Essen. Öffentlich-rechtliche Fernsehsender entdecken sogenanntes Binge Watching als neuen Trend: Sie zeigen alle Folgen einer Serie am Stück.

Als die ARD im Januar die Weltkriegsserie „Saboteure im Eis“ zeigte, waren viele Zuschauer sauer: Wer eine der im Spätprogramm ausgestrahlten Folgen verpasst hatte, konnte sie nicht wie gewohnt am nächsten Tag in der Mediathek aufrufen; die entsprechenden Rechte standen der ARD nicht zur Verfügung. Die norwegisch-britische Co-Produktion handelt von den Bemühungen der Nazis, eine Atombombe zu entwickeln, und dem Kampf der Alliierten, dies zu verhindern.

Der rbb witterte dabei offenbar die große Chance – und zeigte am Karsamstag die Serie noch mal. Diesmal alle Folgen am Stück. Der Sender folgt damit einem Trend, der vor allem durch Online-Vi­deoportale wie Netflix oder Amazon Prime populär wurde: das „Binge Watching“. Also das Schauen einer ganzen Serie ohne Unterbrechung.

Bad Banks erzielte rund 1,3 Millionen Sichtungen

Ganze Serienstaffeln am Stück gab es allerdings auch schon vor dem Aufkommen der Streaming-Dienste. Der NDR zum Beispiel zeigt schon seit vielen Jahren regelmäßig mehrere Folgen von „Neues aus Büttenwarder“ oder „Der Tatortreiniger“ am Stück. Bei ARD und ZDF werden zur TV-Premiere einer Serie oft bereits sämtliche Folgen in der Mediathek angeboten. Das Zweite will mit solchen Angeboten „auf die Sehbedürfnisse der meist jüngeren Zuschauer eingehen“.

Jüngstes Beispiel ist „Bad Banks“. Die Serie ist zehn Tage vor der Ausstrahlung bei Arte und im ZDF online sehr erfolgreich gestartet; die sechs Folgen erzielten in der ersten Woche insgesamt rund 1,3 Millionen Sichtungen. Laut ZDF sei die Möglichkeit, im Anschluss an die erste TV-Folge in der Mediathek umgehend auch die Fortsetzungen sehen zu können, „grundsätzlich stark gefragt“.

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    Genuss beim Fernsehen entsteht durch emotionales Fallenlassen

    All das erklärt aber noch nicht den Reiz eines derartigen TV-Marathons. Der Marburger Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger zitiert zur Erklärung des Phänomens aus Goethes „Faust“: „Werd’ ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön!“ Das Dauerglotzen sei nichts anderes als der Versuch, „den schönen Augenblick in die Länge zu ziehen“.

    Genuss beim Fernsehen, erläutert der Experte, entstehe durch das emotionale Fallenlassen: „Der Zuschauer taucht in eine Geschichte ein, indem er sich in die Figuren hineinversetzt. Dafür ist aber ein bestimmter zeitlicher und emotionaler Aufwand nötig. Dieser Aufwand will belohnt werden.“

    Der Ursprung des Phänomens liegt im 19. Jahrhundert

    Außerdem handele es sich keineswegs um ein Phänomen des Streaming-Zeitalters: „Die kulturhistorischen Wurzeln liegen im Lieferungsroman des 19. Jahrhunderts, als Romane den Lesern in wöchentlicher Fortsetzungsform nach Hause gebracht wurden. Man hatte nun die Wahl, jede Woche ein Kapitel zu konsumieren oder sämtliche Lieferungen zu sammeln und das Buch am Stück zu lesen.“

    Dass auch öffentlich-rechtliche Sender den Trend für sich entdecken, wundert den Experten nicht. Der rbb habe durch das Zeigen einer ganzen Serie am Stück mit den Zuschauern eine verbindliche Verabredung getroffen. Wöchentliche Folgen würden viele Zuschauer auch mal verpassen – und irgendwann die Lust verlieren.