Berlin. Prof. Boerne ist im „Münster“-Tatort zwischen Leben und Tod gefangen. Wie realistisch ist ein Anschlag mit Insulin? Ein Faktencheck.

So schnell kann das gehen. Gerade noch hatte Prof. Karl-Friedrich Boerne mit seinen Kollegen beim besten Italiener von Münster getafelt. Schon liegt er tot im Graben. Oder wenigstens, so gut wie: Während die Rettungskräfte den komatösen Pathologen aus dem umgekippten Auto ziehen und auf die Intensivstation bringen – schaut Boerne verwundert zu, unhörbar, unsichtbar für alle Lebenden.

Es ist eine Nahtod-Erfahrung, die er mit vielen Filmfiguren teilt. Aus diesem Zwischenreich heraus, wo man nicht mehr Fleisch, nur noch Seele ist, hat schon Woody Allen in „Scoop – Der Knüller“ (2006) versucht, seinen Mörder zu überführen. Und Patrick Swayze als Sam in „Ghost“ (1991). Wie Boerne, konnten beide ihre alte Umgebung noch beobachten, aber nicht mehr in das reale Leben eingreifen.

„Tatort“ aus Münster: Originelle Geschichte aus der Vorhölle

Vorhölle oder „Limbus“ heißt dieser Ort, wie der Titel dieses originellen „Tatorts“, an dem sich nach katholischer Lehre die Seelen der Verstorbenen aufhalten, die ohne eigenes Verschulden vom Himmel ausgeschlossen sind. Erst 2007 hat der Vatikan diese Vorstellung der Vorhölle offiziell abgeschafft, zumindest für Kinder: Babys, die nicht getauft sind und sterben, kommen seither direkt ins Paradies.

Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) muss aus dem Limbus tatenlos zusehen, wie seine Kolleginnen und Kollegen den Mordanschlag auf ihn aufklären.
Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) muss aus dem Limbus tatenlos zusehen, wie seine Kolleginnen und Kollegen den Mordanschlag auf ihn aufklären. © WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin | WDR

Dass die deutsche Vorhölle ausgerechnet in Münster liegt, muss nicht unbedingt verwundern. Wahrscheinlich steht die schöne leere Fabrikhalle im kühlen Industrie-Chic aber in Köln, wo viele Szenen für den Münster-„Tatort“ gedreht werden.

Derweilen fragen sich Frank Thiel und der Rest der Ermittler-Familie, wie es zu dieser Tragödie kommen konnte. Offenbar hat Boerne die Kontrolle über seinen Wagen verloren. Aber ein Unfall war es nicht, sondern ein Anschlag mit Insulin. Doch wie realistisch ist die Story im aktuellen Münsteraner „Tatort“? Ein Überblick:

„Tatort“ aus Münster: Kann man mit Insulin einen Menschen töten?

Im Prinzip ja. Insulin ist ein blutzuckersenkendes Hormon, das auf natürliche Weise in der Bauchspeicheldrüse produziert wird und die Traubenzucker-Aufnahme (Glukose) aus dem Blut in die Zellen reguliert, wo sie zur Energiegewinnung benötigt wird.

Dieser lebenswichtige Vorgang ist bei Diabetikern gestört, so dass sie ihre Glukosewerte nur stabil halten können, wenn sie zusätzlich Insulin spritzen, am besten ins Fettgewebe am Bauch.

Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers, rechts) spielt Schnick, Schnack, Schnuck mit dem Mann, der Kommissar Thiel (Axel Prahl, links) so ähnlich sieht.
Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers, rechts) spielt Schnick, Schnack, Schnuck mit dem Mann, der Kommissar Thiel (Axel Prahl, links) so ähnlich sieht. © WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin | WDR

Bei gesunden Menschen wirkt eine Insulin-Spritze genauso blutzuckersenkend, unabhängig davon, ob, was oder wie viel sie vorher gegessen haben. Es braucht keine große Menge, und entwickelt die gleiche Wirkung, wenn das Insulin – wie bei Boerne hinterrücks – in den „gluteus maximus“ (großen Gesäßmuskel) gespritzt wird. Allerdings merkt man normalerweise, wenn Flüssigkeit ins Gewebe dringt, selbst wenn die Spritze durch den Mantel hindurch gesetzt wurde.

Sinkt der Blutzuckerspiegel „ins Bodenlose“, also unter einen gewissen Wert, droht ein hypoglykämisches Koma und sogar der Tod.

Sind die Symptome im „Tatort“ realistisch dargestellt?

Vor dem hypoglykämischen Koma oder dem Tod kommt es – wie im Film richtig diagnostiziert – zu Symptomen wie Schwitzen, Zittern, Herzklopfen, Schwindel, Orientierungslosigkeit sowie Sehstörungen. In diesem Zustand kann man kaum laufen, geschweige denn Auto fahren.

Hätte Boerne die ersten Anzeichen rechtzeitig erkannt, dann hätte ihn ein zuckerhaltiges Getränk oder ein Stück Traubenzucker als Sofortmaßnahme möglicherweise schon stabilisiert.

Curare: Was hat es mit dem Gift auf sich und wie wirkt es?

Das zweite ungewöhnliche Mordwerkzeug, dass in diesem „Tatort“ zur Anwendung kommt, ist Curare.

Curare ist die Sammelbezeichnung für verschiedene Pflanzengifte, die bekanntermaßen schon im 16. Jahrhundert von den Indios Südamerikas bei der Jagd mit Giftpfeilen verwendet wurden. Hergestellt aus eingedickten Extrakten von Rinden und Blättern verschiedener Lianenarten, bewirkt das Gift eine Lähmung aller Muskelgruppen. Zum Tode führt ein Atemstillstand, da auch die Atemmuskulatur gelähmt wird.

„Tatort“ Münster: Ist die Auflösung logisch?

Wegen seiner Wirkung als Muskelrelaxans wurde Curare lange Zeit – nicht nur in Brasilien, woher der „Tatort“-Mörder kommt – als Narkosemittel bei Operationen verwendet. Da der sogenannte Acetylcholinrezeptor-Antagonist aber unter anderem auf die Bronchien schlägt, werden in der Anästhesie inzwischen andere Substanzen eingesetzt. Als homöopathisch aufbereitetes Arzneimittel ist Curare weiterhin frei erhältlich.

Als Curare-Gegenmittel hemmt der Wirkstoff Neostigmin das Enzym Acetylcholinesterase, indem er den Parasympathikus sowie die Skelettmuskulatur stimuliert. Das Mittel wird intravenös verabreicht. Weshalb die Szene, in der Silke Haller „Alberich“ durch ihren „Schutzengel“ Boerne mit einer Spritze aus dem Notfallkoffer gerettet wird, zwar wunderbar anzusehen ist, aber – so oder so – ziemlich unwahrscheinlich.

Zur Standardausrüstung eines Notfallkoffers gehört der Wirkstoff Neostigmin nämlich nicht. Darin finden sich eher Adrenalin, verschiedene Schmerzmittel sowie Antiallergika und Antihistaminika.