Berlin. Günther Jauch blickte zurück auf die „Menschen, Bilder, Emotionen“ des Jahres – und überraschte dabei.

Humor hat er ja. „Ich bin auf dem Gymnasium, das hab‘ ich schon mal geschafft“, sagt Julius Weckauf. Er grinst frech. Natürlich sitzt der Elfjährige am Sonntagabend nicht beim alljährlichen RTL-Jahresrückblick „Menschen, Bilder, Emotionen“ mit Günther Jauch, um über Schulnoten zu plaudern. Zumindest nicht nur.

Weckauf hat sich bei Film-Fans einen Namen gemacht. Er spielte die Rolle des jungen Hape Kerkeling im Kinofilm „Der Junge muss an die frische Luft“. Und so viel steht fest: Auf den Mund gefallen ist er nicht. „Ich schreibe Zweien und Dreien in der Schule und ich finde, das ist ok“, antwortet er auf Jauchs Frage nach seinen bisherigen Leistungen. Da musste auch der Moderator grinsen.

Beide sitzen im TV-Studio, plaudern und essen dabei Kuchen. Und da Kerkeling an diesem Montag Geburtstag feiert, darf auch ein Gratulationsvideo nicht fehlen – inklusive Gesangseinlage („Happy birthday“) mit Publikum.

RTL-Jahresrückblick mit Günther Jauch hat Platz für Ernstes

Schauspieler Julius Weckauf und der Moderator Günther Jauch hatten beim RTL-Jahresrückblick „2019! Menschen, Bilder, Emotionen“ Spaß.
Schauspieler Julius Weckauf und der Moderator Günther Jauch hatten beim RTL-Jahresrückblick „2019! Menschen, Bilder, Emotionen“ Spaß. © dpa | Henning Kaiser

So ganz ohne Klamauk kommt ein Jahresrückblick bei RTL halt nicht aus. Der Kölner Sender hat ein Faible für die bunten Themen, das zeigte er auch diesmal. Doch dazwischen – und das ist vielleicht das Überraschende – war am Sonntagabend auch viel Platz für Ernstes, ja sogar Bedrückendes.

Der Auftritt von Leon Schwarzbaum fällt definitiv darunter. Der 98-Jährige verlor seine Eltern im Vernichtungslager Auschwitz, er selbst überlebte. Im Lager musste er sein Abitur-Zeugnis abgeben. In diesem Jahr bekam er ein neu ausgestelltes Exemplar – Schüler aus Niedersachsen hatten sich dafür eingesetzt.

Günther Jauch interviewt Holocaust-Überlebenden Leon Schwarzbaum

„Man hat mir damals die Würde des Menschen genommen. Auf einmal ist man wiederhergestellt“, sagte Schwarzbaum mit Blick auf den nun wieder sichtbaren Teil seiner Biografie. Der alte Mann, der einen unheimlich fitten und wachen Eindruck machte, erzählte, dass er nach dem Abitur 1939 studieren wollte. „Doch der Krieg hat alles kaputt gemacht“.

  • Rückblick: Holocaust-Überlebender Leon Schwarzbaum – „Erzählen Sie endlich die Wahrheit“

Natürlich lenkte Günther Jauch das Gespräch auch auf die aktuelle Situation in Deutschland. „Macht es Ihnen Angst, dass Rechtsradikale wieder Wahlen gewinnen?“, fragte er. Und Schwarzbaum antwortet nur: „Es macht mir Angst und ich überlege, ob ich hierbleibe“.

Dass ein 98-jähriger Mann ernsthaft in Erwägung zieht, Deutschland zu verlassen und in Israel Schutz zu suchen, ist eine niederschmetternde Botschaft.

Stehende Ovationen für jüdische Mitbürger beim RTL-Jahresrückblick

Doch es deckt sich mit dem, was Christine Feist zuvor erzählte. Sie war in der Synagoge in Halle, auf die am 9. Oktober in Halle ein Anschlag verübt werden sollte. „Man sagt immer ‚nie wieder‘ – aber ich glaube nicht mehr dran“, sagte sie bei „Menschen, Bilder, Emotionen“. Es fehlten die langfristigen Maßnahmen: Bildungspolitik, Aufklärung, Zivilcourage auch im Kleinen.

Und trotz allem, was passiert ist („Die Tränen kommen immer wieder“), trotz antisemitischer Angriffe („Es war schon lange gefährlich. Das ist kein neues Phänomen“) will sie sich nicht unterkriegen lassen. „Ich fahre nächstes Jahr wieder nach Halle“, sagte sie. „Weil ich das kann und es mir nicht nehmen lasse“.

Der Auftritt der beiden jüdischen Mitbürger bewegte das Publikum tief. Mit stehenden Ovationen wurden sie verabschiedet. Es war der emotionale Höhepunkt dieses Jahresrückblicks.

Manuela Schwesig berichtete von Brustkrebs-Diagnose

Doch natürlich gibt es noch viel mehr Themen, die Deutschland in diesem Jahr bewegt haben – oder von denen RTL es zumindest meint. Die SPD-Politikerin Manuela Schwesig berichtete vom Umgang mit der Diagnose Brustkrebs. Offen erzählte sie Günther Jauch, wie es sich anfühlte, als die Ärzte den Krebs feststellten („Es war so, als ob die Welt um mich herum stehen bleibt. Ich rief meinen Mann an und fuhr betäubt nach Hause“).

Doch Schwesig kam nicht, um zu Jammern. Im Gegenteil: Sie hatte eine optimistische Botschaft mitgebracht, machte Betroffenen Mut. „Die Diagnose ist nicht das Ende, es gibt immer Hoffnung und es lohnt sich zu kämpfen“, sagte sie.

Günther Jauch moderierte schlagfertig wie eh und je

Herbert Grönemeyer trat bei „2019! Menschen, Bilder, Emotionen“ auf.
Herbert Grönemeyer trat bei „2019! Menschen, Bilder, Emotionen“ auf. © dpa | Henning Kaiser

Es sei Günther Jauch verziehen, dass er die SPD-Politikerin Schwesig erst als Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein (korrekt wäre gewesen: Mecklenburg-Vorpommern) ankündigte. Im Rest der Live-Sendung war der Moderator gedanklich voll da.

So schlagfertig wie eh und je alberte er mit Comedian Oliver Pocher herum, der wie Jauch nun bei RTL unter Vertrag steht, befragte Weitsprung-Weltmeisterin Malaika Mihambo und Ex-Skirennläufer Felix Neureuther, plauderte mit TV-Legende Frank Elstner über dessen Comeback im Internet – Elstners Talkshow wechselt im kommenden Jahr von Youtube zu Netflix. Von Elstner übernahm Jauch vor 32 (!) Jahren auch die Moderation der Sendung. Beide schauten sich Bilder von damals an. „Und schon sind 32 Jahre rum“, sagte Jauch trocken.

Was Günther Jauch und Evelyn Burdecki verbindet

Bei einem Jahresrückblick auf RTL darf natürlich ein Thema nicht fehlen: das Dschungelcamp. 2019-Siegerin Evelyn Burdecki, ganz in Rot gekleidet, durfte also ihre Sicht der Dinge aufs Jahr darlegen. Das klang dann so: „Ich kann gar nicht mehr denken, weil so viel passiert ist.“ Und: „Am Schönsten war es überall“. Dazu muss man sagen: Im Dschungelcamp spielte sie die Rolle des Dummchens („Zwischen Europa und Amerika liegt der amerikanische Ozean“). Günther Jauch relativierte aber. Sie habe ihr Abitur mit der Note 3,2 abgelegt, Jauch kam auch nur auf einen Schnitt von 3,1. Jauch: „Wir sind auf einer Ebene“. Wäre also auch das geklärt.

Viele andere Themen wurden dagegen nur im Schnelldurchgang abgehandelt. Wetterextreme, Brexit, die Proteste in Hongkong, 30 Jahre Mauerfall. Dazwischen Musik von Herbert Grönemeyer, Sarah Connor, Johannes Oerding.

Ein besonderer Gast: Eine 78-Jährige, die „Fridays for Future“ unterstützt

Immerhin: Die Klimademos, die Deutschland in diesem Jahr besonders geprägt haben, nahm sich Jauch noch mal genauer vor. In Form von drei Menschen, die sich auf unterschiedliche Art engagieren. Der Getränkehändler Hans-Peter Kastner hat Einwegplastik aus dem Sortiment verbannt, die Schülerin Luzie Richter geht mit „Fridays for Future“ auf die Straße. Und auch die pensionierte Lehrerin Klara Ahlert berichtete, dass sie mit 78 Jahren zum ersten Mal an einer Demo teilgenommen hat. Eine Tischdecke machte sie zum Banner, inzwischen greift sie auch selber zum Mikrofon und steigt auf die Bühne.

„16-Jährige müssen Erwachsene ermahnen und demonstrieren, das ist eine verkehrte Welt“, sagte sie bei RTL. Eine fast 80-Jährige mit jugendlich-rebellischem Zorn.

An diesem Abend waren es die Alten, die beeindruckt haben.