Berlin. Anne Will ließ am Sonntagabend die künftige Bundesregierung diskutieren. Könnte ein Jamaika-Bündnis die Enttäuschten zurückgewinnen?

Die große Koalition gilt vielen als Gift für die Demokratie: Wenn in der Mitte nur Einigkeit herrscht und dank komfortabler Mehrheiten durchregiert werden kann, stärkt das automatisch die Ränder. Und so gilt das Ergebnis der Bundestagswahl dieser Lesart nach auch als klare Absage an ein „weiter so“ unter Schwarz-Rot.

Allein, was folgt darauf? Mit Jamaika ist nach der Absage der Sozialdemokraten nur noch eine Regierungsvariante einigermaßen denkbar. Und die könnte richtig kompliziert werden. Das Thema beschäftigte am Sonntagabend auch Anne Will: Könnten Union, FDP und Grüne gemeinsam die Enttäuschten zurückgewinnen? So lautete eine der zentralen Frage.

Warum Jamaika problematisch ist

Die präzisesten Analysen lieferte Robert Habeck. „Jamaika hat keiner gewollt“, räumte der grüne Minister ein, der in Schleswig-Holstein in einem solchen Bündnis mitregiert. Nun müsse man sich halt zusammenraufen. Problematisch sei allerdings, dass keine der potenziellen Partner für die soziale Frage stehe. Viele Menschen aber hätten die AfD gewählt, weil sie sich mitunter sozial abgehängt fühlten.

Zugleich erweiterte Habeck diese gängige Analyse um den Heimatbegriff. Dieser müsse von der künftigen Regierung neu und positiv befüllt werden, da die Entscheidung für Rechtspopulisten eben nicht nur mit sozialen Aspekten zusammenhängt. Schwierig sei aber, dass viele AfD-Wähler gegen die Dynamik im Land seien. Doch stehe Jamaika und insbesondere die Grünen für diese Entwicklung. „Die Grünen wollen sowieso alles ändern“, sagte Habeck. „In dieser Hinsicht in Jamaika die falsche Antwort.“

Die FDP präferiert den Begriff „Schwampel“

Ähnlich kritisch gab sich auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann. „Wenn man Jamaika hört, denkt man an einen Strand: einen Cocktail rechts und einen Joint links in der Hand“, sagte die FDP-Vizechefin. Dass sei eigentlich irreführend. „Man sollte das lieber Schwampel nennen, auch wenn es nicht sexy ist – denn es ist nun mal nicht sexy.“

Jamaika: An diesen drei Streitpunkten könnte eine Koalition scheitern

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    Wie schwierig die Gespräche werden, zeigte sich an Markus Söder. Statt nach der Niederlage der CSU nach vorne zu blicken, versteifte sich der bayerische CSU-Finanzminister in nahezu jeder Wortmeldung auf das Thema Flüchtlinge. „Herr Söder, hören Sie doch mal auf mit den ollen Kamellen“, fuhr es da auch mal aus Habeck heraus. „Grüne und CSU: Sie sehen, das wird schwierig“, warf Strack-Zimmermann ein.

    Woher kommt die Wut?

    Warum ist die

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    ? Und warum wird Jamaika dort abgelehnt? Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass sich viele Ostdeutsche schon vor der Flüchtlingskrise von der Demokratie abgewandt haben. „Das hat tiefliegende Gründe“, sagte die SPD-Politikerin. So sei die Wiedervereinigung mit all ihren Folgen vor allem für den Osten des Landes bis heute von vielen Menschen dort nicht verarbeitet worden. „Die Parteien dürfen nicht über sich sprechen, sondern über das, was die Bürger bewegt“, mahnte Köpping.

    Ähnlich sah das der Journalist Heribert Prantl. „Die Maschinerie Marktwirtschaft hat den Osten gefressen“, sagte der Innenpolitikchef der Süddeutschen Zeitung. Man habe geglaubt, dass man mit Investitionen die Demokratie aufbauen kann. „Das hat nicht funktioniert, es gibt nach wie vor demokratische Defizite.“

    Das Wortgefecht des Abends

    Fand zwischen Söder und Prantl statt. Als der CSU-Politiker mal wieder die Abschiebepolitik kritisierte, fuhr es aus dem Journalisten heraus: „Die Abschiebehindernisse werden rechtsstaatlich und nicht von Ihnen festgelegt. Wie Sie nach Afghanistan abschieben, ist eine Sauerei.“ Der so getroffene war sichtlich baff. „Meine Mutter hat immer gesagt: Wer schreit, hat Unrecht“, erwiderte Söder.

    Das Fazit

    Interessant war an dieser Ausgabe von Anne Will vor allem der Grundgedanke: Dass ausgerechnet ein buntes Bündnis die Enttäuschten für eine gemäßigte Politik zurückgewinnen muss. Das dürfte abseits von allen machtpolitischen Schwierigkeiten bei der Koalitionsbildung tatsächlich eines der großen Probleme für Jamaika werden.

    Und doch kann es daran allein nicht scheitern. Denn eine instabile Minderheitsregierung oder gar Neuwahlen wären schlimmer. „Wir machen keine Regierung für West- oder Ostdeutschland, sondern für das gesamte Land“, sagte Prantl ganz richtig.

    Die komplette Sendung gibt es in der ARD-Mediathek.