Dortmund. Der Tatort führt den Zuschauern das Leid sexuell missbrauchter Kinder vor Augen. Wie viele Fälle gibt es wirklich? Ein Faktencheck.

Es dauert eine ganze Weile, bis Evelyn Kohnai (Luisa-Céline Gaffron) endlich spricht. Was sie dann aber berichtet, ist für den Zuschauer mehr als düster, hässlich und beklemmend. Das Gespräch zwischen Evelyn Kohnai – Täterin und Opfer in einer Person – und Kommissar Peter Faber (Jörg Hartmann) im Verhörraum ist von einer besonderen Intensität geprägt – führt es doch in die Abgründe unserer Gesellschaft.

Die junge Frau hat Klaus Kaczmarek ermordet. Einen Pädophilen, der in einem organisierten Netzwerk agierte, nicht nur mit Fotos und Videos von Jungen und Mädchen, sondern auch mit Kindern handelte. Als Faber dem Mädchen zunächst unterstellt, Kaczmarek geliebt oder sogar mit ihm ein Team gebildet zu haben, macht sie das so wütend, dass sie endlich ihre Leidensgeschichte erzählt.

„Ich war vier Jahre alt, als mein Vater sich zum ersten Mal in mein Bett gelegt hat.“ Ihre Mutter habe erst weggeschaut, dann schweigend zugesehen. Und Kaczmarek? „Der durfte auch mal ran. War schließlich ein guter Kumpel von Papa.“ Später sei sie verkauft worden. „An wen?“, will Faber wissen. Evelyn antwortet bloß: „Woran erkennt man Männer, die Kinder missbrauchen?“

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„Tatort“ aus Dortmund über Kindesmissbrauch ist zeitlos aktuell

Pädophilie, Kinderhandel, sexueller Missbrauch und Gewalt – der Dortumnder „Tatort: Monster“ führt uns das Leid missbrauchter Kinder vor Augen. „Monster“ – diesen Begriff benutzt Evelyn Kohnai selbst, als sie Faber wütend in die Augen schaut: „Sagen Sie nie, dass ich eines von diesen Monstern geliebt hätte.“

„Monster“ – das sind in diesem Film auf den ersten Blick ganz normale Menschen von nebenan. Morgens noch fürsorgliche Familienväter, abends Gewalttäter. Evelyn wirft Faber – und indirekt auch den Zuschauern vor: „Sie versuchen wie alle anderen zu verdrängen, dass es sowas tatsächlich gibt.“

Der Tatort ist zeitlos aktuell – leider. In welchem Ausmaß aber findet sexueller Missbrauch von Kindern in Deutschland tatsächlich statt? Wie wird er geahndet? Wo gibt es Hilfe? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wann spricht man von sexuellem Missbrauch?

Auf der Seite des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, lässt sich folgende Definition finden: „Sexueller Missbrauch oder sexuelle Gewalt an Kindern ist jede sexuelle Handlung, die an oder vor Mädchen und Jungen gegen deren Willen vorgenommen wird oder der sie aufgrund körperlicher, seelischer, geistiger oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen können.“

Wie viele Kinder sind in Deutschland betroffen?

Mia wird im Tatort „Monster“ entführt. Für die Ermittler beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit.
Mia wird im Tatort „Monster“ entführt. Für die Ermittler beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. © WDR/Thomas Kost | WDR/Thomas Kost

Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik gab es 2018 14.606 Fälle von sexueller Gewalt gegenüber Kindern. Das sind im Schnitt 40 Fälle pro Tag. Die Zahl ist damit um sechs Prozent gestiegen im Vergleich zum Vorjahr. Außerdem gab es 7.449 Fälle von Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung von Kinderpornografie. Auch diese Zahl ist gestiegen, sogar um 14 Prozent.

Bei den Zahlen handelt es sich nur um angezeigte Fälle. Sie sagen nichts über die Dunkelziffer aus. Laut dem Missbrauchs-Beauftragten haben Forschungen im Dunkelfeld ergeben, dass jeder siebte bis achte in Deutschland sexuelle Gewalt in Kindheit oder Jugend erlitten hat.

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Sie findet am häufigsten innerhalb der engsten Familie (25 Prozent) und im Familien-und Bekanntenkreis (50 Prozent) statt. Zu letzterer Gruppe zählen auch Nachbarn oder Personen aus Vereinen, die die Kinder gut kennen. Prozentual gesehen sind Mädchen häufiger betroffen als Jungen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon, dass eine Million Mädchen und Jungen in Deutschland Gewalt bereits erlebt haben oder erleben. Das sind pro Schulklasse durchschnittlich ein bis zwei Kinder, die regelmäßig Opfer von sexueller Gewalt werden.

Wer sind die Täter?

In 80 bis 90 Prozent der Fälle werden die Taten laut Missbrauchsbeauftragtem durch Männer verübt, nur zu zehn bis 20 Prozent durch Frauen. Die Täter stammen allerdings aus allen sozialen Schichten. Einheitliche Täterprofile gibt es demnach nicht. Das Motiv? Der Wunsch, Macht auszuüben und durch die Tat das Gefühl von Überlegenheit zu erleben.

Wie wird sexueller Missbrauch geahndet?

Nach Artikel 34 der UN-Kinderrechtskonvention müssen Mitgliedsstaaten Maßnahmen ergreifen, um Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen. Das wird in Deutschland gewährleistet durch § 176 Strafgesetzbuch. Dort heißt es: „Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von den Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.“

Was wird in Deutschland gegen Missbrauch getan?

Das Bundesfamilienministerium hat 2014 ein Gesamtkonzept für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt erstellt. 2016 wurde das Sexualstrafrecht geändert (Verjährungsfristen verlängert, Kinder vor Ausbeutung durch Nacktaufnahmen besser geschützt). Seit Januar 2017 gibt es für Opfer eine psychosoziale Prozessbegleitung.

Vor etwas mehr als einer Woche billigte der Bundestag ein neues Gesetz, das es den Beamten erlaubt, sich bei ihren Ermittlungen in einschlägigen Foren als Kind auszugeben. Zudem können sie kinderpornografisches Material künstlich herstellen, um es zum Tausch anzubieten.

Von dem entsprechenden Strafgesetz wird künftig auch der Versuch des bereits strafbaren Cybergroomings erfasst, also des gezielten Ansprechens von Kindern im Internet mit dem Ziel des Missbrauchs.

Nichtsdestotrotz hat der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Rörig erst diese Woche deutlich mehr Engagement von Politik und Gesellschaft gegen Kindesmissbrauch gefordert. Er kritisierte, in Deutschland werde „ohrenbetäubend geschwiegen“. „Ich bin immer wieder erschrocken darüber, mit welcher Gelassenheit sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche von Teilen der Gesellschaft hingenommen wird.“

Er forderte für Deutschland einen „Pakt gegen Missbrauch“. Parteien sollten klare politische Vorgaben zur Eindämmung von Missbrauch in ihre Programme schreiben, Jugendämter, Fachberatungsstellen und Ermittlungsbehörden personell und finanziell enger zusammenarbeiten.

Wo gibt es Anlaufstellen für Hilfesuchende?

Das Hilfeportal Sexueller Missbrauch, betrieben vom Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, informiert Betroffene über Beratungsstellen und gibt Angehörige Tipps zum Umgang mit Opfern sexueller Gewalt. Darüber hinaus gibt es ein Hilfetelefon, wo sich Hilfesuchende kostenfrei und anonym melden können (0800 2255530).

Welche Missbrauchsfälle haben in jüngster Zeit besonders viel Aufmerksamkeit erfahren?

In Nordrhein-Westfalen haben 2019 zwei große Missbrauchsfälle für Schlagzeilen gesorgt. Zuerst war Anfang des Jahres der Fall Lügde mit hundertfachem Missbrauch von Kindern auf einem Campingplatz bekannt geworden.

Im Oktober folgte dann ein weiterer Fall mit der Festnahme eines Verdächtigen in Bergisch Gladbach wegen massenhaften Missbrauchs von Kindern durch Mitglieder eines Chat-Netzwerkes.

Missbrauchsfälle in Lügde und Bergisch Gladbach hängen wohl zusammen

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    Inzwischen gibt es Ermittlungen gegen ein bundesweites Pädophilennetzwerk. Die Behörden haben Tatverdächtige in nahezu ganz Deutschland ins Visier genommen. Verdachtsfälle auf sexuellen Kindesmissbrauch gibt es laut Polizei inzwischen in 13 der 16 Bundesländer.

    In der Politik schlugen beide Fälle hohen Wellen. Der Düsseldorfer Landtag setzte einen Untersuchungsausschuss zum Thema Kindesmissbrauch ein. (mit dpa)