Gladbeck/Berlin. 54 Stunden Geiseldrama in 180 Minuten. Der ARD-Zweiteiler „Gladbeck“ mit glänzenden Darstellern ist packend und beklemmend zugleich.

Schwerverbrecher, die mit gezückter Waffe durch eine belebte Fußgängerzone spazieren; Fotografen, die mit ihren Teleobjektiven neben Scharfschützen der Polizei in Stellung gehen; Geiselnehmer, die für die Medien posieren und Journalisten, die ihrerseits den Gangstern Hilfe anbieten: „Können wir was für Sie tun?“.

Groteske, ja absurd erscheinende Szenen – die sich aber genau so zugetragen haben. Sie sind Teil jener zweieinhalb Tage im August 1988, die als Gladbecker Geiseldrama in die bundesdeutsche Kriminalgeschichte eingingen.

Doku-Drama und Thriller zugleich

Die Ereignisse von vor 30 Jahren hat die ARD jetzt zu dem Zweiteiler „Gladbeck“ verarbeitet, der die dramatischen 54 Stunden zwischen dem missglückten Banküberfall in Gladbeck und dem fatalen Zugriff der Polizei auf der Autobahn bei Bonn auf insgesamt 180 Minuten verdichtet. Sendetermine sind an diesem Mittwoch und Donnerstag jeweils ab 20.15 Uhr.

„Gladbeck“ – ARD-Zweiteiler in Bildern

Das Geiseldrama von Gladbeck hielt im August 1988 Deutschland in Atem. Jetzt hat die ARD die Ereignisse von damals verfilmt. 16. August 1988: Maskierte überfallen in Gladbeck eine Bankfiliale.
Das Geiseldrama von Gladbeck hielt im August 1988 Deutschland in Atem. Jetzt hat die ARD die Ereignisse von damals verfilmt. 16. August 1988: Maskierte überfallen in Gladbeck eine Bankfiliale. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Polizisten eilen zu dem Banküberfall im nordrhein-westfälischen Gladbeck.
Polizisten eilen zu dem Banküberfall im nordrhein-westfälischen Gladbeck. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Der Gefängnisausbrecher Hans-Jürgen Rösner (Sascha Alexander Geršak) ist brandgefährlich.
Der Gefängnisausbrecher Hans-Jürgen Rösner (Sascha Alexander Geršak) ist brandgefährlich. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Der NRW-Einsatzleiter (Ulrich Noethen) weiß schon bald, wie gefährlich die Bankräuber sind.
Der NRW-Einsatzleiter (Ulrich Noethen) weiß schon bald, wie gefährlich die Bankräuber sind. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Das Verbrecher-Duo Rösner (Sascha Alexander Geršak, r.) und Degowski (Alexander Scheer, li.) bringt in Bremen einen Bus und die Fahrgäste in seine Gewalt.
Das Verbrecher-Duo Rösner (Sascha Alexander Geršak, r.) und Degowski (Alexander Scheer, li.) bringt in Bremen einen Bus und die Fahrgäste in seine Gewalt. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Geiselnehmer Dieter Degowski (Alexander Scheer) ist eine tickende Zeitbombe.
Geiselnehmer Dieter Degowski (Alexander Scheer) ist eine tickende Zeitbombe. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
 Rösners Freundin Marion Löblich (Marie Rosa Tietjen) wird Teil der Bande.
Rösners Freundin Marion Löblich (Marie Rosa Tietjen) wird Teil der Bande. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Eine verpasste Chance bei der Rettung der Geiseln: Bremens Innensenator (Stephan Kampwirth) verhindert den finalen Rettungsschuss.
Eine verpasste Chance bei der Rettung der Geiseln: Bremens Innensenator (Stephan Kampwirth) verhindert den finalen Rettungsschuss. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
 Kollektives Versagen: Bremens Kripo-Chef (Martin Wuttke, re.) ist ratlos.
Kollektives Versagen: Bremens Kripo-Chef (Martin Wuttke, re.) ist ratlos. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Vom Bus in den PKW: An der niederländischen Grenze wechseln die Geiselnehmer das Fahrzeug.
Vom Bus in den PKW: An der niederländischen Grenze wechseln die Geiselnehmer das Fahrzeug. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Ein Geiseldrama als bizarres Spektakel: Fotografen und TV-Teams umringen die Entführer in der Kölner Innenstadt.
Ein Geiseldrama als bizarres Spektakel: Fotografen und TV-Teams umringen die Entführer in der Kölner Innenstadt. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Scharfschützen nehmen die Gladbecker Geiselnehmer ins Visier – dürfen aber nicht abdrücken.
Scharfschützen nehmen die Gladbecker Geiselnehmer ins Visier – dürfen aber nicht abdrücken. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Ein Boulevardjournalist (Arnd Klawitter) bietet den Geiselnehmer Rösner (Sascha Alexander Geršak) und seiner Freundin und Komplizin Marion Löblich (Marie Rosa Tietjen) an, das Geiselfahrzeug aus der Kölner Innenstadt zu lotsen.
Ein Boulevardjournalist (Arnd Klawitter) bietet den Geiselnehmer Rösner (Sascha Alexander Geršak) und seiner Freundin und Komplizin Marion Löblich (Marie Rosa Tietjen) an, das Geiselfahrzeug aus der Kölner Innenstadt zu lotsen. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Der Gladbeck-Entführer Hans-Jürgen Rösner (Sascha Alexander Geršak) droht mit der Waffe.
Der Gladbeck-Entführer Hans-Jürgen Rösner (Sascha Alexander Geršak) droht mit der Waffe. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Geiselgangster Rösner (Sascha Alexander Geršak) im Fokus der Medienvertreter.
Geiselgangster Rösner (Sascha Alexander Geršak) im Fokus der Medienvertreter. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Der Schwerverbrecher Rösner (Sascha Alexander Geršak) ist bereit zu töten.
Der Schwerverbrecher Rösner (Sascha Alexander Geršak) ist bereit zu töten. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Die Schattenseite des Sensationsjournalismus: Medienvertreter nehmen keine Rücksicht auf das Schicksal der Geisel Ines Voitle (Lilli Fichtner).
Die Schattenseite des Sensationsjournalismus: Medienvertreter nehmen keine Rücksicht auf das Schicksal der Geisel Ines Voitle (Lilli Fichtner). © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Geiselnehmer Degowski (Alexander Scheer) ist unberechenbar.
Geiselnehmer Degowski (Alexander Scheer) ist unberechenbar. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Die Medien berichten über die spektakuläre Geiselnahme: Dieter Degowski (Alexander Scheer) liest über sich in der Zeitung.
Die Medien berichten über die spektakuläre Geiselnahme: Dieter Degowski (Alexander Scheer) liest über sich in der Zeitung. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Rösner (Sascha Alexander Geršak) hat nichts zu verlieren: Der Geiselnehmer inszeniert sich vor den Medienvertretern als knallharter Verbrecher.
Rösner (Sascha Alexander Geršak) hat nichts zu verlieren: Der Geiselnehmer inszeniert sich vor den Medienvertretern als knallharter Verbrecher. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
 Der Innenminister von NRW (August Zirner).
Der Innenminister von NRW (August Zirner). © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
Der NRW-Innenminister drängt seine Mitarbeiter (Ralf Dittrich) zu einer gewaltsamen Geiselbefreiung.
Der NRW-Innenminister drängt seine Mitarbeiter (Ralf Dittrich) zu einer gewaltsamen Geiselbefreiung. © ARD Degeto/Ziegler Film | Martin Valentin Menke
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Herausgekommen bei diesem ambitionierten Projekt ist eine überaus sehenswerte Kombination aus beklemmendem Doku-Drama, das sich ganz eng an die Realität anlehnt, und nahezu perfekt inszeniertem, hoch emotionalem Thriller mit herausragenden Darstellern.

Die dramatischen Tage im August 1988

August 1988: Die realen Geiselnehmer Dieter Degowski (l.) und Hans-Jürgen Rösner in dem in Bremen gekaperten Linienbus.
August 1988: Die realen Geiselnehmer Dieter Degowski (l.) und Hans-Jürgen Rösner in dem in Bremen gekaperten Linienbus. © dpa | Hartmut Reeh

Rückblende: 16. August 1988, ein Dienstag. Am frühen Morgen dringen die beiden vorbestraften Verbrecher Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski in die Filiale der Deutschen Bank im Gladbecker Stadtteil Rentford ein. Sie nehmen zwei Angestellte als Geiseln, fordern 300.000 D-Mark. Als das Duo mit den Geiseln in einem von der Polizei bereitgestellten Fluchtwagen davon fährt, beginnt eine wahre Irrfahrt durch NRW und Niedersachsen bis nach Holland und wieder retour.

In Bremen kapern die Täter einen Linienbus mit rund 20 Passagieren, Degowski erschießt den 15-jährigen Emanuele de Giorgi. Später machen die Gangster mit einem Pkw und den zwei verbliebenen Geiseln Station in der Kölner City, bevor die Polizei der Geiselnahme auf der A3 nahe Bonn ein Ende bereitet.

Ein Debakel für Polizei und Politik

Bei der Schießerei am frühen Nachmittag des 18. August 1988 kommt die 18 Jahre alte Geisel Silke Bischoff durch eine Kugel aus Rösners Waffe ums Leben. Zusammen mit Emanuele de Giorgi und einem Polizisten, der bei einem Verkehrsunfall während der Verfolgung der Geiselnehmer stirbt, stehen am Ende drei Tote. Für Polizei und Politik ist es ein Debakel, für die Angehörigen der Opfer eine Tragödie.

Doch wie fasst man die Ereignisse von damals in all ihren Facetten zusammen – das maximale Versagen der Polizei, die Grenzüberschreitungen der Journalisten und nicht zuletzt die Tat an sich mit ihren tödlichen Folgen?

Fokus liegt auf dem Leid der Angehörigen

Regisseur Kilian Riedhof blickt nicht zuletzt aus der Sicht der Angehörigen der späteren Todesopfer de Giorgi und Bischoff auf die Ereignisse. Er habe „das Leid dieser Familien in dieser Breite erzählen“ wollen, und zwar „mit aller Wucht“, so Riedhof. Das ist für den Zuschauer in manchen Sequenzen des Zweiteilers nur schwer auszuhalten, etwa wenn Emanueles Vater mit dem Tod seines Sohnes konfrontiert wird.

Aber Regisseur Riedhof sieht sich auch als Stimme der Opfer, deren Geschichten beim Rückblick auf das Geiseldrama oft hinter dem schillernden Täter-Duo Rösner/Degowski verschwinden. Das Schicksal der erschossenen Geiseln rühre ihn als Familienvater selbst, so Riedhof.

Martin Wuttke und Ulrich Noethen als Einsatzleiter

In epischer Breite führt „Gladbeck“, das teilweise an Originalschauplätzen wie etwa in der Bankfiliale gedreht wurde, das komplette Versagen der Polizei während nahezu der gesamten Geiselnahme aus.

Wie da Verantwortung weiter- und Entscheidungen aufgeschoben werden, wie ängstliche Einsatzleiter ein ums andere Mal günstige Gelegenheiten zum Zugriff verstreichen lassen, wie Inkompetenz und politischer Druck schließlich zum fatalen Ende führen – das lässt den Zuschauer auch nach drei Jahrzehnten noch den Kopf schütteln. „Jetzt müssen wir hoffen, dass sie einsteigen und weiterfahren“,sagt an einer Stelle ein Polizeibeamter. Vor allem Martin Wuttke und Ulrich Noethen als Kripo-Einsatzleiter bringen die ganze Hilflosigkeit der Polizei überzeugend auf den Bildschirm.

Hauptdarsteller mit viel Physis statt Text

Regisseur Riedhof geht ein Risiko ein. Er belässt die Figuren Rösner (Sascha A. Geršak) und Degowski (Alexander Scheer) über weite Teile der 180 Minuten im Hintergrund, beinahe als Randfiguren. Beiden Darstellern gelingt es auf beeindruckende Weise, ihren Rollen weniger durch Worte, als vielmehr durch pure Präsenz Tiefe verleihen. „Wir hatten zusammen gerade mal 40 Sätze Text“, erzählt etwa Scheer, „unser Spielen bestand hauptsächlich aus Physis.“

Riedhof wählte Geršak und Scheer mit Bedacht aus. Er habe keine Schauspieler für die Hauptrollen engagieren wollen, deren Gesichter den Zuschauern aus zahllosen Serien oder Spielfilmen vertraut seien, weil dies die Authentizität der Bilder gefährdet hätte.

Große Ähnlichkeit mit Rösner und Degowski

Dieser „Mut zur unerwarteten Besetzung“, wie Riedhof es selbst ausdrückt, hat sich gelohnt. Geršak und Scheer verschmelzen geradezu mit ihren realen Vorbildern, die frappierend ähnliche Physiognomie mit den realen Personen Rösner und Degowski tut ein übriges. So konnte Riedhof auf die Einspielung von Originalaufnahmen verzichten, wie man sie sonst oft bei Filmen sieht, die auf realen Ereignissen beruhen.

Was für Geršak und Scheer gilt, trifft in ähnlicher Weise auf Zsa Zsa Inci Bürkle in ihrer Rolle als Geisel Silke Bischoff zu. Die Schauspielerin, Jahrgang 1995, erzählt, ihr sei vor Drehbeginn das Geiseldrama mit all seinen Facetten gar nicht recht präsent gewesen. „Als ich dann die Bilder sah“, erinnert sie sich, „konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass das real war. Ich dachte es wäre ein Film.“

Diesen Film hat die ARD nun gedreht. Ein starkes Stück Fernsehen.

ARD, 7./8. März, jeweils 20.15 Uhr.