Berlin. Was tun mit dem Überschuss? Bei „Anne Will“ ging es um Steuersenkungen. Ein Thema, bei dem Christian Lindner natürlich „on fire“ war.

  • Die internationalen Krisen interessierten bei Anne Will am Sonntagabend nicht
  • Es ging stattdessen um die Mittelschicht – da hatte FDP-Chef Christian Lindner ordentlich was mitzuteilen
  • Populismus liegt ihm Zwischen Themen wie Steuerbelastungen und der Schuld der Migranten an der Armutsbilanz war Linder „on fire“

Anne Will fällte am Sonntagabend eine überraschende Entscheidung. Impeachment? Coronavirus? Brexit? Nein, die Runde beschäftigte sich mit dem Überschuss in den Staatskassen. „Wird jetzt die Mittelschicht entlastet?“, wollte die Gastgeberin wissen.

Ein in Anbetracht der Nachrichtenlage eigenwilliges Thema. Funktionierte es? Jedenfalls wurde es eine muntere Runde: Auf der einen Seite Christian Lindner, der natürlich für Steuersenkungen stritt. „Warum müssen immer die Bürgerinnen und Bürger zurückstecken?“, fragte der FDP-Chef mit einer gehörigen Prise Populismus. Deutschland habe mitunter die höchste Steuerbelastung weltweit. Entlastungen aber würden immer nur versprochen und nie geliefert.

Anne Will zum Thema „Wird jetzt die Mittelschicht entlastet?“ – Das waren die Gäste:

  • Norbert Walter-Borjans (SPD)
  • Ralph Brinkhaus (CDU)
  • Christian Lindner (FDP)
  • Anette Dowideit (Journalistin)
  • Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband

„Wir haben fast zwei Billionen Schulden“, erwiderte CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus. Es sei falsch, so zu tun, als ob Deutschland im Geld schwimme. Zudem lägen große Aufgaben vor dem Land, etwa der Strukturwandel.

Das war erwartbar: Klar, dass Lindner aus der Opposition heraus für großzügige Entlastungen warb, während Brinkhaus an die Herausforderungen erinnern muss. Einen wichtigen Zusatz lieferte Norbert Walter-Borjans: Mit Investitionen, etwa in Schulen oder Mobilfunk, gebe der Staat auch Geld zurück, erinnerte der SPD-Chef. Wohl wahr!

Die Forderung des Abends

Das war ein wichtiger Punkt, denn von bloßen Steuerentlastungen profitieren zumeist die, die mehr haben. Kein Wunder also, dass sich auch Ulrich Schneider dagegen stellte. Für die kleinen Einkommen seien die Steuern gar nicht entscheidend, führte der Chef des Paritätischen aus. Gravierender seien die Sozialversicherungsabgaben.

Doch was tun? „Es reicht nicht, die Abgaben zu drücken, denn die Rente muss ja gezahlt werden“, sagte Schneider. Stattdessen müsse das System umgebaut werden, indem beispielsweise alle – auch Beamte und Unternehmer – in die gesetzliche Rente einzahlen.

Die Indiskretion des Abends

… kam von Ralph Brinkhaus. Als der CDU-Politiker beim Thema Soli in der Defensive war, befreite er sich kurzerhand, indem er Interna aus dem Koalitionsausschuss preisgab. Olaf Scholz habe da entgegen vorheriger öffentlicher Äußerungen plötzlich klar gemacht, dass doch Geld für eine vorzeitige Abschaffung des Solis bereitstünde. „Ich möchte vom Bundesfinanzminister mal eine solide Zahlenbasis haben“, sagte Brinkhaus süffisant mit Blick auf den wankelmütigen Scholz.

Der Haudrauf des Abends

… war definitiv Christian Lindner. Fast immer, wenn der FDP-Chef zu Wort kam, ging es kräftig zur Sache. „Gemach, Gemach, wir leben in einer Demokratie, wo jeder seine Meinung äußern kann“, wehrte er einmal Walter-Borjans ab. Walter-Borjans hatte an anderer Stelle über neue Steuern für Grundbesitzer nachgedacht. Auf den Hinweis, dass die Armen immer ärmer werden, erwiderte Lindner, dass das ja auch an der Migration seit 2015 liege. Die hat sicher einen Anteil. Aber das ändert was genau?

Auch sonst setzte Lindner verstärkt auf Populismus. Etwa als er behauptete, dass das Steuergeld nicht in Schulen oder die Infrastruktur, sondern in unsinnige Projekte wie den BER fließe. Und als sich Brinkhaus und Walter-Borjans stritten, freute sich Lindner: „Gehen Sie doch mal zum Paartherapeuten!“ Eine unterhaltsame Taktik für einen Oppositionspolitiker – aber eben auch nicht gerade konstruktiv.

Das Fazit

Schulden abbauen? In die Zukunft investieren? Bürger entlasten? Diese Ausgabe von „Anne Will“ funktionierte trotz des gegen den Strich gebürsteten Themas gut, weil hier große Fragen heruntergebrochen wurden.

Dass es am Ende sehr konkret um Menschen geht, machte Anette Dowideit deutlich. Eindrücklich beschrieb die Journalistin, was die Mittelschicht umtreibt: Auf der einen Seite wird das Leben immer teurer, auf der anderen Seite stagnieren die Löhne. Die große ideologische Frage ist, an welchem dieser Enden Politik ansetzen soll. Dass genug Geld da zu sein scheint, zeigt sich immer wieder: Der Bundestag hatte im vergangenen Jahr mit dem Haushalt 2020 Rekordausgaben beschlossen.

Zur aktuellen Ausgabe von „Anne Will“ in der ARD-Mediathek.