Berlin. Im neuen Berliner „Tatort“ haben alle Opfer eine Gemeinsamkeit. Die Ermittler vermuten Serientäter. Ein Krimi, der überzeugen kann.
Über die Kunst des „ersten Satzes“ eines Romans sind unzählige literaturwissenschaftliche Arbeiten geschrieben worden. Im Film kommt den ersten Bildern die gleiche Bedeutung zu. Wie Regisseur Florian Baxmeyer seinen Krimi „Dein Name sei Harlinger“ eröffnet, das ist schlicht grandios.
In einem U-Bahn-Schacht trommelt sich ein Punk auf Benzinkanistern die Seele aus dem Leib, während rasante, geradezu hektisch zwischengeschnittene Szenen Verfolgungsjagd und Prügelei zweier Männer zeigen. Nichts an diesem „Intro furioso“, das den Zuschauer unwiderstehlich in Bann zieht, liefert einen Hinweis auf das folgende Geschehen. Doch die ekstatischen Trommelklänge hallen auf magische Weise nach, wenn der neue Berlin-„Tatort“ längst zur scheinbaren Krimi-Tagesordnung übergegangen ist.
„Tatort“: Einsatz in Kinderwunsch-Klinik
Verkohlte männliche Leiche im Kleintransporter
Für die Kommissare Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) ist es der sechste gemeinsame Einsatz. In Berlin-Friedrichshain wurde in einem ausgebrannten Kleintransporter eine verkohlte männliche Leiche gefunden. Die Ermittler finden heraus, dass es drei ältere Fälle mit ähnlichem Tathergang gab, die nie aufgeklärt wurden. Ist ein Serientäter am Werk? Offenbar wurden alle Opfer in den 80ern in einer Klinik in Wannsee mittels In-Vitro-Fertilisation gezeugt. Bei ihren Ermittlungen stoßen Rubin und Karow zudem auf den Eigenbrötler Harlinger (Christoph Bach), der einen Schlüsseldienst in einem U-Bahn-Schacht am Alexanderplatz betreibt.
So intelligent verschachtelt und stimmig das Drehbuch von Matthias Tuchmann und Michael Comtesse ist, so klug halten Baxmeyer und seine Kamerafrau Eva Katharina Bühler das vielschichtige Geschehen in der Schwebe. Gelegentliche Seitenblicke auf das Privatleben der Protagonisten (Rubins eskalierender Knatsch mit Sohn und Ex) werden nicht bedeutungstriefend ausgespielt, sind nur kleine Ruhe-Inseln vor dem neuerlichen Aufbau der Spannung, die unaufhaltsam anwächst.
Entscheidenden Anteil hat der permanente Wechsel der Schauplätze. Die Berliner Außenwelt und die fremdartige, seelenlos erscheinende Unterwelt des U-Bahnhofs werden auf fast mythologische Weise untrennbar miteinander verknüpft. Kein Himmel ohne Hölle. Allmählich wird dann auch klar, warum der Titel des Films „Dein Name sei Harlinger“ so biblisch anmutet.
Charakterstudie geht unter die Haut
Nach dem rasant geschnittenen Auftakt setzt die Regie dabei zunehmend auf lange, zusammenhängende Einstellungen, die nicht nur hohe technische Anforderungen (Kamera, Licht) stellen, sondern vor allem auch eine Herausforderung an die Schauspieler bedeuten, die mehr als nur kurze Sekunden-Takes bewältigen müssen. Und die Darsteller nehmen diese Herausforderung dankbar und bravourös an.
Eleonore Weisgerber etwa als Todkranke, die einst die Laborleiterin der Klinik war, liefert eine unter die Haut gehende Charakterstudie. Und wie Christoph Bach den Harlinger spielt, der in einem weit verzweigten Wahnsystem lebt und einer Weltverschwörung auf der Spur zu sein glaubt, das erlebt man nicht alle Fernseh-Tage.
Fazit: Einer der besten „Tatorte“ seit Langem; rasant, vielschichtig und mit Darstellern, die man so schnell nicht vergisst.
Sonntag, 10 Dezember, 20.15 Uhr, ARD: „Tatort – Dein Name sei Harlinger“