Berlin. RTL lässt im Wahlkampf Bürger und Spitzenkandidaten aufeinandertreffen. Am Sonntagabend war Martin Schulz dran. Wie schlug er sich?
Sie haben es vielleicht noch nicht mitgekriegt, aber es ist Wahlkampf! Angela Merkel schickt sich mit ihrer Union an, eine weitere Kanzlerschaft einzutüten. Ihr direkter Widersacher,
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ist derweil nach einem anfänglichen Höhenflug wieder in den Niederungen der Umfragen angekommen.
Dreht Schulz die Bundestagswahl doch noch mal? Beim „Town Hall“-Meeting von RTL hatte er die Gelegenheit, sich vor einem großen Publikum zu präsentieren – und zwar im direkten Kontakt mit Bürgern.
Wie funktioniert die Sendung?
RTL orientiert sich bei dem Format an den amerikanischen „Town Halls“, bei denen die Bürger ihre Politiker direkt befragen können. Dementsprechend stellten nicht in erster Linie die Moderatoren, sondern die Wähler die Fragen.
Ein solches Format ist für die Spitzenkandidaten eine potenzielle Bühne, um sich als volksnah und umgänglich zu erweisen. Auch Angela Merkel lässt sich diese Möglichkeit nicht entgehen: Kommenden Sonntag wird sie bei RTL zu Gast sein.
Die Karriere des Martin Schulz
Wie schlug sich Schulz?
Schulz-kompatibel war die Sendung allemal. Schließlich hat der SPD-Politiker eine bewegte Biografie vorzuweisen. Zudem schreibt sich die SPD naturgemäß auf die Fahnen, die Sorgen „der kleinen Leute“ zu kennen. Direkter Kontakt mit den Wählern vor einem großen Publikum sollte Schulz also liegen.
Für die Fragen der Studiogäste wählte der SPD-Kanzlerkandidat kurzerhand die Strategie der großen Umarmung. Wohnungsnot, Sicherheit, Pflege: Schulz war immer ganz bei seinen Fragestellern. „Das geht mir unter die Haut“, beschied er einem Gewaltopfer. „Sie haben einen tollen Job“, sagte er zu einer Pflegerin. „Vielen Dank für Ihren Einsatz“, lobte er einen Flüchtlingshelfer.
Ansonsten verlegte Schulz sich darauf, die allermeisten Fragen so zu beantworten, wie es sich die Fragesteller wohl wünschten. Der Pflegerin und einem Polizisten versprach er mehr Personal und eine bessere Ausstattung. Einer Familie stellte er ein Baukindergeld in Aussicht, und einem Skeptiker der Flüchtlingspolitik ein Einwanderungsgesetz.
Die vielen Zugeständnisse führten zu absurden Situationen. So machte Schulz in einem Moment mit markigen Worten klar, dass viel schneller abgeschoben werden müsse, um im nächsten Moment einem gut integrierten afghanischen Schüler Unterstützung und eine Aufenthaltsgenehmigung zu versprechen. Einer armen Rentnerin kündigte er an, ihr auf kurzem Dienstweg Theaterkarten zu organisieren.
Insgesamt machte der SPD-Politiker in dem engen Rahmen des Formats dennoch eine gute Figur. Größere Ausrutscher leistete er sich nicht. Als die kritische Frage nach seinen Schwächen aufkam, wählte er ebenso langweilige wie verzeihbare Punkte: „Ich kann nicht nein sagen“, räumte Schulz ein. Auch sei er zu vorlaut.
Was machten die Moderatoren?
Geleitet wurden das so dahinplätschernde Gespräch von Peter Kloeppel und Sidekick Roberta Bieling, die aber eigentlich nur als Stichwortgeberin gebraucht wurden. Dass sich Klöppel häufiger einmischte, führte bei Schulz zu einem sympathischen Aussetzer aus der „Ich liebe euch alle“-Haltung: „Halten Sie sich jetzt mal raus? In der kurzen Zeit kann ich die Fragen der Bürger sonst nicht beantworten“, raunzte er den Moderator an.
Das Fazit
Es heißt immer, dass Politik sich zu sehr vom Leben der Menschen entkoppelt hat. RTL tut mit seinen „Town-Hall“-Meetings zumindest vordergründig etwas dafür, dieses Problem zu mildern. Viel Substanz darf man dabei aber nicht erwarten. Was sonst soll ein Spitzenkandidat auch anderes tun, als den Menschen Zugeständnis nach Zugeständnis zu machen?
Martin Schulz, das zeigte der Abend, ist in dieser Disziplin durchaus begabt. Auch versteht er es, sein Wahlprogramm auf die geschilderten Probleme anzuwenden. Für den Zuschauer war dieses Spielchen aber nach wenigen Minuten ermüdend. Unwahrscheinlich, dass die Kanzlerin am kommenden Sonntag eine kontroverse Strategie verfolgen wird.