Neuengamme. Casey Sennett (23) und Anastasiia Bibikova (21) arbeiten in der KZ-Gedenkstätte in Neuengamme, wohnen auch zusammen. Was sie erleben.

Zwei junge Frauen, die eine aus Russland, die andere aus den USA, engagieren sich ein Jahr lang als sogenannte Volunteers (Freiwillige) in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Casey Sennett (23) und Anastasiia „Tasya“ Bibikova (21) leben auch zusammen in Bergedorf, in einer kleinen Wohnung im Zentrum, die der Freundeskreis der Gedenkstätte für freiwillige Helfer zur Verfügung stellt. Die Frauen haben sich angefreundet, leben in Zeiten des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und politischen Spannungen zwischen beiden Ländern russisch-amerikanische Freundschaft.

Der Deutschland-Aufenthalt begann für die beiden jungen Frauen in Berlin, wo sie sich in einem zehntägigen Seminar auf ihren von der internationalen Organisation Aktion Sühnezeichen Friedensdienste vermittelten Freiwilligendienst vorbereiteten. Bis August werden sie in Bergedorf leben und arbeiten.

KZ-Gedenkstätte: Zwei jungen Frauen leben russisch-amerikanische Freundschaft

Anastasiia Bibikova, die Tasya genannt wird, hatte Glück, dass ihr die russischen Behörden ein Visum ausstellten – in Zeiten des Ukraine-Krieges eine große Ausnahme, zumal sich die Russin als „politische Aktivistin“ bezeichnet und in ihrer Heimat bereits an Demonstrationen gegen die Politik der Regierung teilnahm. Sie habe sogar als Journalistin gearbeitet und über die aktuellen repressiven Zustände geschrieben, berichtet Tasya Bibikova. „Dass ich ein Visum bekommen habe, lag daran, dass ich nie im Gefängnis war, und das Volontärsprogramm von unseren Behörden akzeptiert wird“, sagt sie.

Kommunikationsprobleme haben die beiden Frauen untereinander keine, da Tasya Bibikova perfekt Englisch spricht. Sie studiert Linguistik (Sprachwissenschaft), unterbricht ihr Studium in der russischen 300.000-Einwohner-Stadt Veliky Novgorod für ihren Dienst in der Gedenkstätte in Neuengamme.

Die beiden Volunteers besuchen auch ältere Frauen

Casey Sennett verstärkt in Neuengamme das für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Team. Sie übersetzt und korrigiert Texte, kümmert sich auch um die Social-Media-Accounts. „Ich drehe auch kurze Videos für TikTok.“ Tasya Bibikova will vor allem in dem umfangreichen Archiv der Gedenkstätte forschen.

Die Volunteers verlassen regelmäßig das weitläufige Gelände am Jean-Dolidier-Weg, um als eine Art Sozialarbeiterinnen unterwegs zu sein: „Wir besuchen Seniorinnen in Hamburg, die unter den Nationalsozialisten gelitten haben beziehungsweise Nachfahren von Verfolgten sind, sprechen mit den Frauen über das, was sie bewegt“, sagt Casey Sennett. Die US-Amerikanerin besucht zwei alte Frauen, von denen eine bereits 95 Jahre alt ist.

Russin lernt gemeinsam mit vielen Ukrainern Deutsch

Nach Feierabend fahren die beiden Freundinnen gemeinsam mit dem Bus nach Bergedorf. In ihrer Wohnung, in der noch eine weitere Russin lebt, die ebenfalls als Volunteer in der Gedenkstätte gearbeitet hat, unterhalten sie sich viel über Politik, Kriege und Krisen. Auch sind die beiden jungen Frauen gern in Bergedorf unterwegs. Dann spazieren sie durch den Schlosspark oder bummeln durch die Einkaufsstraßen.

Casey Sennett trifft sich häufiger mit anderen ausländischen Frauen, die derzeit in Hamburg leben. „Ich kenne die Frauen, die etwa aus Ungarn oder ebenfalls aus den USA kommen, aus der Facebookgruppe ‚Girls gone international Hamburg‘“, sagt die US-Amerikanerin aus Philipsburg, Pennsylvania (3000 Einwohner). „Ich finde das Hamburger Rathaus sehr schön. Am Tag der Deutschen Einheit war ich auf dem Rathausplatz, das war sehr interessant.“

Beide sind gerne mit der Bahn im Umland unterwegs

Tasya Bibikova verbringt hingegen regelmäßig Abende in der Schule, um Deutsch zu lernen – „gemeinsam mit vielen Ukrainern“, berichtet sie. Anfeindungen wegen ihrer russischen Herkunft gebe es keine: „Ich habe bisher überhaupt noch nie Ukrainer getroffen, die mir feindlich gesonnen waren, weil ich Russin bin.“ Die 21-Jährige ist ebenfalls gern unterwegs. „An den Wochenenden steige ich häufiger in die Bahn und schaue mir das Hamburger Umland an“, sagt sie. In den vergangenen Wochen besuchte die Russin auch Lübeck, Rostock und Stralsund.

Casey Sennett ist ebenfalls häufig mit dem Zug unterwegs, lobt das gute Bahnnetz. „Leider kommen die Züge jedoch manchmal verspätet. Ich wollte vor Kurzem nach Lübeck, habe aber aufgrund einer Verspätung der Bahn den Anschlusszug verpasst. Dann bin ich spontan nach Schwerin gefahren. Das war auch schön. Die Lübeck-Tour habe ich dann schnell nachgeholt.“ Bei der Bahnfahrt nach Lübeck sei sie mit einer Gruppe älterer Frauen ins Gespräch gekommen. „Ich habe mich darüber gefreut, dass die sich für mich als junge Frau aus den USA interessiert haben“, sagt sie.

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Tasya Bibikova und Casey Sennett haben beide für ihr Studium ihre Heimat verlassen und sind in eine andere Stadt gezogen. Im Ausland waren sie aber noch nie so lange, wie sie es nun sein werden, nämlich ein Jahr. Heimweh haben sie nicht, zumindest nicht bisher. Sie telefonieren regelmäßig mit ihrer Familie, Tasya Bibikova auch mit ihrem Freund. „Zufälligerweise hält er sich beruflich auch gerade in Deutschland auf, im Süden“, sagt sie und fügt hinzu: „Er hat mich sogar schon In Hamburg besucht.“

Nach dem Bergedorf-Aufenthalt in einem Museum arbeiten

Nach ihrer Zeit als Volunteer in Bergedorf will Tasya Bibikova ihr Studium beenden. Was dann kommt, weiß sie noch nicht. Casey Sennett beendete im Mai ihr Studium an der Pennsylvania State University mit einem Master of Arts in Anthropologie und einem Bachelor of Arts in Anthropologie, Geschichte, Jüdische Studien und Nahost-Studien. Die junge Akademikerin möchte in den USA in einem Museum arbeiten: „Es gibt bei uns mehrere Museen, die die jüdische Geschichte und den Holocaust thematisieren. Das interessiert mich“, sagt die 23-Jährige, deren Familie selbst nicht jüdisch ist.