Berlin. Vor dem „Tag der Arbeit“ legte die ARD den Finger in die Wunde: Millionen schuften zu Niedriglöhnen – politische Lösungen fehlen.

  • Vor dem „Tag der Arbeit“ legte die ARD den Finger in die Wunde
  • Millionen schuften zu Niedriglöhnen
  • Politische Lösungen fehlen

Christian Lindner ist ein spendabler Mann. Wer sich das bis jetzt nicht vorstellen konnte, wurde am Montagabend bei „Hart aber fair“ eines Besseren belehrt. Ganze zwei Euro Trinkgeld drückt der FDP-Chef nämlich jedem Fahrradkurier in die Hand, der sein Essen bis an die Wohnungstür liefert.

Eine Neuigkeit? Naja. Aber viel Konkretes bot die Runde halt nicht, mit der Frank Plasberg über „Beruf Niedriglöhner – Wirtschaftsboom auf Kosten der Ärmsten?“ diskutierte. Und zu eben jener Gruppe zählen auch die Essensausfahrer, daran ändern die zwei Euro von Lindner nichts.

ARD startet neue Doku-Reihe

Dabei hatte es doch so gut angefangen: Zum Auftakt der neuen Reportage-Reihe „Was Deutschland bewegt“ beschäftigte sich die ARD zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr mit den Schattenseiten des Job-Booms. Sie zeigte Menschen, die um den Mindestlohn betrogen werden, Regionen, in denen Tristesse vorherrscht. Und Konzerne wie die Deutsche Post, die über Subunternehmen Lohndumping betreiben.

„Die Lebensstandards werden ungleicher“, sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Städte wie Görlitz und Duisburg drohen abgehängt zu werden. Fratzscher und seine Kollegen haben ausgerechnet, dass zwei Millionen Beschäftigte noch immer unterhalb des Mindestlohns bezahlt werden. Schauriger Höhepunkt der Doku: „Was willste eigentlich auf der Welt, du kannst dir ja eh nichts leisten“, sagte eine Frau, die – trotz Arbeit – im Alter auf Sozialhilfe angewiesen sein wird. Bis ans Lebensende.

Die erste Folge der Reportage-Reihe warf wichtige Fragen auf: Wieso pochen Arbeitnehmer nicht auf ihre Rechte? Warum kontrolliert der Staat die Einhaltung seiner eigenen Regeln viel zu selten? Wie lässt sich das Problem eines auseinanderdriftenden Arbeitsmarktes lösen? Oder anders gesagt: Ist schlecht bezahlte Arbeit nicht besser als gar keine Arbeit?

FDP-Chef Lindner spricht lieber von der „Mitte“

Klar: Vieles von dem, was die Autoren zeigten, ist bekannt. Dass das allein aber nicht reicht, um politische Lösungen zu finden, zeigte die anschließende Diskussion bei „Hart aber fair“. Christian Lindner etwa, der FDP-Chef, hatte sichtlich Mühe, sich auf die Schattenseiten des vermeintlichen Beschäftigungswunders einzulassen. Als ihn Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit der Ankündigung überraschen wollte, die Sozialabgaben für Geringverdiener zu senken, fuhr Lindner dazwischen: „Für alle!“ Seine Zielgruppe sei die „Mitte der Gesellschaft“. Was wohl so viel heißt wie: Auch in Zukunft dürfen Geringverdiener von der FDP nicht viel erwarten.

Unterstützung erhielt Lindner vom Chef des wirtschaftspolitisch konservativen ifo-Instituts, Clemens Fuest. „Ein Stundenlohn, der reguliert wird, ist ein harter Markteingriff“, sagte der Ökonom. Es sei richtig, dass Gesetze eingehalten werden müssten. Aber der Arbeitsmarkt sei eben auch ein Markt. Und dort bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis.

Die alten Schlachten werden erneut geschlagen

Für die Gegenposition war Erwin Helmer, Leiter der Katholischen Betriebsseelsorge in Augsburg, zuständig, der eine Lohnuntergrenze von 16 Euro pro Stunde forderte. Arbeitsminister Heil ließ es sich nicht nehmen, Lindner und Fuest genüsslich ihre früheren Bedenken gegen den Mindestlohn unter die Nase zu reiben. Über weite Teile der Sendung wurden die alten Schlachten noch einmal geschlagen.

Wirklich relevante Fragen – etwa die, wie es sein kann, dass fast zehn Prozent der Planstellen beim Zoll unbesetzt sind, der für die Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohns zuständig ist – wurden dagegen nur angerissen. Schade.

Arbeitsminister rät Beschäftigten, sich zu organisieren

„Es gibt Gesetzeslücken und ich finde es immer wieder erschütternd, welche Dinge in Deutschland am Arbeitsmarkt möglich sind“, sagte die „Welt“-Investigativ-Reporterin Anette Dowideit. Arbeits- und Sozialminister Heil nickte zwar eifrig, aber viel mehr als den gut gemeinten Rat an die Beschäftigten, sich gewerkschaftlich zu organisieren, hatte auch er nicht. Die Große Koalition, so scheint es jedenfalls, plant keine arbeitsmarktpolitische Wende.

Zumindest eines wissen wir aber jetzt: Es wird nicht die letzte Sendung gewesen sein, in der Frank Plasberg über die Verlierer des Aufschwungs diskutieren lässt.