Berlin. Nachdem Andreas Hollstein, der Bürgermeister von Altena, von einem Mann in einer Imbissstube mit einem Messer attackiert wurde, erhielt er viel Zuspruch und Solidarität. Doch er bekam auch Botschaften wie diese gemailt: „Wenn Ihre Frau deutsch kochen würde, bräuchten Sie nicht zur Dönerbude zu gehen, dann wäre das nicht passiert.“ Oder: „Schade dass der Täter es nicht vollbracht hat.“ Oder: „Du lächerliche Witzfigur“ – das wahre Opfer sei der Mann mit dem Messer.
Hollstein hatte die entsprechenden E-Mails, die unter anderem von einer AfD-Wählerin kamen, in die „Maischberger“-Sendung am Mittwochabend in der ARD mitgebracht. Zu der Wunde am Hals kamen also noch Häme und Hass frei Haus. Er sehe „die Gefahr, dass braunes Gedankengut einfließt in unsere Gesellschaft“, so Hollstein; und zwar „unter dem Deckmantel der sozialen Netzwerke“.
Verroht unsere Gesellschaft?
Nach dem Messerangriff von Altena am Montagabend hatte Sandra Maischberger ihr Programm umgeworfen. Statt die Chancen einer neuen großen Koalition in Berlin auszuloten, ging es nun um die Frage „Verroht unsere Gesellschaft?“

Da traf es sich, dass die AfD-Fraktionschefin im Bundestag, Alice Weidel, ohnehin auf Maischbergers Gästeliste stand.
Weidel verwahrte sich vehement gegen den Vorwurf, ihre Partei bereite gleichsam das Terrain für den Messerstecher von Altena, der ja aus diffusen fremdenfeindlichen Motiven gehandelt haben soll.
„Wir verurteilen jede politisch motivierte Gewalttat“, betonte die AfD-Spitzenfrau. Es gebe aber in Deutschland seit einiger Zeit „eine Gewaltspirale durch Migrantenkriminalität“.
Maas: Prinzip der AfD, Menschen gegeneinander aufzuhetzen
Klar, dass sie mit ihrem Bekenntnis in der Runde auf Widerspruch stieß. Die AfD habe „massiv“ zu der in Deutschland herrschenden „Hass-Stimmung“ beigetragen, urteilte etwa der Hannoveraner Kriminologe Christian Pfeiffer. Die Partei „erfindet eine Realität, die unbedarfte Menschen für richtig halten“. Und auch Bundesjustizminister Heiko Maas erklärte, es sei „das Prinzip der AfD, Menschen gegeneinander aufzuhetzen“.
Über weite Strecken glich der teils wirre Disput bei „Maischberger“ ungezählten früheren Talk-Debatten im Fernsehen. Minister Maas lobte sein Facebook-Gesetz gegen Hetze, Alice Weidel forderte scharfe Grenzkontrollen gegen Flüchtlinge und der Journalist Jan Fleischhauer berichtete stolz von seinem Selbstversuch in den sozialen Medien. Der Nutzwert hielt sich über weite Strecken in engen Grenzen.
Hollstein war der Unaufgeregteste in der Runde
Und vielleicht wäre es ja wirklich besser gewesen, Maischberger wäre beim ursprünglichen Thema GroKo geblieben – wenn da nicht Bürgermeister Hollstein gewesen wäre. Seine unaufgeregte Art, trotz des Schocks durch das „Fleischermesser vor der Kehle“, zeigte, wie solche Diskussionen in Deutschland geführt werden sollten: besonnen, ohne eilige politische Schuldzuweisungen, mit Augenmaß. Er habe „Mitleid“ mit seinem Angreifer, bekannte Hollstein.
Doch die Attacke hat auch bei ihm Spuren hinterlassen. Bei „Maischberger“ berichtete er, wenige Stunden vor der Sendung habe ihn die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker angerufen. Sie war 2015 bei einem Wahlkampfauftritt von einem Angreifer niedergestochen und lebensgefährlich verletzt worden. Das Gespräch habe ihm gezeigt, die „seelischen Folgen“ bei Reker und ihm seien ähnlich, so der Bürgermeister. „Es bleibt Angst.“
Hier geht’s zur Sendung in der ARD-Mediathek.
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