Berlin. Nach den Ereignissen in Stuttgart ging es bei Illner um die Ursachen der Gewalt gegen die Polizei – und um eine Kolumne in der „taz“.

  • Maybrit Illner wollte am Donnerstagabend ergründen, ob es in Deutschland ein „polizeifeindliches Klima“ gibt
  • Dabei kam auch die unter der Woche zum Teil heftig in die Kritik geratene „taz“-Kolumne zur Sprache
  • Cem Özdemir findet die Wortwahl der Autorin Hengameh Yaghoobifarah „einfach widerlich“
  • Auch das Verhalten von Horst Seehofer thematisierte die Runde

Freund und Helfer oder Diskriminierer? Provokateur oder Opfer? Nicht nur in den USA wird dieser Tage die Rolle der Polizei heftig diskutiert. Nach der Veröffentlichung einer satirischen Kolumne in der „Tageszeitung“, die die Polizei als etwas beschrieb, das auf die Müllhalde gehört, und den Angriffen auf Polizeibeamte bei der Randale in Stuttgart ist eine Debatte über die Polizei als Feindbild entbrannt.

Maybrit Illner knüpfte am Donnerstagabend daran an und wollte ergründen, ob es in Deutschland ein „polizeifeindliches Klima“ gibt, das zu einem nächtlichen Gewaltausbruch wie in der Stuttgarter Innenstadt führen kann. Oder findet eine Entfremdung zwischen Polizei und Teilen der Bevölkerung statt, weil nicht strikt genug gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Gewalt in den eigenen Reihen vorgegangen wird?

Maybrit Illner – das waren die Gäste:

  • Idil Baydar, alias „Jilet Ayse“, Kabarettistin
  • Wolfgang Bosbach, CDU, Innen- und Sicherheitspolitiker
  • Sebastian Fiedler, Bundesvorsitzender Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK)
  • Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen, ehemaliger Parteivorsitzender

Wolfgang Bosbach bei Illner: „Enorme Wut auf den Staat und seine Repräsentanten“

Wolfgang Bosbach, ehemaliger Bundestagsabgeordneter und Innenpolitiker der CDU, sieht in den Angriffen nicht nur Polizeifeindlichkeit: „Die Bilder, die wir gesehen haben, lassen ja auf eine enorme Wut auf diesen Staat schließen, auf die Repräsentanten des Staates.“ Am Ende hätte hinter dem konkreten Gewaltexzess in Stuttgart wohl aber ein Motivbündel gestanden, vermutete Bosbach.

Die Kabarettistin Idil Baydar fuhr bei den Äußerungen des CDU-Politikers sofort aus der Haut: „Wir verurteilen hier alle unnötige Gewalt. Aber dass es eine generelle Staatsfeindlichkeit gibt, finde ich wirklich polemisch und übertrieben bis zum Geht-nicht-mehr.“ Beruhend auf ihrer langjährigen Erfahrung in der Jugendarbeit könne sie sich nicht vorstellen, dass Jugendliche ohne Provokation oder Schikane einfach Menschen angegriffen hätten.

CDU-Politiker Wolfgang Bosbach und Kabarettistin Idil Baydar bei „Maybrit Illner“.
CDU-Politiker Wolfgang Bosbach und Kabarettistin Idil Baydar bei „Maybrit Illner“. © Svea Pietschmann | ZDF

Polizeiexperte bei „Maybrit Illner“: „Sie machen hier Opfer zu Tätern!“

Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, kann darüber nur zynisch lachen. „Das kann ja so nicht stehen bleiben“, erwiderte Fiedler auf Baydars hitzigen Redebeitrag, „Sie machen hier ja Opfer zu Tätern und verkehren die Tatsachen.“ Es hätte eben keine Provokation von Seiten der Polizei gegeben, sondern eine rechtmäßige Drogenkontrolle.

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    Fiedler glaubt, je polarisierter die deutsche Gesellschaft sei, desto häufiger gäbe es auch Angriffe auf die Polizei. „Mich interessieren dabei Statistiken einigermaßen wenig. Mir geht es um die handfesten Situationen“, so der Sicherheitsexperte.

    Dieses Desinteresse an den Zahlen ordnete die Moderatorin leider nicht weiter ein. Denn: Zwar stieg objektiv gesehen die Zahl der tätlichen Angriffe und des Widerstands gegen Polizeibeamte 2019 um acht Prozent. Allerdings, so schränkt das Bundeskriminalamt ein, werde die Statistik „erheblich“ davon beeinflusst, dass bisherige Straftatbestände geändert und neue geschaffen wurden. Die Zahlen für das Jahr 2019 sind also nicht mit denen aus den Vorjahren vergleichbar.

    Cem Özdemir bei Maybrit Illner: „taz“-Kolumne sei „einfach widerlich“

    Ob Texte wie die satirische Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah, die vor einer Woche in der „taz“ erschien, jedoch aktiv dazu beitragen, dass Angriffe auf die Beamten im Dienst weiter zunehmen oder die Entfremdung zwischen Polizei und bestimmten Milieus fortschreitet, ist kaum abzuschätzen. Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) findet die Wortwahl von Yaghoobifarah trotzdem „einfach widerlich“.

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    Es sei richtig, dass es Beschwerden beim Presserat gebe und beispielsweise die Gewerkschaft der Polizei Berlin Anzeige gegen Yaghoobifarah erstattet hätte. „Das muss man sich auch nicht gefallen lassen. Ich finde nur nicht, dass der Innenminister dafür die richtige Instanz ist“, erklärte der Grünen-Politiker in Bezug auf Horst Seehofers mittlerweile verpuffte Androhung einer Anzeige.

    „Maybrit Illner“: Idil Baydar beklagt Doppelmoral von Horst Seehofer

    Idil Baydar ist empört über die Doppelmoral des Bundesinnenministers in diesem Fall: „Nachdem wir mit Müllrhetorik über Migranten überzogen wurden, hat der Innenminister gar nichts gemacht“, sagte Baydar und erinnerte an die Beschimpfung der SPD-Politikerin Aydan Özoğuz durch Alexander Gauland (AfD).

    Fiedler forderte im Verlauf der Sendung, dass es nach Ereignissen wie jenen in Stuttgart erst einmal vollen Rückhalt für die Polizei geben müsse. Es klang wie eine Aufforderung, die unangenehmen Fragen hinten anzustellen, die durch das mehrfache Bekanntwerden rechter Netzwerke innerhalb der Sicherheitsbehörden, Yaghoobifarahs Kolumne und die Proteste gegen rassistische Polizeigewalt in den USA aufgeworfen worden waren.

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      Doch das Hinterfragen von Polizeistrukturen mindert eben nicht automatisch die Solidarität mit den betroffenen Beamten in Stuttgart. Und die Gleichzeitigkeit der Debatten sollte ein so mächtiges Exekutivorgan wohl aushalten könnten.

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      Nach den Protesten in den USA steht auch die deutsche Polizei unter Kritik. Die Debatte zusätzlich angeheizt dürfte die „taz“-Kolumne haben, gegen die Innenminister Seehofer zunächst sogar Anzeige stellen wollte: „taz“-Kolumne: Seehofer stellt doch keine Anzeige. Nach einer ausgearteten Kontrolle in Stuttgart wird aber auch Gewalt gegen Polizisten verurteilt. Stuttgart: Woher kommt die Gewalt gegen die Polizei? Viele Polizei-Kritiker und -Kritikerinnen fordern dabei vor allem die Aufklärung von Todesfällen in Gewahrsam: Diese Menschen starben in Deutschland nach Polizeieinsätzen.