Berlin. Navid B. war nach dem Berliner Anschlag als Verdächtiger festgenommen worden. Nun spricht er über die Zeit. Er fürchtet um sein Leben.
- Unmittelbar nach dem Berliner Anschlag wurde der Pakistaner Navid B. festgenommen
- Viele Stunden galt er als Hauptverdächtiger des Terrorakts auf dem Berliner Weihnachtsmarkt
- Nun erhebt der 24-Jährige in einem Interview schwere Vorwürfe gegen deutsche Polizisten
Nur wenige Stunden nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember hatte die Polizei einen Verdächtigen präsentiert. Navid B., Pakistaner und Flüchtling, war in der Nähe des Tatorts festgenommen worden.
Fälschlicherweise, wie sich später herausstellte. Navid B. wurde wieder auf freien Fuß gesetzt und Anis Amri als mutmaßlicher Attentäter ermittelt. In einem Gespräch mit dem britischen „Guardian“ erzählt der Pakistaner nun von seiner Festnahme.
Am Abend des 19. Dezember sei er schnell über eine Straße gerannt, weil er seine U-Bahn in Richtung Flüchtlingsunterkunft hatte erwischen wollen, als ein Polizeiwagen neben ihm anhielt. Er hätte daraufhin angehalten und habe sich ausgewiesen. Die Polizisten hätten ihm dann die Hände auf den Rücken gefesselt und mitgenommen, berichtet Navid B. der Zeitung.
Navid B. wurde gefesselt und entkleidet
Später in der Nacht seien ihm die Augen verbunden und er sei von der Polizeistation zu einem anderen Ort gebracht worden. Navid B. erinnert sich in dem Gespräch daran, wie ihm Polizisten „die Hacken ihrer Schuhe gegen meine Füße gedrückt“ hätten, einer von ihnen habe „großen Druck mit der Hand auf meinen Nacken ausgeübt“.
Navid B. erzählt, dass er entkleidet und Fotos von ihm gemacht wurden. „Als ich versuchte, mich zu wehren, begannen sie mich zu schlagen,“ zitiert der „Guardian“ den Pakistaner. In der Vernehmung habe er den Beamten erklärt, dass er nicht wisse, was passiert sei. Als die Ermittler ihm dann erklärten, was an dem Abend in Berlin geschehen sei, habe er ruhig geantwortet, dass er gar nicht fahren könne. Er wüsste nicht mal, wie man ein Auto starte.
„Ich sagte ihnen, dass es Tod und Krieg in meinem Heimatland gebe, deswegen bin ich geflohen und suche Hilfe. Ihr in Deutschland versorgt uns mit Nahrung, Medizin und Sicherheit. Ihr seid wie meine Mutter. Sollte ich diese Dinge getan haben, dann solltet ihr mir keinen leichten Tod ermöglichen, ihr solltet mich langsam aufschneiden“, will Navid B. dem „Guardian“ zufolge der Polizei gesagt haben.
Auch in einem vorherigen Gespräch mit der „Welt am Sonntag“ hatte B. schon seine Unschuld beteuert. Der Polizei hatte er da aber noch keine Vorwürfe gemacht.
Pakistaner gehört Unabhängigkeitsbewegung an
So erklärt Navid B. im „Guardian“, er habe in Polizeigewahrsam nur Tee und Kekse als Essen erhalten. Er habe auf einem Holzbett ohne Matratze schlafen müssen, in der ersten Nacht seien seine Hände hinter seinem Rücken gefesselt gewesen.
Schnell gab es aber Zweifel an seiner Schuld, die im Lkw gefundenen Blutspuren stimmten nicht mit der Blutprobe des Pakistaners überein. Navid B. wurde wieder freigelassen und in ein Hotel gebracht, das er nur verlassen darf, wenn er es der Polizei mitteilt. Nicht, weil er noch unter Verdacht steht, sondern weil sein Leben in Gefahr sei, so der 24-Jährige.
So gibt Navid B. in dem Interview an, dass er einer Bewegung angehört, die die Unabhängigkeit für die Region Belutschistan fordert. Belutschistan ist die an Bodenschätzen reichste Region Pakistans, die Menschen dort gehören aber zu den Ärmsten. Unabhängigkeitskämpfer werden laut Amnesty International vom pakistanischen Militär verfolgt, gefoltert und getötet.
Angst vor Rechtsradikalen
Seit seiner Festnahme ist Navid B. untergetaucht. In seine Flüchtlingsunterkunft in Tempelhof kann er nicht zurückkehren, er fürchtet sich vor Übergriffen durch pakistanische Nationalisten, die ihn als Feind des Staates ansehen könnten, oder Rechtsradikalen aus Deutschland. Denn sowohl sein Name als auch sein Foto sind publik.
Dass er nun öffentlich im „Guardian“ auftritt, seinen vollständigen Namen nennt und sich ablichten lässt, erscheint unter diesen Umständen fragwürdig und kann kritisiert werden. Doch er habe seine Geschichte erzählen wollen, erklärt Navid B., weil er hoffe, besser verstanden zu werden – und um sich wieder sicherer zu fühlen.
Die Berliner Polizei weist die Vorwürfe zurück. „Das hat nicht den Hauch von Substanz“, sagte Sprecher Winfrid Wenzel am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. „Der Mann ist definitiv von keinem Mitarbeiter misshandelt worden.“ Wenzel betonte, die Polizei habe einen „sehr guten, wechselseitigen Kontakt“ zu dem Mann.
Navid B. entkräftigt Vorwürfe
In einem Gespräch mit der Polizei habe dieser am Freitag selbst betont, dass er weder geschlagen, misshandelt oder verletzt worden sei. Auch Martin Pallgen, Sprecher von Innensenator Andreas Geisel (SPD) twitterte, dass Navid B. seine Vorwürfe zurückgezogen habe.
Wie die Polizei am Nachmittag mitteilte, habe der Pakistaner auch das Interview mit dem „Guardian“ bestätig, das in Berlin in einer Pizzeria stattgefunden habe. Als „Sprachmittler“ habe ein Bekannter des Navid B. agiert, der ebenfalls aus Pakistan stammen würde. Ein fachkompetenter Übersetzer sei demnach in der Pizzeria nicht zugegen gewesen.
Die Deutsche Presse-Agentur hatte berichtet, dass der Pakistaner nach der Freilassung an einen sicheren Ort gebracht worden war, damit Asylgegner ihn nicht angreifen können. Im Artikel heißt es, er solle dort zwei weitere Monate bleiben. Er bekomme Essen geliefert und müsse die Polizei benachrichtigen, wenn er hinausgehe.
Trauer um Opfer des Anschlags von Berlin
(jha/dpa/BM)