Berlin. Wie aktuell ist Karl Marx? Klingt trocken, wurde bei „Anne Will“ aber zu einem guten Talk – auch weil die Gastgeberin hartnäckig war.

Das große Versprechen der sozialen Marktwirtschaft ist, den Kapitalismus zu bändigen. Wo die ungezähmte Macht des Marktes vernichtend wirken würde, soll sie mäßigen und Ausgleich schaffen – und so den gesellschaftlichen Zusammenhalt garantieren. Doch gelingt das wirklich noch?

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, der am 5. Mai 200 Jahre alt geworden wäre, wäre da wohl skeptisch gewesen.

Das Jubiläum nahm sich am Sonntagabend auch Anne Will zum Anlass, um über die Thesen und die Aktualität des Theoretikers zu sprechen. „Wie sozial ist der Kapitalismus?“, war dabei die Leitfrage.

Sollte man Karl Marx verwerfen?

Das erste Drittel verwendete die Runde auf eine durchaus interessante Analyse von Marx‘ Denken. Der Unternehmer Georg Kofler etwa forderte, dass man die Überlegungen für die konkrete Politik vergessen solle. „Alle Systeme die darauf aufbauten sind in totalitäre Regimes abgedriftet“, sagte Kofler unter Verweis auf die Staaten der Sowjetunion, aber auch auf Venezuela und Kuba. Letztlich sei jede realpolitische Anwendung gescheitert. „Das ist der größte Flop der Wirtschaftsgeschichte. Er hat alle Länder, die das umgesetzt haben, in den Ruin geführt“, befand der Unternehmer.

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    Kardinal Reinhard Marx dagegen warnte davor, seinen Namensvetter zu verwerfen. „Wenn man den Kapitalismus laufen lässt, setzt sich nicht automatisch das Gute durch“, sagte der Kardinal. Zuletzt sei deutlich geworden, welche negativen sozialen und politischen Folgen der globalisierte Kapitalismus habe. „Plötzlich kommt die Kritik auch von rechts – und sogar aus dem Weißen Haus“, stellte Marx fest. Dagegen müsse mit einer Renaissance der wirklichen sozialen Marktwirtschaft reagiert werden, die den Kapitalismus effektiv einhegt.

    Der Finanzminister in Bedrängnis

    Dass es tatsächlich ein Problem gibt, zeigt allein die ungleiche Verteilung der Vermögen. Beispiel Deutschland: 45 Superreiche besitzen hier so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Das brachte in der Runde Finanzminister Olaf Scholz in Bedrängnis, schließlich ist seine SPD seit gut 20 Jahren am Ruder – und hat die Entwicklung doch zugelassen.

    Von der Gastgeberin dazu gekonnt in die Mangel genommen, reagierte Scholz darauf überraschend hilflos. Kurzerhand erklärte er, dass die Politik hierzulande wenig gegen „Megatrends“ tun könne, die so überall stattfinden würden. „Da sind große globale Veränderungen am Wirken“, sagte Scholz. Das ließe sich nicht mal ebenso ändern.

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      Wagenknechts überzeugende Analyse

      An dieser Stelle fragte man sich, was wohl schlimmer wäre: Dass Scholz mit seiner Beschreibung der völlig hilflosen Politik Recht hat; oder dass er sich derart in Ausreden flüchtet. Für Sahra Wagenknecht stand fest, dass letzteres der Fall ist: „Das sind die üblichen Ausreden: Die Globalisierung oder die Digitalisierung sind schuld“, sagte die Linken-Politikerin.

      Ihre dann folgende Analyse war durchaus plausibel. Früher, argumentierte Wagenknecht, sei die Wirtschaft von einer starken Sozialdemokratie eingehegt worden. Heute aber gebe es dieses Gegengewicht nicht mehr. „Die Politik hält nicht dagegen, sondern macht, was die Wirtschaft will“, sagte Wagenknecht. Das Ergebnis sei eine wachsende Ungleichheit, die soziale Marktwirtschaft funktioniere nicht mehr.

      Ein leidenschaftlicher Unternehmer

      Ein ebenso beachtliches Plädoyer hielt Kofler. Mit Leidenschaft pries er die Globalisierung, die doch auch Chancen eröffne – gerade für die exportierende deutsche Wirtschaft. Auch gehe es vielen Unternehmern nicht um Profite, sondern um die Gestaltung. „Man will das eigene Schicksal in die Hand nehmen“, sagte Kofler.

      Die Wortmeldung war wichtig, weil sie daran erinnerte, dass viele Unternehmen noch immer dem Ideal der sozialem Marktwirtschaft folgen. Zugleich sprang sie aber auch zu kurz, weil sie nur das beste Beispiel eines Unternehmers hervorkehrte – und fragwürdige, systematische Probleme dahinter verschwinden ließ.

      Das Fazit

      „Das Kapital“ ist verdammt trocken – diese Ausgabe von „Anne Will“ war es nicht. Das lag an einer hartnäckigen Gastgeberin, vor allem aber daran, dass der Runde der Sprung vom Allgemeinen ins relativ Konkrete gelang.