Die neue Netflix-Serie „Atypical“ ist liebevoll gemacht und aus besonderer Perspektive erzählt: Ein autistischer Teenager sucht Liebe.

Früher schlug Sam mit dem Kopf gegen die Wand, wenn er Stress hatte. Inzwischen hat er eine andere Methode: Er schiebt das Bett in die Mitte seines Zimmers und rennt drum herum. In kleinen Kreisen. So wie jetzt. Er ist in seine Therapeutin verliebt, aber sie hat schon einen Freund. Ein Moment zum Ums-Bett-Rennen. Sam (Keir Gilchrist) ist der Held der neuen Netflix-Serie „Atypical“. Sein Leben steckt wie das aller Teenager voller Herausforderungen. Nur sind seine grundlegender, denn Sam ist Autist.

Die Welt sieht für ihn anders aus als für die Menschen in seiner Umgebung. Wenn ein Mädchen ihn anlächelt, muss ihm erst jemand sagen, dass er zurücklächeln sollte. Er versucht’s, aber es wird nur eine angsteinflößende Grimasse – Lächeln muss Sam bei seiner Therapeutin lernen. „Atypical“ ist ein mehrdeutiger Titel. Atypischer Autismus steht für eine nicht ganz eindeutige Form dieser Entwicklungsstörung. Atypisch aus Sicht der Nicht-Autisten ist auch Sams Verhalten. Und doch ist er ein typischer 18-Jähriger.

"Tote Mädchen lügen nicht": Darum ist diese Netflix-Serie so umstritten

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    Erzählt aus Sams Perspektive

    Er möchte akzeptiert und ernst genommen werden, er möchte in der Schule zurechtkommen. Und vor allem hätte er gerne eine Freundin. In acht Folgen erzählen Autorin Robia Rashid und Produzent Seth Gordon nicht nur von Sams Versuchen, das Erwachsenwerden zu verstehen, sondern auch davon, wie seine Eltern und seine Schwester Casey (toll: Brigette Lundy-Paine) ihr Leben meistern. Mit ihm als Sohn und Bruder, ja, aber auch unabhängig von ihm. Film- und Fernsehfiguren mit Autismus-Spektrum-Störung sind gar nicht so selten.

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    Mal wird aus der Perspektive derjenigen erzählt, die für sie sorgen müssen, wie etwa in der US-Familienserie „Parenthood“. Oder das Thema wird gar nicht explizit erwähnt, wie im Fall der Polizistin Saga Norén aus der dänisch-schwedischen Krimiserie „Die Brücke“. Die Macher von „Atypical“ wählen einen dritten Weg: Sie lassen Sam erzählen. Seine Erkenntnisse und Gedanken werden immer wieder über Szenen gesprochen, die seine Familie in ihren schwachen Momenten zeigen. Seine Mutter etwa (in ihrer Lebenskrise wunderbar gespielt von Jennifer Jason Leigh) setzt ihre Ehe für einen Flirt aufs Spiel.

    Sam wird in der Serie niemals zur Lachnummer

    Dazu Sams Stimme: „Menschen verhalten sich wie Albatrosse. Egal, wie weit sie fliegen, sie kommen immer zurück nach Hause. Außer natürlich, sie fliegen zu nah an das Wasser und werden von einem Tigerhai gefressen.“ Die junge Hauptfigur entspricht in ihrem sozialen Unvermögen zwar auch üblichen Klischees. Aber selbst in Momenten, in denen Sam unfreiwillig komisch agiert, bleibt die Erzählung auf seiner Seite. Er wird nicht zur Lachnummer. Im Gegenteil: Er enttarnt manche Gepflogenheiten balzender Teenager als absurd und unpassend.

    „Manchmal wünschte ich, ich wäre normal“, sagt Sam nach einem missglückten Date. Da kontert Evan (Graham Rogers), der neue Schwarm seiner Schwester, mit einer wichtigen Einsicht: „Hey, Kumpel: Niemand ist normal.“

    Fazit: Liebevoll gemachte Familienserie – mit einer besonderen Perspektive.