auf der Pressekonferenz im Präsidentenpalast – Worte, die zwischen den Marmorsäulen und Kronleuchtern verhallten. Am Freitag früh fliegt die Kanzlerin weiter nach Tunesien, der letzten noch überlebenden Nation des Arabischen Frühlings. Hier trifft sie den 90-jährigen Präsident Beji Caid Essebsi und spricht vor dem tunesischen Parlament.