Berlin. Die Kanzlerin stellte sich am Donnerstagabend im ZDF den Bürgern. Dabei wurden drei Unterschiede zu ihrem Herausforderer deutlich.

Angela Merkel wird gerne vorgeworfen, dass sie im direkten Kontakt mit den Bürgern und dem politischen Gegnern Nerven zeigt. Deshalb galt das TV-Duell mit Martin Schulz als große Chance für den Sozialdemokraten. Und deswegen sind die „Townhall“-Formate, bei denen sich die beiden Spitzenkandidaten dieser Tage den normalen Bürgern stellen, für die Kanzlerin nicht ungefährlich.

Allein, bisher hat sich Merkel immer solide geschlagen. Herangekarrte rechte Pöbler lächelte sie auf Wahlkampfveranstaltungen weg, Schulz hielt sie beim TV-Duell in Schach – und bei den Bürger-Sendungen machte sie bisher auch keine schlechte Figur. Blieb das auch am Donnerstagabend so, als Merkel sich bei „Klartext“ im ZDF den Bürgern stellte? Im Vergleich zum Schulz-Auftritt vom Mittwoch wurden drei große Unterschiede deutlich.

Unterschied I: Schärfere Fragen

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mit einem eher zurückhaltenden Publikum zu tun hatte, traf die Kanzlerin auf durchaus hartnäckige und kritische Bürger. Ein junger Mann etwa wollte wissen, warum Merkel den Staatstrojaner toleriere und setzte sie mit guten Nachfragen unter Druck („Sind Sie selber ein bisschen Hacker?“, fragte die Kanzlerin). Flüchtlinge fragten nach ihrer Perspektive und dem Grund für politische Entscheidungen wie dem ausgesetzten Familiennachzug.

Ins Schlingern geriet die Kanzlerin aber nur, als eine Fragestellerin sie attackierte, weil das deutsche Rentensystem nach wie vor Geringverdiener stark benachteiligt. „Liegt es daran, dass Sie fürchten, dann auch mehr einzahlen zu müssen?“, fragte die Reinigungskraft mit Blick auf die verschleppte große Rentenreform. Zwar diskreditierte die Frau damit ihr sehr legitimes Anliegen. Außer einem Verweis auf die Grundsicherung konnte Merkel ihr aber auch nicht viel anbieten – kein Wunder, schließlich hat die Union das Thema systematisch unter den Teppich gekehrt.

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    Bei den Fragen einer besorgten Bürgerin schlug sich Merkel dagegen besser. Was sie denn gegen die demographische Schieflage, die durch die vielen männlichen Migranten entstanden sei, gedenke zu tun, wollte die Fragenstellerin von Merkel wissen. Schließlich sei Frauenmangel immer gefährlich. Auch seien die sexuellen Übergriffe durch die Flüchtlinge massiv gestiegen.

    „Das ist kein Tabuthema, es wird ja darüber gesprochen und geschrieben“, antwortete Merkel. Auch sei es nicht so, dass die Statistiken generell gestiegen seien. Klar sei aber, dass die Straftaten hart geahndet und das Straftäter abgeschoben werden müssten. „Das was Sie als großes demographisches Problem darstellen, das sehe ich nicht“, sagte Merkel am Ende unter Dauerapplaus des Publikums. Auch solle man nicht alle Flüchtlinge unter einen Generalverdacht stellen. „Wenn wir wollen, dass die Menschen sich integrieren, muss jeder als einzelne Person angesehen werden.“

    Unterschied II: Weniger direkter Kontakt

    Anders als Schulz suchte Merkel bei ihren Antworten nicht permanent den Schulterschluss mit dem Publikum. Das galt sowohl inhaltlich als auch körperlich. So widersprach die Kanzlerin nicht nur der besorgten Bürgerin, sondern beispielsweise auch einem afghanischen Flüchtling: „Wir können nicht jedem das Zeichen geben, dass er nur kommen muss und dann bleiben kann.“ Und der Reinigungskraft sagte sie: „Es ist nun auch nicht so, dass alle Rentner in Deutschland schlecht leben.“

    Auch physisch blieb Merkel stärker auf Distanz. Während Schulz am Mittwoch jeden Fragesteller mit Handschlag begrüßte und sich zu ihm setzte, stand die Kanzlerin die ganze Zeit im Zentrum des Studios an ihrem Tisch.

    Unterschied III: Inhalte statt Geld

    Schließlich wurde auch ein großer inhaltlicher Unterschied zwischen Merkel und Schulz deutlich: Der Herausforderer versprach bei seinem „Klartext“-Auftritt für viele Probleme eine schnelle Lösung mit mehr Geld, die Kanzlerin tat das kaum.

    In dieser Hinsicht zeigten sich die unterschiedlichen Ausgangslagen. Während Schulz starke Kritik an den Zuständen üben und auch gleich eigene Lösungen anbieten muss, kann Merkel ständig auf ihr Regierungshandeln verweisen. Tenor: Ja es gibt Probleme, aber meine Regierung hat bereits einiges auf den Weg gebracht – und so wird es weitergehen.

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      Das Fazit

      Wenn Martin Schulz aus dem Auftritt etwas für den Schlussspurt des Wahlkampfes lernen kann, dann dass die Union beim Thema Rente unglaublich angreifbar ist. Angela Merkel ließ auch bei „Klartext“ nicht erkennen, welche Idee sie für die Zukunft der Altersvorsorge hat. Ansonsten wirkte sie aber aus ihrer Position als Kanzlerin heraus erneut kompetenter und differenzierter als ihr Herausforderer.

      Abseits davon bestätigte der Auftritt, dass Merkel im Umgang mit den Bürgern tatsächlich steifer ist als Schulz. Das hat aber auch Vorteile: Wenn es dann doch mal persönlich wurde, hatte sie gleich alle Sympathien auf ihrer Seite.

      Etwa als Merkel bekundete, Salami lieber als Schokolade zu mögen. Und sich zu ihren künftigen Kleiderplänen äußert: „Im Ruhestand würde ich schon mal Jeans anziehen, aber eher weniger Röcke.“

      Zur Ausgabe von „Klartext, Angela Merkel“ in der ZDF-Mediathek.