Kiel. Im Kieler „Tatort“ geht es nicht um die Frage nach dem Mörder – sondern warum jemand zum Mörder wird. Vielschichtig und preisverdächtig.

Die Einstiegsszene des neuen Kieler „Tatort“-Krimis „Borowski und der Fluch der weißen Möwe“ ist dramatisch: Die zum Noteinsatz herbeigerufenen angehenden Polizisten, die gerade noch im Polizeiwagen herumgealbert haben, können den Suizid der drogenabhängigen jungen Frau nicht verhindern.

Völlig überfordert versuchen sie stammelnd Jule vom Springen des Hochhausdaches zu bewahren – bis einer sie fragt, ob sie schon mal geflogen sei? Sie lässt sie sich dann in den Tod fallen. Und das in dem Moment, in dem ihre frühere Freundin Nasrin, inzwischen Jung-Polizistin, ebenfalls auf dem Dach erscheint.

Im Kieler „Tatort“ ist Jung-Polizistin Nasrin im Blutrausch

Einen Tag später tötet Nasrin bei einer Lehrübung in der Polizei-Hochschule einen Kollegen völlig unvermittelt wie im Blutrausch mit einem Schraubendreher, den dieser ihr zuvor in der Übung unplanmäßig an den Hals gehalten hatte – vor den Augen von Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) und Kollegin (Almila Bagriacik), die die Lehrübung leitet.

Es geht in diesem „Tatort“-Krimi nicht um die Frage, wer der Mörder ist, sondern warum jemand zum Mörder wird – und warum Jule sprang, als sie Nasrin auf dem Hochhausdach sah.

Die unter anderem mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Drehbuchautoren Eva und Volker A. Zahn („Ihr könnt euch niemals sicher sein“) entfalten eine Sozial- und Psychostudie über zwei Teenager aus schwierigen Verhältnissen, ihre traumatisierenden Schicksale und schließlich getrennten Lebenswege. Jule, die in die Drogenwelt abgleitende künstlerisch Talentierte, und Nasrin, die zur Musterschülerin bei der Polizei wurde.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

„Es geht um verwüstete Lebensläufe, um die Wucht eines schweren Traumas, um Hass, Wut, Ohnmacht und darum, wie durch Gedankenlosigkeit und Zufälle eine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt wird – und mittendrin unsere Helden, die mit sich und ihrem Handeln hadern“, sagt Volker A. Zahn.

Milberg betont, dass im Film Polizeischüler das Recht in die Hand nehmen. „Dies ist angesichts der Radikalisierung der Gesellschaft ein hochaktuelles Thema.“

„Tatort“-Folge mit preisverdächtiger Schauspielerin

Für den unter anderem mit dem türkischen und österreichischen Filmpreis ausgezeichneten Regisseur Hüseyin Tabak („Deine Schönheit ist nichts wert“) ist es der erste „Tatort“. Seine Filmsprache ist vielschichtig. Action und Gewalt wechseln mit intensiven kammerspielartigen Sequenzen. Humorige Szenen kippen in Sekunden ins Tragische.

Immer wieder kreist die Kamera wie aus der Vogelperspektive über Kiel. Und die Möwe ist überall dort, wo Grauenhaftes passiert(e) – und zugleich fliegt sie mit anderen Möwen frei am Horizont.

Neben den von Selbstzweifeln geplagten Ermittlern Borowski und Sahin überzeugt auch das junge Ensemble schauspielerisch. Besonders eindrucksvoll verkörpert Soma Pysall die Mörderin Nasrin, die aufgrund ihrer Lebenserfahrungen zugleich Opfer ist. Blutrausch, Erinnerungen der Traumatisierten, Vernehmungsszenen – Pysall spielt preisverdächtig berührend. (dpa)