Berlin. In „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ wird Zeitgeschichte als Liebesromanze gezeigt. Der Film enthält spannende Lektionen.

Eine Revolution als Liebesgeschichte erzählen – geht das? Ja, sogar erstaunlich gut, wie „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ zeigt, die am 27. April in der ARD ausgestrahlt wird. Die junge Franka (Janina Fautz) will da eines Abends im Leipzig des Jahres 1988 mit ihrer besten Freundin zum Tanzabend.

Doch auf der dunklen Straße werden die beiden Zeugen, wie ein junger Mann auf einem Fahrrad vor der Volkspolizei flieht. Und trotz der Verfolgung bleibt ein kurzer Blickkontakt zwischen Franka und Thomas (Ferdinand Lehmann). Der berühmte coup de foudre, Liebe auf den ersten Blick.

Statt zum Tanz gehen die Mädchen erst mal in die Kirche. Denn der fremde Junge hat bei der Verfolgung eine Tasche mit Flugblättern verloren. Die wollen sie ihm zurückbringen. So landen sie in einer Umweltandacht. Doch während die Freundin das bald langweilt und sie doch lieber tanzen geht, bleibt Franka. Lernt Stefan kennen. Und mit ihm andere junge Menschen, die nicht still sein wollen, sondern aufmucken. Gegen die Umweltsünden überall.

Leipzig 1988: Erste Liebe und politische Bewusstseinswerdung

Es ist kein Zufall, dass Leipzig und nicht etwa Dresden oder Rostock zur „Heldenstadt“ wurde: Wegen der Nähe zu den Chemiewerken von Bitterfeld und Leuna, war die Luft hier am schmutzigsten, waren die Gewässer am verdrecktesten. Bis es den Volksgenossen des Arbeiter- und Bauernstaates buchstäblich gestunken hat. Und da man sonst nirgends Räumlichkeiten für öffentliche Versammlungen bekommen hätte, traf man sich halt in der Kirche. Auch interessant: Oscars 2021: Das sind die Gewinner des wichtigen Filmpreises

Am Mittwoch wird „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ im Ersten ausgestrahlt und ist in der ARD-Mediathek zu sehen.
Am Mittwoch wird „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ im Ersten ausgestrahlt und ist in der ARD-Mediathek zu sehen. © MDR/UFA Fiction/Steffen Junghans | Steffen Junghans

Für die junge Franka ist das ein Erweckungsmoment. Der Schritt in die Erwachsenenwelt, die erste Liebe, all das fällt zusammen mit der politischen Bewusstseinswerdung. Durch die Umweltgruppe lernt sie plötzlich ein Paralleluniversum kennen: junge Menschen, die in einem besetzten Haus in einer Kommune leben und mutig Protestaktionen organisieren.

Stets argwöhnisch belauert von der Stasi. Dabei liegt den Aktivisten nicht nur die Umwelt am Herzen, der Widerstand gegen die offensichtlichen, aber verleugneten Umweltsünden ist auch ein Ventil, um den allgemeinen politischen Missmut zu bekunden und gegen das Staatssystem aufzubegehren. Lesen

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Bei Franka spielt noch ein altes Trauma mit: Ihr kleiner Bruder ist nur fünf Jahre alt geworden, weil sie früher in Bitterfeld gelebt hatten und er an Pseudokrupp starb. Der Vater (Alexander Hörbe) ist darüber in die innere Emigration verstummt, die Mutter (Inka Friedrich) hat sich zur systemtreuen Genossin gewandelt. Aber animiert durch ihre neuen Freunde, will Franka nicht länger opportun mitlaufen. Auch interessant: Warum Matthias Koeberlin kein Tatort-Kommissar werden wollte

In der Schule eckt sie mit provokanten Aussagen an, bald marschiert sie ganz vorn bei einer Demonstration zur verdreckten Pleiße. Und selbst die linientreue Mutter, die die Tochter sogar für die Stasi anwerben soll, wird geradezu auf den Marktplatz getrieben, wo 1200 Menschen erstmals gegen den Staat auf die Straße gehen. Die erste Montagsdemonstration in Leipzig, die bekanntlich zur Friedlichen Revolution führte und die DDR zu Fall brachte.

Geschichte der Umweltgruppe als Dreh- und Angelpunkt

Klar, es ist nicht dieses Romeo- und Julia-Paar, das die Mauer niederriss. Und die Umweltgruppe war auch nur eine von vielen Initiativen, die zu den Montagsdemos führten. Aber die wenigsten wissen heute, dass der Protest gegen die SED-Obrigkeit als Umweltbewegung begann und erst allmählich immer politischer wurde.

Peter Wensierski hat sich in seinem gleichnamigen Sachbuch, das nicht von ungefähr an Milan Kunderas berühmten Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ erinnert, bewusst auf die Geschichte dieser einen Gruppe konzentriert. Lesen Sie hier: Erfrischend anders: Emily Atefs starkes ARD-Drama „Jackpot“

Vor einigen Jahren veröffentlichte Peter Wensierski das Buch „Die Unheimliche Leichtigkeit der Revolution“.
Vor einigen Jahren veröffentlichte Peter Wensierski das Buch „Die Unheimliche Leichtigkeit der Revolution“. © DVA-Verlag

Und Drehbuchautor Thomas Kirchner, der sich schon in den Romanadaptionen „Der Turm“ und „Kruso“ mit dem Niedergang der DDR auseinandergesetzt hat, hat das nicht etwa als Dokudrama konzipiert, sondern den Ausschnitt noch weiter begrenzt auf zwei Herzen, die sich im Kampf um die Freiheit auch noch für einander öffnen.

Film überzeugt mit jungen, glaubhaften Hauptdarstellern

Das hätte, zugegeben, auch ganz schön in die Hose gehen können: Geschichte als Schmonzettenhintergrund. Doch Regisseur Andy Fletscher hat daraus keine unheimliche Seichtigkeit gemacht. Derartige Untiefen umging er mit großer Sicherheit. Er hat auch nicht direkt in der Nikolaikirche gedreht, sondern in der Kirchengemeinde Connewitz Lößnig – stellvertretend für alle Kirchen, die ihre Türen geöffnet haben.

Und er fand junge, glaubhafte Hauptdarsteller, denen man ihr Spiel abnimmt, auch wenn sie diese Zeit nur aus den Geschichtsbüchern kennen können: Ferdinand Lehmann („Weissensee“), Janina Fautz („Suchkind 612“) und Timur Bartels („Club der roten Bänder“).

Eine starke Geschichtslektion – gerade für junge Menschen

„Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ ist eine starke Geschichtslektion gerade für junge Menschen – weil sie so emotional erzählt wird. Und es spricht sehr für die Produktion, dass sie nicht für irgendeinen Jahrestag erstellt wurde. Sicher, der allgegenwärtige Überwachungsstaat und die rigiden Repressionen der Stasi hätte man noch stärker herausstellen müssen. Aber die Filmemacher wollten auch eine Brücke zum Heute schlagen und Parallelen zur Fridays-for-Future-Bewegung andeuten.

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    Der Film sei „auch als Inspiration, nicht nur als Zeitzeugnis gemeint“, so Ferdinand Lehmann: weil er belege, dass Bewusstsein, gebündelte Kräfte und Aktionsgeist „Großes bewirkt haben und Großes bewirken können“. Auch bei Fridays for Future gehe es heute um einen scheinbar übermächtigen Gegner, ergänzt Janina Fautz. Und so historisch ihre Geschichte auch sei, zeige sie vor allem, „dass auch wenige die Macht haben, etwas zu verändern, sogar ein komplettes System zum Einsturz zu bringen.“

    „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“: ZDF, 28. April, 20.15 Uhr

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