Berlin. Nicht Experten oder Medienleute, sondern Betroffene kamen am Mittwoch bei „Maischberger“ in der ARD zu Wort. Es ging um Obdachlose.

Die beste Botschaft kommt zum Schluss: „Jeder von uns kann sich überlegen, ob es nicht irgendeinen Verrückten in seinem Haus gibt, bei dem er mal klingeln und seine Hilfe anbieten könnte.“ Sagt die warmherzige Ortrud Wohlwend von der Berliner Bahnhofsmission und meint mit den Verrückten all jene, die unter prekären Bedingungen und in Armut leben, vielleicht gerade noch so ihre Wohnung halten können, aber mit vielem anderen überfordert sind.

Viele Rentnerinnen und Rentner sind unter ihnen, erzählt Wohlwend, die dann zu ihren Kollegen in die Mission kommen und um Hilfe in Form von Lebensmitteln oder Medikamenten bitten, da die Miete alle Einnahmen schluckt. „Wir haben eine Verpflichtung, Menschen in Not zu helfen“, sagt Wohlwend. Einen Schuldigen könne man später immer noch suchen.

Wie man im Winter draußen schläft

Es war am Mittwochabend in der ARD eine nicht ganz gewöhnliche Sendung von „Maischberger“. Denn das Thema „Ganz unten: Wie schnell wird man obdachlos?“ wurde zur Abwechslung einmal nicht aus der Makroebene angegangen, mit selbsternannten Expertinnen und Experten aus Politik und Wirtschaft.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Nein, Expertise hieß in dieser Sendung, zu wissen, wie man im tiefsten Winter draußen schläft und nicht erfriert, wie man sich sauber hält, damit einen die Security-Mitarbeiter bei Lidl an den Pfandautomaten lassen. Expertise hieß auch, seinen Schlafsack niemals zuzumachen, falls jemand auf die nicht unübliche Idee kommen sollte, ihn anzuzünden.

Berichte vom Leben auf der Straße

Eingeladen hatte Sandra Maischberger neben Wohlwend zwei ehemalige Obdachlose, Jaqueline Kessler und Klaus Seilwinder. Dazu die „Tagesschau“-Sprecherin Judith Rakers, die sich seit langem für Obdachlose engagiert, den Armutsforscher Christoph Butterwegge sowie die Wirtschaftsjournalistin Dorothea Siems.

Jeweils rund 15 Minuten erzählten Kessler, die mit ihren 26 Jahren bereits viel erlebt hat, und Seilwinder (61) von ihren Jahren auf der Straße. Maischberger hörte die meiste Zeit zu, stellte nur selten Fragen. Wo es die Gäste vor lauter Debattenwut und Anschuldigungseifer sonst kaum auf der Stuhlkante hält, ging es diesmal respektvoll ruhig zu.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

„Ich wollte immer nur frei sein“

Die Geschichten von Kessler und Seilwinder ähnelten sich insofern, als dass sie zeigten: Der Absturz ist viel einfacher, als man denkt. Vor Lebenskrisen und biografischen Brüchen ist keiner gefeit, dann reichen ein paar unglückliche Entscheidungen.

Bei Seilwinder ist es ein etwas stures Naturell und der Hang zum Hochprozentigen, bei Kessler die Abenteuerlust der damals 17-Jährigen: „Ich wusste nicht, wie ich meinen Weg gestalten soll, wer ich sein will. Ich wollte immer nur frei sein, ohne Regeln, ohne Gesetze.“ Mit solchen Sätzen können sich wohl die meisten Jugendlichen identifizieren.

Drei Kinder in die Pflege gegeben

Nach Jahren auf der Straße, in Gartenlauben und Frauenhäusern lebt Kessler seit letztem Jahr wieder in einer eigenen Wohnung. Sie hofft, ihre drei Kinder, die sie freiwillig in Pflege gegeben hat, irgendwann wieder zu sich holen zu können.

Seilwinder lebte in Berlin lange vom Flaschensammeln, Dienstags und Freitags duschte er im Franziskaner Kloster und wusch seine Wäsche, er schlief in Camps, auf Bänken und hatte sich eingerichtet in diesem Leben.

Ein Gesicht wie ein gepflügter Acker

Sein größtes Problem, erzählte er, war das Unwissen darum, wie der Wiedereinstieg in die Gesellschaft überhaupt gelingen kann: „Du existierst nicht für den Staat, wenn du keine Papiere hast. Allein Rauszukriegen, an wen ich mich wenden muss, um einen Personalausweis zu beantragen, war schon schwer.“

Seilwinder ist ein guter Erzähler und arbeitet heute in einem alternativen Stadtführungsprogramm mit, im Rahmen dessen er Menschen an die Orte seiner Obdachlosigkeit führt und von seinem Leben erzählte. Sein lebensgegerbtes Gesicht wirkte wie ein frisch umgepflügter Acker, aber die Augen funkeln wach und stets etwas belustigt.

Der Disput kam zum Schluss

Nach den autobiografischen Schilderungen von Kessler und Seilwiege kam dann doch noch kurz die soziologische Makroebene in Form der Wirtschaftsjournalistin Siems und dem Armutsforscher Butterwegge ins Spiel, die sich – zu eng auf einem Sofa zusammen gruppiert – innerhalb von Sekunden in die Haare kriegten.

Ihr Disput ließ sich als Pro und Contra zu Obdachlosigkeit als strukturellem Problem zusammenfassen, wobei Butterwegge mit seiner Robin-Hood-Attitüde (Ungenutzten Wohnraum beschlagnahmen etc.) wie immer eine grundsympathische Figur abgibt. Doch dieser Abend gehörte eindeutig nicht den Forschern und Journalisten.