Berlin. Sie hatten sich schon bei der letzten Sendung ordentlich in die Haare gekriegt: Am Dienstagabend waren SPD-Politiker und Epidemiologe Karl Lauterbach und die NRW-Staatssekretärin Serap Güler (CDU) erneut bei „Markus Lanz“ zu Gast. Doch die Debatte um Lockerungen von Corona-Maßnahmen hatte sich augenscheinlich noch nicht abgekühlt. Beim Thema Schulöffnungen blieben Güler und Lauterbach unversöhnlich.
In vielen Bundesländern, so auch in Nordrhein-Westfalen, können Grundschüler bald wieder den Unterricht besuchen, an den weiterführenden Schulen dürfen immer mehr Schüler pro Tag anwesend sein. Karl Lauterbach findet das keine so gut Idee, Serap Güler glaubt daran, dass es für Kinder und Jugendliche unabdingbar sei, wieder in die Schule gehen zu können.
„Markus Lanz“ – Das waren die Gäste:
- Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe
- Serap Güler, CDU-Politikerin und Staatssekretärin für Integration in NRW
- Dirk Steffens, Wissenschaftsjournalist
- Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter
„Markus Lanz“: Schulöffnungen sorgen für heftige Diskussionen
„Am Anfang werden die Kinder niemanden anstecken, denn es gibt gerade wenige Fälle“, sagte Lauterbach, „der richtige Test ist der, was passiert, wenn wir wieder mehr Fälle haben.“ Am Beispiel von Schweden habe man deutlich sehen können, dass die Kinder sich erst dann untereinander anstecken und ebenso Erwachsene aus ihrem Umfeld infizieren würden. Lesen Sie hier: Coronavirus: Wann öffnen Kitas und Schulen für alle?
Es sei ein großes Versäumnis gewesen, die Schulen in Schweden wieder zu öffnen, als im Hintergrund noch viele Corona-Fälle waren. „Die schwedischen Staatsepidemiologen haben aus meiner Sicht auf ganzer Linie versagt – und das sage ich nicht leichtfertig über Kollegen“, sagte Lauterbach in der Talkshow.
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Karl Lauterbach bei „Lanz“: Öffnung der Schulen birgt hohes Risiko
Der Epidemiologe und Gesundheitspolitiker sieht die aktuellen Lockerungen im Schulalltag äußerst kritisch – besonders weil aus den wenigen Wochen, die in Nordrhein-Westfalen noch unterrichtet wird, keine Schlüsse für das neue Schuljahr gezogen werden können: „Von dem, was in den nächsten zwei Wochen passiert, können wir nichts für den Herbst ableiten. Denn das jetzt nicht viel kommen wird, liegt auf der Hand, da die Fälle aktuell niedrig sind.“
Während der SPD-Gesundheitsexperte über die Entscheidung für weitere Schulöffnungen nur den Kopf schütteln kann, verteidigte Serap Güler den Schritt der Landesregierung. Digitaler Unterricht funktioniere häufig nur mittelmäßig und wenn, dann sowieso nur mit älteren Schülern und Schülerinnen. Familien seien mit dem Homeschooling überfordert.
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Lauterbach: „Niemand hat jemals gesagt, dass es keine Schule geben darf“
Bei sich zu Hause in Köln-Mühlheim bekäme sie das privat direkt mit, erzählte die CDU-Politikerin: „Nicht nur diejenigen, die eine Migrationsgeschichte haben, sondern auch ganz viele andere Familien, die aus sozial schwierigen Verhältnissen kommen, stehen vor großen Herausforderungen“, sagt Güler. Zu denken, dass ein Tablet im Haus beziehungsweise der Wohnung den Unterricht mehrerer Kinder ersetzen kann, ist daher eine Farce. Lesen Sie hier:
Güler warf Lauterbach und anderen Wissenschaftlern vor, die bildungspolitischen Folgen des Krisenmodus und geschlossenen Schulen bis zum Herbst zu unterschätzen.
„Niemand hat jemals gesagt, dass es keine Schule geben darf“, entgegnete ihr Lauterbach, „es wurde lediglich gesagt, dass normaler Unterricht nicht stattfinden darf.“ Dass nun in den Schulen wieder locker gelassen werde und jedes Unternehmen und jeder Fußballverein ein ausgeklügelteres Hygienekonzept hat, nennt der SPD-Bundestagsabgeordnete „völlig unverantwortlich“. Lesen Sie hier: Giffey: Kita- und Schulöffnung geht nur ohne Abstandsregel
„Markus Lanz“: NRW-Landesregierung beruft sich auf Gutachten, das keines ist
Serap Güler berief sich unterdessen auf ein vermeintliches Gutachten „wissenschaftlicher Fachgruppen“: „Da sind Hygieniker darunter, da sind Bildungswissenschaftler darunter. Es sind keine Politiker, die dieses Gutachten erstellt haben.“ Der springende Punkt des Papiers ist dabei, dass in Grundschulen auf Abstandsregeln und Maskenpflicht verzichtet wird.
Selbst Moderator Markus Lanz schien das Ganze etwas undicht vorzukommen: „Wo ist denn der Virologe oder der Epidemiologe in dieser Gruppe?“, fragte er an Güler gewandt. Und Lauterbach legte nach: „Das war kein Gutachten, das war eine Stellungnahme des Verbands der Kinderärzte, da waren die Krankenhaushygieniker dabei, das ist auch von Fachleuten kritisiert worden.“ Ein Virologe oder Epidemiologe habe nicht daran mitgeschrieben. Es sei auch nur ein Hygieniker Teil der Gruppe gewesen.
„Markus Lanz“: Unbedeutende Stellungnahme als Basis für politische Entscheidungen?
Serap Güler redete sich um Kopf und Kragen, um das Papier – und damit die Entscheidung der NRW-Landesregierung – zu verteidigen. Lanz fragte sie, ob diese subjektive Stellungnahme als Ausgangspunkt für politisches Handeln nicht ein bisschen dünn sei. Auch Gülers Gegenspieler in der Talkshow, Lauterbach, wunderte sich darüber, dass diese „in der Fachwelt völlig unbedeutende Stellungnahme“ Basis für den weiteren Fahrplan für Schulen seien.
Wie es dazu kommen konnte, erklärte die CDU-Politikerin wiederum nicht. Nach der Sendung bleibt nur die unheilvolle Vorahnung, dass die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen nach mehreren Monaten der Corona-Pandemie vermeintliche Gutachten viel zu viel für bare Münze nimmt.
So wurde die Corona-Krise bisher bei „Markus Lanz“ diskutiert:
- Corona-Sterberate: Virologe bei „Lanz“: Corona-Sterberate niedriger als gedacht
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