Berlin. Besonnenheit oder zurückkeilen – wie soll Berlin die Attacken aus Ankara kontern? Bei Anne Will prallten die Positionen aufeinander.

Seit rund drei Wochen sitzt der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel nun schon in der Türkei in Haft. Während Freunde und Kollegen in Deutschland Autokorsos und Kundgebungen organisieren, hält sich die Bundesregierung mit starken Worten Richtung Ankara auffallend zurück. Was ist davon zu halten?

Der Freund

Einer der einschätzen kann, wie sich Yücel hinter Gittern fühlt, ist Can Dündar. Der regierungskritische türkische Journalist saß einst im gleichen Gefängnis wie Yücel jetzt und lebt heute unter besonderem Schutz in Deutschland – in der Türkei droht ihm erneut Haft.

Der Journalist Can Dündar, Ex-Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet, im ARD-Talk „Anne Will“: „Deniz Yücel ist eine Geisel“.
Der Journalist Can Dündar, Ex-Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet, im ARD-Talk „Anne Will“: „Deniz Yücel ist eine Geisel“. © dpa | Wolfgang Borrs

„Deniz Yücel ist mein Freund. Das ist eine Art Folter, wenn man seine Zeit in Haft allein verbringen muss“, berichtete Dündar am Sonntagabend in der ARD-Runde von Anne Will. Es gehe einem in dieser Lage „von Tag zu Tag schlechter“. Yücel werde „wie eine Geisel dort gefangen“. Und Dündar warf der Bundesregierung vor, erst jetzt zu reagieren, da ein Journalist mit deutschem Pass von den Repressalien betroffen sei. Dabei säßen Dutzende türkischer Medienvertreter in der Türkei in Haft. „Hätte man schon früher Stellung bezogen, wäre es nicht so weit gekommen“, kritisierte Dündar.

Merkel fordert Freilassung von Deniz Yücel

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    Die Schwester

    Ilkay Yücel, die Schwester des in der Türkei inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, die bei Anne Will aus der Türkei zugeschaltet war, appellierte an die Bundesregierung, sich für ihren Bruder einzusetzen, „bis er wieder freigelassen wird. Auch wenn man noch so stark, ist es nicht einfach, solch eine Situation durchzustehen“, sagte Ilkay Yücel. Sie hält sich derzeit in der Türkei auf, wo sie hofft, ihren Bruder in der Haft besuchen zu können. Wie es weitergehe mit Deniz Yücel - sie wisse es nicht.

    Die Wortmeldungen von Can Dündar und Ilkay Yücel, zweier Menschen, die in unterschiedlicher Weise von der Unterdrückungspolitik der Erdogan-Administration betroffen sind, verdeutlichten auf bedrückende Weise die Unmenschlichkeit der türkischen Politik: Wer nicht für Erdogan ist, ist gegen ihn. Und wer nicht kuscht, muss dafür bezahlen.

    Die Streitfront

    CDU-Parteivize Armin Laschet fordert, Erdogan in Deutschland zur unerwünschten Person zu erklären.
    CDU-Parteivize Armin Laschet fordert, Erdogan in Deutschland zur unerwünschten Person zu erklären. © dpa | Wolfgang Borrs

    Die Inhaftierung Yücels ist derzeit der größte, aber nicht der einzige Streitpunkt zwischen Ankara und Berlin in diesen Tagen. Die Spionagevorwürfe gegen den Islamverband Ditib und das

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    , die in Deutschland für Präsident Erdogan und sein Referendum Wahlkampf machen wollten, belasten das Verhältnis schwer. Vor allem die türkische Seite hat verbal mächtig aufgerüstet: Von „Nazi-Methoden“ ist die Rede und dass die Deutschen lernen müssten, „sich zu benehmen“. Im Gegenzug forderten deutsche Politiker wie der CDU-Vizechef Armin Laschet bei Anne Will, Erdogan in Deutschland zur „unerwünschten Person“ zu erklären: „Ich will ihn nicht hier sehen.“

    Die Zwickmühle

    Das Dilemma ist: Die Bundesregierung braucht die Türkei. Der Flüchtlingspakt ist wesentlicher Bestandteil der Migrationspolitik Berlins und der gesamten EU. „Die Türkei“, so drückte es der ehemalige EU-Kommissar Günther Verheugen bei Anne Will aus, „macht die Schmutzarbeit für uns, in dem er die Flüchtlinge zurückhält.“ Erdogan hat es gewissermaßen in der Hand, die Grenzen Richtung EU für die Flüchtlinge wieder zu öffnen. Auch deshalb bemüht sich Kanzlerin Angela Merkel erkennbar, nicht weiteres Öl ins Feuer zu gießen.

    Der Zurückhaltende

    Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) nannte die Vorwürfe aus Ankara „abstrus, infam und abwegig“.
    Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) nannte die Vorwürfe aus Ankara „abstrus, infam und abwegig“. © dpa | Wolfgang Borrs

    Das sah auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) so. Er sei dagegen, Einreiseverbote für türkische Politiker zu erlassen, betonte er bei Anne Will. Das würde Erdogan nur in die Karten spielen, der sich „als Märtyrer“ inszenieren könne. Die Vorwürfe aus Ankara, so Maas, seien „abstrus, infam und abwegig“, aber es bringe nichts, die diplomatischen Beziehungen zur Türkei in Frage zu stellen: „Es geht Herrn Erdogan darum, zu provozieren.“ Darauf dürfe man „nicht mit den gleichen Mitteln“ reagieren.

    Die Kompromisslose

    Sevim Dagdelen, türkischstämmige Politikerin der Linkspartei, sah das ganz anders. „Das ist eine Politik der Leisetreterei“, ging sie Maas direkt an. Die Bundesregierung dürfe es nicht zulassen, dass „Deutschland als Wahlkampfarena für türkische Despotie“ missbraucht werde. Wer gegenüber Erdogan zurückhaltend agiere und darauf setze, dass sich in der Türkei etwas ändere, der gebe sich einer „Illusion“ hin. Sie forderte: „Keine Kumpanei mit Erdogan.“

    Das Fazit

    Der „Fall Deniz Yücel“ wird immer mehr zu einem Politikum. Die Bundesregierung schwankt im Umgang mit Ankara zwischen Besonnenheit und klarer Kante. Vieles deutet daraufhin, dass der türkische Präsident Erdogan mehr auf Provokation als Verständigung aus ist und die Regierung Merkel vorführen will und Yücel als Faustpfand benutzt. Und die Bundeskanzlerin kommt nicht um die Erkenntnis herum, dass Erdogans Türkei kein verlässlicher Partnern sein kann.

    Sehen sie die aktuelle Ausgabe von „Anne Will“ in der ARD-Mediathek.