Berlin. Im Fall Anis Amri sind noch viele Fragen ungeklärt. Die CDU fordert einen Untersuchungsausschuss. Dabei geht es auch um Wahlkampf.

Die Aufklärung rückt näher. Über den Fall Anis Amri liegt seit Donnerstag mehreren Mitgliedern des Innenausschusses im Bundestag eine brisante Information vor. Zudem hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) seit Freitag ein Geheimpapier mit einer Fehleranalyse. Nun wird sogar ein Untersuchungsausschuss erwogen, um Amris Terroranschlag in Berlin und ein mögliches Behördenversagen zu untersuchen. Die Opposition will ihn – an der Union soll er nicht scheitern. Kündigen sich Wochen der Wahrheit an?

Die Obleute-Runde im Ausschuss erfuhr, dass die Kontaktperson einer nordrhein-westfälischen Behörde – offenbar des Landeskriminalamts – den späteren Attentäter mindestens einmal mit dem Auto in die Hauptstadt gefahren hat. Das LKA als Mitfahrzentrale?

Eine Untersuchung könnte auch die Wahlkämpfe prägen

Erklärungsbedürftig ist der Vorgang allemal. Die Union ist entschlossen, den Kompetenz-Wirrwarr der Behörden in Bund und Ländern an die ganz große Glocke zu hängen. „Wenn man der Meinung ist, da muss noch mehr gemacht werden, bin ich für einen Untersuchungsausschuss offen“, sagt Unionsfraktionschef Volker Kauder.

Schon beim letzten Wahlkampf im Bund spielte eine Untersuchung eine entscheidende Rolle. Damals ging es um die Abhörpraktiken des US-Geheimdienstes NSA. Die konservativ-liberale Bundesregierung musste sich rechtfertigen – jetzt könnte es die rot regierten Länder Berlin und NRW treffen, wo sich Amri aufgehalten hat.

Kauders Worte müssen in den Ohren der Sozialdemokraten wie eine Drohung klingen. Nicht zufällig hatte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) einen Sonderermittler auf Bundesebene ins Spiel gebracht. So wollten die Sozialdemokraten sichergehen, dass die Aufklärung sachlich bleibt, während ein Untersuchungsausschuss schnell zu einem Tribunal wird.

Wie der Anschlag jetzt unser Land verändert

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    De Maizière und Maas haben geheimen Bericht aufgesetzt

    In Berlin richtet man sich längst auf den Ausschuss ein. „Das könnte Sinn machen, um genau nachvollziehen zu können, warum sich ein Mann wie Amri monatelang frei im Land bewegen kann“, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Wegner unserer Redaktion. „Wir müssen sicherstellen, solche Leute dingfest zu machen und abschieben zu können.“

    Berlins ehemaliger Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) steht einem Untersuchungsausschuss ebenfalls positiv gegenüber. „Der Fall zeigt, dass wir die Quellen-Telekommunikationsüberwachung brauchen“. Der Berliner Bundestagsabgeordnete Swen Schulz will einen Verdacht ausräumen: „Es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, die Bundesregierung sei an einer umfassenden Aufklärung nicht interessiert.“ Fraglich sei nur, ob die restliche Legislatur ausreiche.

    Thomas de Maizière und Heiko Maas (v.l.) in Berlin.
    Thomas de Maizière und Heiko Maas (v.l.) in Berlin. © Getty Images | Steffi Loos

    24 Stunden nach der Unterrichtung der Obleute im Ausschuss hatten die Minister Thomas de Maizière (Innen, CDU) und Heiko Maas (Justiz, SPD) einen Brief aufgesetzt. Er ist adressiert an Merkel und enthält eine Chronologie der Ereignisse und eine Manöverkritik. „Ich werde mir alles genau anschauen“, sagt Merkel.

    Fluchtweg des Attentäters nicht geklärt

    Der als geheim eingestufte Bericht ist das heißeste Papier, das in Regierungskreisen kursiert. Am Mittwoch soll sich der Innenausschuss damit befassen. Amris Fahrer war schon bisher als Kontaktperson des Gefährders bekannt. Ihm gegenüber hatte er mit seinen Anschlagsplänen geprahlt und nach einer Schnellwaffe gefragt. Aber warum musste er Amri chauffieren?

    Dass Amri auch V-Mann gewesen sein könnte, hat die NRW-Regierung am Sonnabend umgehend dementiert. Noch nicht lückenlos geklärt ist hingegen der Fluchtweg des Attentäters.

    Innenpolitiker stellen sich weitere Fragen: Warum hat man einen Gefährder nicht wenigstens wegen anderer Delikte verhaftet? Immerhin bewegte er sich in kriminellen Milieus. Und warum hat die Bundesregierung nicht energischer Tunesien bedrängt, den ausreisepflichtigen Ausländer zurückzunehmen? Stattdessen schlug sie den „formalen Weg“ ein, wie der Chef einer Sicherheitsbehörde beklagt.

    CDU will sich als Partei der inneren Sicherheit profilieren

    Sie hatten ihn „unter Wind“, wie es im Jargon der Ermittler heißt. Monatelang wurde der 24-Jährige Tunesier observiert. Über ihren V-Mann waren die Behörden nahe am Gefährder. So hofften sie, früh von seinen weiteren Plänen zu erfahren. Ein Trugschluss.

    Die CDU ist entschlossen, die Gunst der Stunde zu nutzen. Auf der Neujahrsklausur des CDU-Vorstands war die innere Sicherheit Thema Nummer eins, auf Drängen von Vizechef Armin Laschet – Spitzenkandidat in NRW – enthält eine Erklärung der Bundespartei kritische Passagen zu NRW. Er geht jetzt los – der Wahlkampf um die innere Sicherheit.

    Trauer um Opfer des Anschlags von Berlin

    Nur wenige Stunden nach dem Anschlag: Nahe des Weihnachtsmarkts an der Berliner Gedächtniskirche, in den ein Lkw gerast war und dabei mehrere Menschen tötete, legten Trauernde erste Blumen nieder.
    Nur wenige Stunden nach dem Anschlag: Nahe des Weihnachtsmarkts an der Berliner Gedächtniskirche, in den ein Lkw gerast war und dabei mehrere Menschen tötete, legten Trauernde erste Blumen nieder. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
    Der Morgen danach in der Nähe des Tatorts: „Ich bin Berlin – für mehr Menschlichkeit & Mitgefühl“, steht auf dem Zettel.
    Der Morgen danach in der Nähe des Tatorts: „Ich bin Berlin – für mehr Menschlichkeit & Mitgefühl“, steht auf dem Zettel. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
    Viele Menschen bekundeten ihre Trauer auf dem Platz vor der Gedächtniskirche.
    Viele Menschen bekundeten ihre Trauer auf dem Platz vor der Gedächtniskirche. © REUTERS | PAWEL KOPCZYNSKI
    Auch Schilder an den Straßen nahe der Gedächtniskirche erinnerten am Dienstag an den Anschlag vom Vorabend.
    Auch Schilder an den Straßen nahe der Gedächtniskirche erinnerten am Dienstag an den Anschlag vom Vorabend. © dpa | Michael Kappeler
    Diese Frau betet für die Opfer der Todesfahrt. Zwölf Menschen waren am Montagabend ums Leben gekommen, viele weitere wurden schwer verletzt.
    Diese Frau betet für die Opfer der Todesfahrt. Zwölf Menschen waren am Montagabend ums Leben gekommen, viele weitere wurden schwer verletzt. © REUTERS | PAWEL KOPCZYNSKI
    „Das Licht ist stärker als die Dunkelheit“, steht auf dem Plakat, das dieser Passant in der Nähe des Anschlagsorts befestigt.
    „Das Licht ist stärker als die Dunkelheit“, steht auf dem Plakat, das dieser Passant in der Nähe des Anschlagsorts befestigt. © dpa | Rainer Jensen
    An allen Ecken der Schutzplane, die um den Anschlagsort aufgespannt wurde, legten die Menschen Blumen und Kerzen nieder.
    An allen Ecken der Schutzplane, die um den Anschlagsort aufgespannt wurde, legten die Menschen Blumen und Kerzen nieder. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
    „In uns lebt ihr weiter“, steht auf einem Zettel, den jemand nahe des Anschlagsorts zusammen mit Kerzen niedergelegt hat.
    „In uns lebt ihr weiter“, steht auf einem Zettel, den jemand nahe des Anschlagsorts zusammen mit Kerzen niedergelegt hat. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
    Ein Moment des Innehaltens mitten in der Rush Hour. Eine Frau und ein Mann stehen vor der Gedächtniskirche und gedenken der Opfer.
    Ein Moment des Innehaltens mitten in der Rush Hour. Eine Frau und ein Mann stehen vor der Gedächtniskirche und gedenken der Opfer. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
    Die brandenburgische Fahne weht in Potsdam auf Halbmast Für den Dienstag ordnete Innenminister Thomas de Maizière für das gesamte Land Trauerbeflaggung an.
    Die brandenburgische Fahne weht in Potsdam auf Halbmast Für den Dienstag ordnete Innenminister Thomas de Maizière für das gesamte Land Trauerbeflaggung an. © dpa | Ralf Hirschberger
    In der Gedächtniskirche zünden Menschen Kerzen des Gedenkens an.
    In der Gedächtniskirche zünden Menschen Kerzen des Gedenkens an. © REUTERS | PAWEL KOPCZYNSKI
    Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller trägt sich in der Gedächtniskirche in Berlin in das Kondolenzbuch für die Opfer des Anschlags ein.
    Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller trägt sich in der Gedächtniskirche in Berlin in das Kondolenzbuch für die Opfer des Anschlags ein. © dpa | Maurizio Gambarini
    Auch die Fahnen vor dem Reichstag wehen am Tag nach dem Anschlag auf Halbmast.
    Auch die Fahnen vor dem Reichstag wehen am Tag nach dem Anschlag auf Halbmast. © dpa | Paul Zinken
    Den ganzen Tag über suchten Menschen den Weg zur Gedächtniskirche, um Blumen und Kerzen niederzulegen.
    Den ganzen Tag über suchten Menschen den Weg zur Gedächtniskirche, um Blumen und Kerzen niederzulegen. © Getty Images | Michele Tantussi
    Eine der vielen Botschaften, die auf Zetteln und Plakaten am Anschlagsort zu lesen sind: „Kriege führen zu mehr Terrorismus – Terrorismus verletzt ausnahmslos alle Menschen“.
    Eine der vielen Botschaften, die auf Zetteln und Plakaten am Anschlagsort zu lesen sind: „Kriege führen zu mehr Terrorismus – Terrorismus verletzt ausnahmslos alle Menschen“. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
    Europa sendet ein Zeichen der Solidarität: Die Fahnen vor dem Gebäude der EU-Kommission hängen auf Halbmast.
    Europa sendet ein Zeichen der Solidarität: Die Fahnen vor dem Gebäude der EU-Kommission hängen auf Halbmast. © dpa | Olivier Hoslet
    Bundespräsident Joachim Gauck äußerte sich am Dienstagnachmittag im Schloss Bellevue zum Anschlag in Berlin:  „Der Hass der Täter wird uns nicht zu Hass verführen“, sagte Gauck.
    Bundespräsident Joachim Gauck äußerte sich am Dienstagnachmittag im Schloss Bellevue zum Anschlag in Berlin: „Der Hass der Täter wird uns nicht zu Hass verführen“, sagte Gauck. © dpa | Bernd von Jutrczenka
    Eine Blume steht im Foyer des brandenburgischen Landtages neben dem Kondolenzbuch für die Opfer des Anschlages.
    Eine Blume steht im Foyer des brandenburgischen Landtages neben dem Kondolenzbuch für die Opfer des Anschlages. © dpa | Ralf Hirschberger
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) besuchte zusammen mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD) am Dienstagnachmittag den Anschlagsort.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) besuchte zusammen mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD) am Dienstagnachmittag den Anschlagsort. © dpa | Michael Kappeler
    Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in stillem Gedenken an die Opfer.
    Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in stillem Gedenken an die Opfer. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
    Die Kanzlerin zeigt sich beim Trauergottesdienst in der Gedächtniskirche am Dienstagnachmittag sichtlich bewegt.
    Die Kanzlerin zeigt sich beim Trauergottesdienst in der Gedächtniskirche am Dienstagnachmittag sichtlich bewegt. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
    Der Anschlag hat laut diesem Plakat an der Gedächtniskirche „Das Herz Berlins getroffen“.
    Der Anschlag hat laut diesem Plakat an der Gedächtniskirche „Das Herz Berlins getroffen“. © dpa | Michael Kappeler
    Das französische Parlament hielt am Nachmittag eine Schweigeminute ab in Gedenken an die Opfer aus Berlin.
    Das französische Parlament hielt am Nachmittag eine Schweigeminute ab in Gedenken an die Opfer aus Berlin. © dpa | Christophe Petit Tesson
    Trauernde am Dienstagabend in der Nähe des Anschlagsorts.
    Trauernde am Dienstagabend in der Nähe des Anschlagsorts. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
    Hunderte Kerzen hatten sich an der Gedächtniskirche angesammelt, als die Sonne am Dienstag untergegangen war.
    Hunderte Kerzen hatten sich an der Gedächtniskirche angesammelt, als die Sonne am Dienstag untergegangen war. © Getty Images | Michele Tantussi
    Das  Brandenburger Tor erstrahlte am Dienstagabend in Schwarz-Rot-Gold.
    Das Brandenburger Tor erstrahlte am Dienstagabend in Schwarz-Rot-Gold. © Reto Klar
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