Berlin. Rechtsextreme treiben ihren braunen Kult – und der Verfassungsschutz schaut zu. Realistisch? Der „Tatort: Sonnenwende“ im Faktencheck.
Der „Tatort: Sonnenwende“ am Sonntag wagte sich auf brisantes Terrain. Heimattreue Schwarzwald-Bauern, die einer kruden Blut-und-Boden-Ideologie anhängen, Zuwanderung ablehnen und sich selbst als „ein Bollwerk gegen den Volkstod“ und gegen die „Umvolkung“ betrachten. Sie hetzen gegen Ausländern, treffen sich nachts beim Fackelschein, singen alte Nazi-Lieder. Und mittendrin spielt ein V-Mann des Verfassungsschutzes eine zwielichtige Rolle.
Verbindungs-Leute die kräftig mitmischen in der rechten Szene, Verfassungsschützer, die Akten schreddern, als die Sache aufzufliegen droht. Und alles zum angeblichen „Staatswohl“ – was ist dran an der Story von den Grenzgängern zwischen Verfassungsschutz und Verfassungsfeinden? Der „Tatort: Sonnenwende“ im Faktencheck.
V-Leute von Polizei oder Verfassungsschutz in der rechtsextremen Szene spielten schon mehrfach eine wichtige, oft brisante Rolle im ganz realen Leben.
• Das gescheiterte NPD-Verbot
Nach einigem Zögern entschlossen sich im Jahr 2000 Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat beim Bundesverfassungsgericht ein Verbot der rechten NPD zu beantragen. Bei einer mündlichen im Anhörung im Februar 2002 gab es dazu eine Anhörung, zu der das Gericht auch einige NPD-Funktionäre geladen hatte. Einer wartete mit einer Überraschung auf.
Einer der Partei-Funktionäre enthüllte vor Gericht, dass er ein V-Mann des Verfassungsschutzes war. Damit nicht genug. In den folgenden Wochen räumte die Regierung ein, bis zu 15 Prozent der NPD-Vorstandsmitglieder in Bund und Ländern arbeiteten für die Verfassungsschützer. Und: Im Verbotsantrag waren Aussagen von neun V-Leuten als Beleg für die grundgesetzwidrige Haltung der NPD zitiert. Wurden hier Informanten zu Tätern?
Einige der Karlsruher Richter sahen das so – und stellten das Verfahren ein. Sie sprachen von einer „doppelten Loyalität“ der V-Leute. Das NPD-Verbot war gescheitert, die Politik blamiert.
Der „Tatort: Sonnenwende“ in Bildern
• Die Pannen im Fall NSU
Dem rechtsextremen Nationalsozialistische Untergrund (NSU) werden insgesamt zehn Morde zwischen 2000 und 2007 zur Last gelegt. Als Haupttäter gelten die 2011 bei einem Brand getöteten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sowie Beate Zschäpe, gegen die seit fünf Jahren in München verhandelt wird. Die Opfer waren neun Migranten und eine Polizistin. Die Behörden ermittelten jahrelang in andere Richtungen – obwohl die Spur zu den Rechtsextremen nach meiner vieler Experten erkennbar hätte sein müsse. Auch dank der V-Leute.
Die Nachrichtendienste hatten die rechte Szene nämlich jahrelang beobachtet und durch V-Leute im Umfeld des NSU auch indirekt finanziell gefördert. Anwälte der NSU-Opfer im Zschäpe-Prozess sprechen von mehr als 30 V-Leuten, die der Verfassungsschutz rund um das NSU-Trio postiert hatte.
Der Publizist Stefan Aust hat recherchiert, dass NSU-Mann Mundlos über einen längeren Zeitraum in einer Baufirma arbeitete, „und diese Baufirma gehörte einem V-Mann des Verfassungsschutzes“. Zufall? Nachdem der NSU 2011 aufgeflogen war, so Aust weiter, schredderte ein Verfassungsschutzmitarbeiter V-Mann-Akten, die im Zusammenhang mit dem NSU standen. Was sollte da vertuscht werden?
• Die Konsequenzen
Auch aufgrund des Umgangs mit V-Leuten traten die Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz sowie der Landesverfassungsschutzämter von Thüringen, Sachsen und Berlin zurück.
In Thüringen löste 2015 die Landesregierung das Landesamt für Verfassungsschutz auf und integrierte den Verfassungsschutz ins Innenministerium. Und: Die V-Leute wurden weitgehend „abgeschaltet“ – bundesweit ein bis dahin einmaliger Vorgang. Doch die Kehrtwende folgte.
Im März 2016 erklärte der Thüringer Verfassungsschutz-Präsident Stephan Kramer, er werde wieder V-Leute in der rechten Szene einsetzen. Der Einsatz von V-Leuten sei zwar „hoch risikobehaftet“, räumte damals Kramer ein. „Aber am Ende des Tages kommt es darauf an, dass wir an diese Informationen rankommen, und wenn Technik versagt, wenn wir andere Quellen nicht haben, dann müssen wir auch zu V-Leuten greifen.“
• Das Fazit zum „Tatort: Sonnenwende“
Die Existenz eines V-Manns in der rechtsextremen Szene ist absolut realistisch. Auch die ambivalente Haltung des V-Mannes, bei dem die Grenzen zwischen Recht und Unrecht immer unscharfer werden, ist plausibel. Wie sagten die Karlsruher Richter im ersten NPD-Verfahren: Bei V-Leuten gebe es eine „doppelte Loyalität“. So wie im „Tatort“ aus dem Schwarzwald.