Berlin. Der „Tatort“-Kommissar Felix Murot trifft auf einen Bankräuber. Sind Banküberfälle eine veraltete Form von Verbrechen? Ein Faktencheck.

Das Handy klingelt und weckt einen Mann im Pyjama aus seinem Schlaf auf. Es ist das Telefon des „Tatort“-Kommissars Felix Murot (Ulrich Tukur). Während er noch im schlummernden Zustand ist, teilt ihm seine Kollegin Magda Wächter (Barbara Philipp) mit, dass es einen Banküberfall gegeben hat. Er habe gerade einen blödsinnigen Traum gehabt, entgegnet Murot. Dann fragt er: „Aber wer in aller Welt überfalle denn heute noch eine Bank?“

Hintergrund zum Film:

Auch interessant

Was veranlasst den Mann zu der Meinung, es gebe heute keine Banküberfälle mehr? Der siebte „Tatort“ mit Ulrich Tukur als LKA-Kommissar in Wiesbaden startet mit einer rätselhaften Frage. Ein Faktencheck klärt die Rätsel aus der „Tatort“-Folge „Murot und das Murmeltier“ auf.

Wer überfällt denn heute noch Banken?

Tatsächlich kann man sagen, die Hochzeit der Banküberfälle gehört der Vergangenheit an. Die meisten Überfälle auf Bankfilialen hat es in Deutschland in den 1990er Jahren gegeben, das zeigen Statistiken des Bundeskriminalamtes. 1991 lag die Zahl der in Deutschland verzeichneten Überfälle bei 1056, der Höchststand lag mit 1624 Fällen im Jahr 1993.

Die ersten Aufzeichnungen stammen aus 1987, wo es deutschlandweit 819 Überfälle auf Banken gegeben hat. Im Tausenderbereich steigen die Fälle ab 1991 und bleiben auf diesem Niveau bis 2000 – seitdem sind sie nahezu kontinuierlich zurückgegangen. 2017 hat das Bundeskriminalamt (BKA) bundesweit gerade einmal 139 Raubüberfälle auf Geldinstitute registriert.

LKA-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur, li.) berät vor Ort mit Kollegin Magda Wächter (Barbara Philipp, 2.v.li.) und den Polizeibeamten darüber, wie dem Banküberfall ein Ende bereitet werden kann.
LKA-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur, li.) berät vor Ort mit Kollegin Magda Wächter (Barbara Philipp, 2.v.li.) und den Polizeibeamten darüber, wie dem Banküberfall ein Ende bereitet werden kann. © HR/Bettina Müller | HR/Bettina Müller

„Banküberfälle lohnen sich nicht und sind für Straftäter wenig lukrativ“, erklärt Sandra Clemens, Sprecherin vom BKA. Verbesserte Sicherungsmaßnahmen würden es Räubern heutzutage schwerer machen, erfolgreich eine Bank auszurauben.

In der Tat liegt auch die Quote bei der Aufklärung von Banküberfällen verhältnismäßig weit oben: Im Durchschnitt lag sie seit 1987 zwischen 60 und 70 Prozent, zuletzt lag sie 2017 bei 80 Prozent. Die hohe Aufklärungsquote lasse sich dadurch erklären, dass es sich bei Bankrauben um Straftaten in der Öffentlichkeit handle, so die BKA-Sprecherin. In der Regel fänden die Überfälle zur Tageszeit statt und in einer Umgebung, wo sich Menschen aufhalten. „Es gibt Zeugen, die Polizei kann schnell alarmiert werden und bestenfalls gibt es Bilder“, sagt Clemens.

Was für Straftaten gelten denn als „moderner“?

Straftaten ganz anderer Art als Banküberfälle beschäftigen Kriminalbeamte in ihrem heutigen Alltag weitaus mehr. Dazu gehören laut BKA-Sprecherin Clemens neuere Formen von Straftaten wie zum Beispiel Erpressung im Internet.

Der klassische Banküberfall scheint ebenso durch neuere Formen ersetzt worden zu sein, die im Endeffekt das Ziel haben, Banken auszurauben. Als eine Form davon können Sprengungen von Geldautomaten betrachtet werden. Bei Sprengungen von Geldautomaten verzeichnet das BKA seit einigen Jahren einen Anstieg.

Bundesweit ist die Zahl seit 2008 von 33 Fällen auf 286 Fälle im Jahr 2017 gestiegen. Für 2018 werde mit einem neuen Höchststand von mindestens 350 Fällen gerechnet, so Sprecherin Clemens. Damit wäre die

Auch interessant

. Nordrhein-Westfalen war mit 268 Fällen in 2017 von allen Bundesländern am meisten betroffen. Dort schlagen Geldautomaten-Sprengbanden besonders häufig zu.

 Beim Skimming montieren Kriminelle Vorsatzgeräte (oben) an den Kartenschlitz des Geldautomaten, um die Kartendaten auszulesen. Mittels einer aufgesetzten Zusatztastatur (unten) oder einer Mini-Kamera gelangen sie außerdem an die PIN-Nummer der Karte. Foto/Archivbild: Thomas Frey/dpa
Beim Skimming montieren Kriminelle Vorsatzgeräte (oben) an den Kartenschlitz des Geldautomaten, um die Kartendaten auszulesen. Mittels einer aufgesetzten Zusatztastatur (unten) oder einer Mini-Kamera gelangen sie außerdem an die PIN-Nummer der Karte. Foto/Archivbild: Thomas Frey/dpa © dpa | Thomas Frey

Eine wachsende Bedeutung haben laut einem BKA-Sonderbericht Fälle von technischen Manipulationen, wie Skimming, Jackpotting oder Blackboxing. Beim Skimming installieren Täter Geräte zum Auslesen von Magnetstreifendaten auf Geldautomaten oder verstecken Kameras zum Aufzeichnen der PIN-Eingaben. Zahlungskarten können auf diese Weise gefälscht werden. 2017 verzeichnete das BKA eine Zunahme von Skimming-Angriffen auf 499 Fälle. Besonders Berlin sei von Skimming betroffen, heißt es im BKA-Bericht.

Bei Jackpotting- und Blackbox-Attacken wird Schadsoftware auf den Netzwerken der Banken installiert. Als Folge solcher Netzwerkattacken kann es Tätern gelingen, die Limits von Kreditkarten auszusetzen und sehr große Geldsummen innerhalb kurzer Zeit abzuheben. 2017 fanden in Deutschland mit insgesamt drei Fällen erstmals Netzwerkattacken solcher Art statt.

Überhaupt: Unter den als klassischen Raubdelikten zusammengefassten Straftaten machen Überfälle von Banken mit 0,4 Prozent nur einen geringen Anteil aus, wie statistische Auswertungen des BKA zeigen. Deutlich schwerer ins Gewicht fallen dagegen Raubüberfälle auf Straßen, Wegen oder Plätzen (41,8 Prozent), dazu zählen Handtaschenraube oder Überfälle mit Bedrohungen durch Waffen.

Nutzen die Täter immer einen Fluchtwagen, um zu entkommen?

Kommissar Murot macht sich nach dem Anruf seiner Kollegin Wächter selbstsicher auf den Weg zum Tatort, um den Fall zu lösen. Noch bevor er am Ort des Geschehens ankommt, ordnet er an, Wächter solle schon mal einen vollgetankten Fluchtwagen bestellen und viel Geld in kleinen Scheinen organisieren: „Alles Routine. Steht doch quasi im Lehrbuch!“.

Kommissar Felix Murot (vorne) ist der Mutige, der sich in die eingenommene Bankfiliale wagt - nur mit kugelsicherer Schutzweste.
Kommissar Felix Murot (vorne) ist der Mutige, der sich in die eingenommene Bankfiliale wagt - nur mit kugelsicherer Schutzweste. © HR/Bettina Müller | HR/Bettina Müller

Doch im wahren Leben muss es nicht zwangsläufig zur Flucht mit einem Auto kommen – rein theoretisch sind alle Fluchtwege möglich. Sei es mit dem Fahrrad, zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Fakt ist, dass Täter bei einem Überfall in einer Bank einen Weg finden müssen, um herauszukommen. „Wenn sie am Tatort bleiben würden, wäre ein Erfolg der Tat ausgeschlossen“, meint BKA-Sprecherin Clemens.

Ein Blick auf spektakuläre Überfälle in der Vergangenheit zeigt, dass Fluchtfahrzeuge bei großen Fällen häufig genutzt worden sind. Die Flucht mit dem Auto hat einem Bankräuber nach einem Überfall in Bocholt 1997 geholfen, so weit wie möglich von seinem Tatort wegzukommen. Der Täter erpresste Geiseln und Fluchtwagen und tauchte anschließend in Holland unter.

Auch nach einem Bankeinbruch im sächsischen Dahlen 2012 ergriffen die Täter mit einem Auto die Flucht – erfolgreich: Das Fluchtfahrzeug wurde später entdeckt, aber die Räuber niemals gefunden.

Auf welche Weise sind berühmte Bankräuber entkommen?

Einer der berühmtesten Fälle in Deutschland ist das Geiseldrama von Gladbeck von 1988: Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski raubten die Filiale der Deutschen Bank aus und flohen mit einem Wagen. Ihre Fluchtfahrt mit mehreren Geiseln über mehr als zwei Tage hielt die Nation in Atem. Sie kaperten sogar einen Linienbus.

Besondere Aufmerksamkeit erweckten in der Vergangenheit vor allem Banküberfälle, bei denen den Tätern eine Flucht über einen Tunnel gelang: In Berlin-Zehlendorf war das 1995 der Fall und 2013 in Berlin-Steglitz. Vier schwerbewaffnete Räuber überfielen in Berlin-Zehlendorf 1995 eine Bank, verlangten zwar ein Auto zum flüchten – doch bei Eintreffen des Sondereinsatzkommandos waren sie längst über einen Tunnel verschwunden, den sie Monate im Voraus gebuddelt hatten.

Im Fall Steglitz gruben die Täter ebenfalls Monate im Voraus den Tunnel über eine Tiefgarage, den sie professionell wie im Bergbau gesichert hatten. Der Tunnelraub von Berlin-Steglitz hatte international für Aufsehen gesorgt. Es geht jedoch auch simpler: Bei einem Banküberfall 2009 in Blaufelden stiegen die Räuber schlicht über ein Kellerfenster ein.

Sind es eher Amateure oder Profis, die Banküberfälle begehen?

Angekommen am Tatort meint Felix Murot gleich zu erkennen, dass keine Profis am Werk seien. Nein, das sei ein kleiner Underdog, der in einer großen Krise steckt und aus Verzweiflung eine Bank überfällt, lautet seine These. Was ist dran an der These?

Eine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Denn eine statistische Definition, was einen Profi und einen Amateur ausmacht, gibt es laut Bundeskriminalamt nicht. Studien des BKA können Aufschluss über Persönlichkeitsbilder von Straftätern geben, wenn auch begrenzt, da sie sich auf Aktenlage stützen.

„Tatort“ mit Ulrich Tukur: Bilder aus „Murot und das Murmeltier“

Schauspieler Ulrich Tukur nimmt es im „Tatort“ in Wiesbaden mit einem Bankräuber auf. Der Fall ist für seine Rolle Felix Murot nicht so leicht zu lösen, wie es zunächst scheint.
Schauspieler Ulrich Tukur nimmt es im „Tatort“ in Wiesbaden mit einem Bankräuber auf. Der Fall ist für seine Rolle Felix Murot nicht so leicht zu lösen, wie es zunächst scheint. © HR/Bettina Müller | HR/Bettina Müller
Murot (li.) trifft am Ort des Geschehens auf seine Kollegin Magda Wächter (Barbara Philipp), die ihn am frühen Morgen über den Banküberfall informiert.
Murot (li.) trifft am Ort des Geschehens auf seine Kollegin Magda Wächter (Barbara Philipp), die ihn am frühen Morgen über den Banküberfall informiert. © HR/Bettina Müller | HR/Bettina Müller
Kommissar Murot ist sich sicher, den Fall in kurzer Zeit zu lösen. Banküberfälle seien Routine, behauptet Murot. „Kennt man einen Täter, kennt man sie alle“, meint er vor den Kollegen. Das sei alles keine große Mühe, sondern ein Routine-Einsatz.
Kommissar Murot ist sich sicher, den Fall in kurzer Zeit zu lösen. Banküberfälle seien Routine, behauptet Murot. „Kennt man einen Täter, kennt man sie alle“, meint er vor den Kollegen. Das sei alles keine große Mühe, sondern ein Routine-Einsatz. © HR/Bettina Müller | HR/Bettina Müller
Von den Kollegen ist Murot der einzige, der sich in die Bankfiliale wagt. Der Bankräuber hat telefonisch gefordert, dass jemand hereinkommt. In den Räumen der Bank trifft er auf die Komplizin, die mit einer Armbrust bewaffnet ist.
Von den Kollegen ist Murot der einzige, der sich in die Bankfiliale wagt. Der Bankräuber hat telefonisch gefordert, dass jemand hereinkommt. In den Räumen der Bank trifft er auf die Komplizin, die mit einer Armbrust bewaffnet ist. © HR/Bettina Müller | HR/Bettina Müller
Die Auflösung des Falls stellt sich schließlich als nicht so eine einfache Routine heraus, wie der Kommissar so hochmütig behauptet hat. Langsam beginnt auch Murot, an sich zu zweifeln.
Die Auflösung des Falls stellt sich schließlich als nicht so eine einfache Routine heraus, wie der Kommissar so hochmütig behauptet hat. Langsam beginnt auch Murot, an sich zu zweifeln. © HR/Bettina Müller | HR/Bettina Müller
Ein Traum oder Wirklichkeit? Irgendwann weiß Kommissar Murot es selbst nicht mehr...
Ein Traum oder Wirklichkeit? Irgendwann weiß Kommissar Murot es selbst nicht mehr... © HR/Bettina Müller | HR/Bettina Müller
1/6

Was in der Statistik von 1986 bis heute nahezu gleich geblieben ist, dass der höhere Anteil an Bankräubern männlich ist und sich in einem Alter ab 21 Jahren befindet. 2017 gab es von 109 Bankräubern 105 männliche Täter sowie vier weibliche Täterinnen.

Laut einer BKA-Studie sind die Täter zu etwa 60 Prozent ledig, 20 Prozent verheiratet und kleinere Anteile geschieden oder getrennt lebend. Als Motive werden zu rund 70 Prozent Gewinnsucht genannt und in 17 Prozent sollen finanzielle Notlagen verantwortlich sein.

Weiterhin befinden sich laut der Studie unter Bankräubern mehr Täter, die vorbestraft waren, und weniger Ersttäter. Bei einem geringen Anteil handelt es sich um vorzeitig entlassene Straftäter oder psychisch Erkrankte.

Alles Routine für „Tatort“-Kommissar Murot?

Wie „Tatort“-Kommissar Felix Murot zu seiner These kommt, in seinem Fall seien keine Profis am Werk, sondern ein verzweifelter Underdog, lässt sich offenbar auf der Grundlage von Polizeiakten zumindest ansatzweise erahnen. Und wenn man dann noch ein erfahrener Landeskriminalbeamter ist...

So eine simple Routine, wie Murot behauptet, scheint der Fall dann aber nicht zu sein. „Wir wissen schon alles. Kennt man einen Täter, kennt man sie alle“, protzt er gleich zu Anfang hochmütig.

Und trotzdem braucht der Profi-Kommissar in der „Tatort“-Folge „Murot und das Murmeltier“ letztlich mehr als einen einzigen Tag, um den Banküberfall zu lösen. Obwohl es doch Tag für Tag und Tag für Tag das Gleiche ist.

"Tatort": Das sind fünf spannende Fakten

weitere Videos