Berlin. Tübingens OB Boris Palmer will seine umstrittenen Äußerungen zur Corona-Strategie bei Lanz erklären – und macht es damit nicht besser.

  • Mit einem Interview im Sat.1-Frühstücksfernsehen hatte Boris Palmer kürzlich für Aufregung gesorgt
  • „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären“, sagte er
  • Bei Markus Lanz wurde Boris Palmer mit seinen Aussagen konfrontiert

Markus Söder (CSU) kriegt von der Aussage Boris Palmers „Riesen-Bauschmerzen“, für Karl Lauterbach (SPD) sind die Äußerungen des Grünen Politikers „völlig zynisch“ und „unerträglich“. Markus Lanz will dem Tübinger Oberbürgermeister per Videoschalte in seiner Talkshow ermöglichen, sich zu erklären.

In einem Interview im Sat.1-Frühstücksfernsehen hatte Boris Palmer am Dienstag eine Lockerung der Corona-Maßnahmen gefordert. In Bezug auf die Situation älterer Menschen hatte er sich besonders drastisch ausgedrückt: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären“, sagte er.

Markus Lanz – das waren die Gäste:

  • Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe
  • Boris Palmer, Grünen-Politiker und Tübinger Oberbürgermeister
  • Markus Söder, Ministerpräsident von Bayern und CSU-Politiker
  • Prof. Veronika Grimm, Ökonomin und Wirtschaftsweise
  • Dr. Matthias Thöns, Palliativmediziner

„Markus Lanz“: Boris Palmer entschuldigt sich für seine Wortwahl

Für die Wortwahl hat Grünen-Politiker Palmer sich mittlerweile entschuldigt – seine Einschätzung bleibt aber bestehen. „Wenn die UNO sagt, dass die absichtliche Wirtschaftskrise, die wir jetzt herbeiführen, in den kommenden Jahren zu einer höheren Kindersterblichkeit in ärmeren Ländern führt, dann finde ich, dass wir uns unsere Verantwortung dafür bewusst machen müssen.“

Palmer wünscht sich eine Strategie, bei der die Wirtschaft möglichst schnell hochgefahren wird, um die Auswirkungen auf die Menschen in Entwicklungsländern zu reduzieren. Den Schutz für ältere Menschen müsste man natürlich erhöhen, meint Palmer und spricht von einer „Fort Knox“-Strategie, die Senioren zwar nicht einsperrt, aber vom Rest der Gesellschaft abschottet.

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Boris Palmers „Fort Knox“-Strategie: Ältere nicht einsperren, aber radikal abschotten

Das würde bedeuten: Einkaufen nur zu bestimmten Uhrzeiten, ausschließlich digitaler Kontakt zu Verwandten, Transport mit Taxis und vor allem wenig Selbstständigkeit und Freiheit für Ältere. „Den Jüngeren müssen wir dagegen mehr Freiraum für wirtschaftliche Tätigkeiten geben“, erklärt Palmer. Auf Karl Lauterbachs Einwand, dass auch viele jüngere Bürger ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe hätten, erwidert Palmer, dass er glaubt, dass man „risikodifferenziert“ vorgehen könne.

Lauterbach, langjähriger Bundestagsabgeordneter der SPD und studierter Epidemiologe, schüttelt eigentlich dauerhaft den Kopf während Palmer redet, kann kaum verbergen, dass er dessen Überlegungen für großen Quatsch hält: „Das ist eine vollkommen hanebüchen vorgetragene Strategie, die medizinisch und ethisch undenkbar ist“, meint der Politiker.

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    Besonders kritisch zeigt sich auch Moderator Markus Lanz. Er fragt Palmer immer wieder danach, was das mögliche Sterben von Menschen südlich der Sahara mit der Behandlung über 70-Jähriger, die an Covid-19 erkrankt sind, zu tun habe. „Die Idee dahinter ist: Wenn die entwickelten Staaten wirtschaftliche Kraft entwickeln und den Handel mit den ärmeren Ländern wieder hochfahren, wird es wesentlich weniger Tote geben“, so Palmer.

    Lanz ist mit der Antwort aber eben so wenig zufrieden wie Gast Karl Lauterbach: „Jetzt auf einmal, wo wir die Alten wegsperren sollen, erinnern wir uns an die Kinder in Afrika, für die wir in den letzten zehn Jahren nichts getan haben“, empört sich Lauterbach. Lesen Sie hier: Aktuelle RKI-Fallzahlen und Reproduktionsrate.

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    Zumal das Wohlergehen der Menschen dort viel weniger von der Weltwirtschaft als von direkten Hilfsprogrammen abhinge: „Wenn wir Kindern helfen wollen, müssen wir einfach einen größeren Teil unseres Bruttoinlandsprodukts dafür zur Verfügung stellen“, so der Bundestagsabgeordnete.

    Dass es laut Palmer ausreichen würde, wenn nur ältere Mitbürger isoliert werden würden, weiß der SPD-Gesundheitsexperte auch zu entkräften: Mit dieser Strategie habe man ja nur Erfolge erzielen können, weil sich alle Teile der Gesellschaft daran beteiligt hätten. Die Idee des Kommunalpolitikers, dass die Jungen machen könnten, was sie wollten, sei epidemiologisch schlichtweg falsch.

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      „Senioren jetzt für ein, zwei Jahre wegzusperren, damit die Wirtschaft wieder brummt – das ist für mich eine groteske Verletzung der Menschenwürde älterer Menschen“, sagt Lauterbach.

      Auch Markus Lanz fragt sich, was solche Aussagen, gerade in der aktuellen Situation, bei älteren Menschen für Gefühle auslösen. Die seien ja sowieso schon, zurecht, verängstigt. Der Moderator redet sich richtig in Rage: „Es ist doch ein Euphemismus, einfach verlogen, wenn wir sagen, wir schützen euch, in dem wir euch wegsperren“, so der Moderator. Palmers Konzept sei lediglich „als Fürsorge getarnte Niedertracht“.

      Dem Tübinger Grünen-Politiker ist diese Formulierung zu schwarz-weiß. Wenn Boris Palmer in Interviews allerdings davon redet, dass man bei Jüngeren eben mehr Infektionen hinnehmen müsste – auch ohne möglich Langzeitfolgen des Coronavirus zu kennen – und alte Menschen häufig eh nur noch kurz zu leben hätten, dann ist diese Schwarz-Weiß-Sicht auf die Dinge wohl mehr als angemessen. Er spielt ja selbst damit.

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