Berlin. Als Bundespräsident schrieb Roman Herzog mit der berühmten Berliner „Ruck-Rede“ Geschichte. Der Jurist starb im Alter von 82 Jahren.

Vor zwei Jahren, an einem genauso klirrend kalten Januartag wie jetzt, saß Roman Herzog in einer der ersten Stuhlreihen des Berliner Doms, um Abschied von seinem Vorgänger zu nehmen: Die Republik trauerte um Richard von Weizsäcker und Herzog war nach Berlin gekommen, um dabei zu sein.

So hager, dass man ihn erst auf den zweiten Blick erkannte, saß er neben seiner zweiten Ehefrau Alexandra Freifrau von Berlichingen. Damals war er 80 Jahre alt und hatte mehrere Operationen hinter sich. Zwei Jahre später, am Dienstagmorgen ist Altbundespräsident Herzog mit 82 Jahren in einem Krankenhaus in der Nähe von Heilbronn gestorben.

„Durch Deutschland muss ein Ruck gehen“

„Durch Deutschland muss ein Ruck gehen.“ Mit diesem Satz hat sich Herzog in die Geschichte der Bundesrepublik eingeschrieben. Vor 20 Jahren, im April 1997, las der Bundespräsident den Deutschen bei seiner Rede im Berliner Nobelhotel Adlon die Leviten: „Ein Gefühl der Lähmung liegt über unserer Gesellschaft“, beklagte Herzog. „Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen, alle müssen mitmachen.“

Zum Zeitpunkt seiner „Ruck-Rede“ war Herzog drei Jahre im Amt. Doch auch nach seinem Ausscheiden beklagte Herzog immer wieder Stillstand und Bequemlichkeit: „Die ganze Gesellschaft leidet bei uns an eingeschlafenen Füßen.“

„Roman Herzog hat Reformbereitschaft angemahnt, als die Bundesrepublik dieser Mahnung in besonderer Weise bedurfte“, sagte Bundespräsident Joachim Gauck am Dienstag. „Wie notwendig Veränderungen sind, um Wohlstand und soziale Sicherheit zu gewährleisten, hat er uns immer wieder vor Augen geführt.“

Im Rückblick steht die Ruck-Rede von 1997 am Abend einer Reformära: Ein Jahr nach dem Appell des CDU-Politikers Herzog endete die sechzehnjährige Regierungszeit von Helmut Kohl, SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder kam an die Macht – und setzte mit der Agenda 2010 eine der größten Reformen des deutschen Sozialsystems durch.

Tiefe Trauer um erste Frau Christiane

Herzog lebte zuletzt auf der Götzenburg bei Heilbronn – dem Familiensitz seiner zweiten Frau, Alexandra Freifrau von Berlichingen. Die beiden hatten im Jahr 2001 geheiratet, kannten sich aber schon seit Ende der 70er-Jahre. Herzog war damals Kultusminister von Baden-Württemberg und mit seiner ersten Frau Christiane verheiratet. Die Freifrau lebte bis zu dessen Tod an der Seite ihres Ehemannes Götz von Berlichingen, einem Nachfahren des legendären Haudegens, dem Goethe ein Denkmal gesetzt hatte.

Dem späten Glück mit der Freifrau ging die tiefe Trauer um seine Ehefrau Christiane voraus. Herzog war noch nicht lange Bundespräsident, da kam die Diagnose: Krebs. Es sei der ausdrückliche Wunsch seiner Frau gewesen, dass die Öffentlichkeit nichts davon erfahre, sagte Herzog später. Er habe in seinem ganzen Leben nie so viel lügen müssen. „Mir wäre es lieber gewesen, und mir wäre auch manches leichter gefallen, wenn wir es hätten anders machen können“, bekannte Herzog in einem Interview fünf Jahre nach dem Tod seiner Frau. Als Christiane Herzog im Juni 2000 starb, waren die beiden 42 Jahre verheiratet.

Ex-Bundespräsident Roman Herzog ist tot

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    Bundeskanzlerin Merkel würdigte Herzog

    Roman Herzog werde ihr fehlen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag – vor allem „seine unverwechselbare kluge Stimme und seine Fähigkeit, Probleme offen zu benennen und dabei Mut zu machen“.

    1994 dagegen war Herzog für die CDU-Spitze keinesfalls erste Wahl für das Amt des Bundespräsidenten: Kohls Favorit war der sächsische CDU-Politiker Steffen Heitmann. Erst als der wegen ultrakonservativer Aussagen zum Holocaust und über Frauen ausfiel, kam Herzog zum Zuge.

    Der gebürtige Bayer stand immer schon im Ruf des aufgeklärten, liberalen Konservativen. Mit Anfang 30, als Juraprofessor an der Freien Universität in Berlin, hatte er als Gutachter im Fall Benno Ohnesorg das Vorgehen der Polizei als rechtswidrig verurteilt.

    1970 trat Herzog in die CDU ein, 1983 wurde er zum Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts berufen, vier Jahre später rückte er in Karlsruhe an die Spitze des Richtergremiums. Als Bundespräsident führte er den 27. Januar als Holocaust-Gedenktag ein.

    Steinmeier: „Ein geradliniger, ehrlicher, kluger Mensch“

    „Ich habe Roman Herzog als einen geradlinigen, ehrlichen und klugen Menschen erlebt, der sich nicht scheute, auch harte Wahrheiten anzusprechen, aber auch seinen tiefsinnigen Humor niemals verlor“, sagte Außenminister Frank Walter Steinmeier (SPD), der nach dem Willen von Union und SPD im Februar zum Nachfolger von Bundespräsident Gauck gewählt werden soll.

    Klare Worte fand Herzog indes auch außerhalb der Politik: Der Reformstau in der Republik spiegelte sich sinnbildlich in seinem neuen Zuhause im Berliner Schloss Bellevue. Die 94 Quadratmeter große Dienstwohnung im Stil der fünfziger Jahre sei eine „Bruchbude“, schimpfte der Präsident, es stinke und ständig würden Licht und Strom ausfallen. Er musste es wissen: Die Herzogs waren das einzige Präsidentenpaar, das tatsächlich längere Zeit im Schloss lebte. Erst unter Herzogs Nachfolger Johannes Rau wurde das alte Gemäuer schließlich von Grund auf renoviert.

    Deutsche Bundespräsidenten seit 1949

    Theodor Heuss (FDP) war der erste Präsident der Bundesrepublik Deutschland. Er bekleidete das Amt von 1949 bis 1959. Heuss diente in der orientierungslosen Nachkriegszeit durch seine liberal-demokratische Haltung vielen Menschen als Vorbild. Für ihn waren „Demokratie und Freiheit nicht nur Worte, sondern lebensgestaltende Werte“. Auch im Ausland warb er mit Erfolg für das aufstrebende Deutschland.
    Theodor Heuss (FDP) war der erste Präsident der Bundesrepublik Deutschland. Er bekleidete das Amt von 1949 bis 1959. Heuss diente in der orientierungslosen Nachkriegszeit durch seine liberal-demokratische Haltung vielen Menschen als Vorbild. Für ihn waren „Demokratie und Freiheit nicht nur Worte, sondern lebensgestaltende Werte“. Auch im Ausland warb er mit Erfolg für das aufstrebende Deutschland. © © epd-bild / KEYSTONE | Pelikan
    Auch Heinrich Lübke (CDU) wurde für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Er war von 1959 bis 1969 der zweite Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesversammlung wählt den Bundespräsidenten für die Dauer von fünf Jahren. Nur eine einmalige Wiederwahl ist zulässig.
    Auch Heinrich Lübke (CDU) wurde für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Er war von 1959 bis 1969 der zweite Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesversammlung wählt den Bundespräsidenten für die Dauer von fünf Jahren. Nur eine einmalige Wiederwahl ist zulässig. © © epd-bild / Keystone | Keystone
    Zum dritten deutschen Bundespräsidenten wurde 1969 Gustav Heinemann (SPD) gewählt. Er führte das Amt fünf Jahre aus – bis 1974. Der Nationalökonom und Jurist, damals Mitglied der CDU, wurde am 20. September 1949 von Konrad Adenauer zum ersten Innenminister der Bundesrepublik berufen. 1957 trat Heinemann in die SPD ein und wurde Mitglied des Bundestages. Während der großen Koalition von 1966 bis 1969 amtierte er als Justizminister. Von 1949 bis 1955 leitete er als Präses die EKD-Synode; der rheinischen Kirchenleitung gehörte er von 1945 bis 1962, dem Rat der EKD bis 1961 an.
    Zum dritten deutschen Bundespräsidenten wurde 1969 Gustav Heinemann (SPD) gewählt. Er führte das Amt fünf Jahre aus – bis 1974. Der Nationalökonom und Jurist, damals Mitglied der CDU, wurde am 20. September 1949 von Konrad Adenauer zum ersten Innenminister der Bundesrepublik berufen. 1957 trat Heinemann in die SPD ein und wurde Mitglied des Bundestages. Während der großen Koalition von 1966 bis 1969 amtierte er als Justizminister. Von 1949 bis 1955 leitete er als Präses die EKD-Synode; der rheinischen Kirchenleitung gehörte er von 1945 bis 1962, dem Rat der EKD bis 1961 an. © © epd-bild / Keystone | Keystone
    Walter Scheel (FDP) war von 1974 bis 1979 im Amt und somit vierter Bundespräsident. Das Amt des Bundespräsidenten wird stark von der Persönlichkeit des Amtsinhabers geprägt. Trotz geringer Machtbefugnisse ...
    Walter Scheel (FDP) war von 1974 bis 1979 im Amt und somit vierter Bundespräsident. Das Amt des Bundespräsidenten wird stark von der Persönlichkeit des Amtsinhabers geprägt. Trotz geringer Machtbefugnisse ... © imago | Rainer Unkel
    ... verfügt dieser vor allem mit seinen Reden über erhebliche Möglichkeiten der öffentlichen Wirkung.
    ... verfügt dieser vor allem mit seinen Reden über erhebliche Möglichkeiten der öffentlichen Wirkung. © imago stock&people | teutopress
    Von 1979 bis 1984 bekleidete Karl Carstens (CDU) das höchste Amt im Staat.
    Von 1979 bis 1984 bekleidete Karl Carstens (CDU) das höchste Amt im Staat. © Sven Simon
    Richard von Weizsäcker (CDU) wurde auch für eine zweite Amtszeit wiedergewählt und war von 1984 bis 1994 deutscher Bundespräsident – der sechste in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
    Richard von Weizsäcker (CDU) wurde auch für eine zweite Amtszeit wiedergewählt und war von 1984 bis 1994 deutscher Bundespräsident – der sechste in der deutschen Nachkriegsgeschichte. © imago stock&people | Kraufmann&Kraufmann
    Roman Herzog (CDU) wurde 1994 von der Bundesversammlung zum siebten Bundespräsidenten gewählt und bekleidete das Amt bis 1999.
    Roman Herzog (CDU) wurde 1994 von der Bundesversammlung zum siebten Bundespräsidenten gewählt und bekleidete das Amt bis 1999. © Hoffmann
    Zweimal scheiterte Johannes Rau (SPD) bei dem Versuch, in die höchsten Staatsämter aufzusteigen: 1987 als Kanzlerkandidat und 1993 als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten. Am 23. Mai 1999 wurde Johannes Rau im zweiten Wahlgang zum neuen Bundespräsidenten und Nachfolger von Roman Herzog (CDU) gewählt. Er bekleidete das Amt bis 2004.
    Zweimal scheiterte Johannes Rau (SPD) bei dem Versuch, in die höchsten Staatsämter aufzusteigen: 1987 als Kanzlerkandidat und 1993 als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten. Am 23. Mai 1999 wurde Johannes Rau im zweiten Wahlgang zum neuen Bundespräsidenten und Nachfolger von Roman Herzog (CDU) gewählt. Er bekleidete das Amt bis 2004. © © epd-bild / Norbert Neetz | Neetz, Norbert
    Große Reputation bei den Landsleuten und im Ausland erwarb der neunte Bundespräsident Horst Köhler (CDU) von 2004 bis 2010. Köhler trat ein Jahr nach seiner Wiederwahl überraschend am 31. Mai 2010 zurück. Sein Nachfolger ...
    Große Reputation bei den Landsleuten und im Ausland erwarb der neunte Bundespräsident Horst Köhler (CDU) von 2004 bis 2010. Köhler trat ein Jahr nach seiner Wiederwahl überraschend am 31. Mai 2010 zurück. Sein Nachfolger ... © © epd-bild/Peter Endig/dpa-Poolf | Peter Endig
    ... Christian Wulff (CDU) hielt es nur zwei Jahre (2010 bis 2012) im Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten Schloss Bellevue in Berlin aus. Er erklärte im Februar 2012 nach knapp 20 Monaten im Amt seinen Rücktritt. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft ...
    ... Christian Wulff (CDU) hielt es nur zwei Jahre (2010 bis 2012) im Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten Schloss Bellevue in Berlin aus. Er erklärte im Februar 2012 nach knapp 20 Monaten im Amt seinen Rücktritt. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft ... © REUTERS | REUTERS / FABIAN BIMMER
    ... Ermittlungen wegen des Verdachts der Vorteilsannahme gegen ihn eingeleitet. Der Verdacht erhärtete sich jedoch nicht, die Ermittlungen wurden eingestellt.
    ... Ermittlungen wegen des Verdachts der Vorteilsannahme gegen ihn eingeleitet. Der Verdacht erhärtete sich jedoch nicht, die Ermittlungen wurden eingestellt. © REUTERS | REUTERS / POOL
    Am 18. März 2012 wählte die Bundesversammlung Joachim Gauck zum elften Präsidenten der Bundesrepublik. Am 6. Juni 2016 erklärte der parteilose 77-jährige Amtsinhaber öffentlich, ...
    Am 18. März 2012 wählte die Bundesversammlung Joachim Gauck zum elften Präsidenten der Bundesrepublik. Am 6. Juni 2016 erklärte der parteilose 77-jährige Amtsinhaber öffentlich, ... © Getty Images | Sean Gallup
    ... aus Altersgründen nicht erneut kandidieren zu wollen. „Ich möchte für eine erneute Zeitspanne von fünf Jahren nicht eine Energie und Vitalität voraussetzen, für die ich nicht garantieren kann“. Gaucks Amtszeit endet offiziell am 18. März.
    ... aus Altersgründen nicht erneut kandidieren zu wollen. „Ich möchte für eine erneute Zeitspanne von fünf Jahren nicht eine Energie und Vitalität voraussetzen, für die ich nicht garantieren kann“. Gaucks Amtszeit endet offiziell am 18. März. © dpa | Fredrik Von Erichsen
    Frank-Walter Steinmeier ist am 12. Februar von der Bundesversammlung in Berlin im ersten Wahlgang mit 931 von 1239 gültigen Stimmen zum Nachfolger Gaucks und somit zum zwölften Bundespräsidenten gewählt worden.
    Frank-Walter Steinmeier ist am 12. Februar von der Bundesversammlung in Berlin im ersten Wahlgang mit 931 von 1239 gültigen Stimmen zum Nachfolger Gaucks und somit zum zwölften Bundespräsidenten gewählt worden. © dpa | Kay Nietfeld
    Der 61-Jährige stammt aus dem nordrhein-westfälischen Brakelsiek. Seine politische Karriere begann Steinmeier 1993 als Büroleiter des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten und späteren Kanzlers Gerhard Schröder (SPD). Später war er Kanzleramtschef und bereits in der großen Koalition von 2005 bis 2009 Außenminister.
    Der 61-Jährige stammt aus dem nordrhein-westfälischen Brakelsiek. Seine politische Karriere begann Steinmeier 1993 als Büroleiter des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten und späteren Kanzlers Gerhard Schröder (SPD). Später war er Kanzleramtschef und bereits in der großen Koalition von 2005 bis 2009 Außenminister. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
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