Berlin. Im NSA-Untersuchungsausschauss hat Angela Merkel alle Anwesenden überrascht. Aber leider nicht mit neuen Informationen zur NSA-Affäre.

Hier ist sie nicht die Kanzlerin. Nur die „Zeugin Dr. Merkel“. So steht es auf dem Schild auf dem Tisch. „Angela Dorothea Kasner, 62 Jahre alt“, stellt sie sich vor. Später erklärt sie den Fauxpas damit, dass sie Dorothea „gemeinhin nur mit meinem Mädchennamen verwende“. Ihre Botschaft: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.“ Es ist seit 2013 ihr Obersatz für den Umgang mit Nachrichtendiensten. „Ich stehe zu dieser Aussage“, sagt sie vor dem NSA-Untersuchungsausschuss.

Bundestag, Paul-Löbe-Haus, Raum 4.900: Vor der Tür zur Zuschauertribüne des „Europasaals“ bildet sich eine lange Schlange, Gedränge, Tumulte, jemand begehrt schreiend Einlass. Es ist die 131. Sitzung, die letzte Zeugenanhörung zur NSA-Affäre. Der Vorsitzende Patrick Sensburg (CDU) lässt den Blick über die Reihen schweifen, so voll war es lange nicht. Die Stenografen sind bis Mitternacht bestellt. Ab 11.30 Uhr steht Merkel sieben Stunden lang Rede und Antwort. Nach zwei Stunden fängt sie an, sich zu wiederholen, erste Zeichen von Langeweile, sie verweist auf ihr Eingangsstatement, „das war erschöpfend“.

Opposition verlangt von Merkel Aufklärung über Spionage-Vorwürfe

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    Seit 2013 überschlagen sich die Ereignisse

    Anfang Juli 2013 fällt erstmals der mittlerweile legendäre Satz. Im Zuge der NSA-Affäre, der Enthüllungen von Edward Snowden, steht die massenhafte Ausspähung von Bundesbürgern im Raum. Zu dem Zeitpunkt ahnt Merkel nicht, dass auch ihr Handy abgehört worden ist und dass ihr Geheimdienst BND keine Skrupel hatte, „befreundete“ Staaten auszuspähen. Sie ist gereizt.

    Jeden Tag neue Enthüllungen über die Geheimdienste. Es erinnert sie an die CDU-Spendenaffäre: Wieder hechelt sie den Presseberichten hinterher. Ihr denkwürdiger Satz fällt spontan, erscheint ihr „eher eine Trivialität“, beruhe aber „auf einem gewissen Wertefundament“. Sie argumentiert moralisch, „der Zweck heiligt nicht die Mittel“, historisch („wir sind nicht mehr im Kalten Krieg“) und praktisch: Freunde auszuspähen, hält sie für Energievergeudung.

    In den USA hält man die Empörung für gespielt

    Die Empörung ist groß, steigert sich zur kollektiven Entrüstung, als im Oktober Hinweise auftauchen, wonach Merkels Handy abgehört wurde. Ein US-Diplomat wird ausgewiesen, ein Spion verhaftet, später das BND-Gesetz enger gefasst, sein Präsident abgesetzt, die parlamentarische Kontrolle verstärkt. Als erste Reaktion verordnet sich der Verfassungsschutz einen „360-Grad-Blick“: Das Amt soll nach allen Seiten Spionageabwehr betreiben.

    John Emerson, gerade Botschafter in Berlin geworden, bemüht sich, seiner Regierung zu erklären, dass die Empörung der Deutschen nicht gespielt ist. Der „Welt“ erzählt er, „in anderen Ländern reagierte man darauf eher wie der Gendarm im Film ,Casablanca‘, der bei seiner Razzia in Humphrey Bogarts Lokal empört ausruft: ,Ich bin schockiert, dass es hier Glücksspiel gibt.‘ Obwohl er es natürlich immer gewusst hat.“

    Obama entschuldigt sich nicht

    In Deutschland ist es anders. NSA-Chef Keith Alexander bietet ein „No-Spy-Abkommen“ an, eine Stillhaltevereinbarung. Bloß ein Gendarmenspruch? Dass die Öffentlichkeit getäuscht worden sei, der Verdacht habe sich „als haltlos erwiesen“, sagt Ausschussmitglied Tankred Schipanski (CDU). Fakt ist: Es wird lange verhandelt.

    Aber Präsident Barack Obama bläst das Vorhaben Anfang 2014 ab und hält eine Rede, die für Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) „sehr erhellend“ ist. Obama sagt, dass sich die US-Dienste nicht dafür entschuldigen müssten, dass sie besser als andere seien und dass man künftig die Kommunikation von befreundeten Regierungschefs nicht mehr abhören wolle. Altmaier folgert sofort: „In der Vergangenheit vielleicht schon.“

    BND hatte NSA geholfen

    Der Verlust der Unschuld folgt ein Jahr später, Altmaier und der Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche können den Tag genau datieren. Es ist im März 2015, an einem Freitag den 13., als herauskommt, dass der BND der NSA beim Ausspähen geholfen hat. Er hat Suchbegriffe der Amerikaner zum Abhören gesteuert.

    Fritsche ist im Ausland, Altmaier in Köln, fährt zum Verfassungsschutz, im Büro des Präsidenten berät er über eine geschützte Leitung mit Fritsche. „Wir mussten eklatante organisatorische und technische Defizite beim BND feststellen“, erinnert sich Schipanski. Der BND hatte nicht nur der NSA geholfen, sondern selbst befreundete Staaten ausgespäht.

    Ausschuss empfiehlt, BND besser zu kontrollieren

    2015 sind fast zwei Jahre seit Merkels „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht“ vergangen. Nichts daran stimmt. Vor dem Ausschuss wird sie kleinlaut, als die Linke Martina Renner wissen will, ob sie sich jemals bei den abgehörten Partnern entschuldigt habe: „Nein“, antwortet Merkel leise. Auch für Grüne habe sich Merkels damaliger Satz „gut angefühlt“, erzählt Konstantin von Notz. Bloß: Er stimme nicht.

    Ob sie je gefragt habe, ob der BND Freunde abhöre? Merkels Antwort: „Nein.“ Das reicht selbst Sensburg nicht. Wenn der Ausschuss im Juni seinen Abschlussbericht vorlegt, gehört dazu die Empfehlung, den BND besser zu kontrollieren. Merkel ist längst weiter, hat die Affäre nach unten delegiert und ihren Frieden mit den USA gemacht. Sie gehe unter der neuen Administration davon aus, „dass die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit fortgesetzt wird“.