Essen. Sebastian Vettel und Ferrari trennen sich nach der Saison. Der viermalige Weltmeister droht die Scuderia ohne WM-Titel zu verlassen.

Vertrauen ist der Anfang von allem, diese Logik bestimmt jetzt auch das Ende der Beziehung zwischen Sebastian Vettel und Ferrari. Denn da ist vorrangig Misstrauen. Aus der deutsch-italienischen Liebesheirat ist über fünf Jahre hinweg eine fragile Zweckbeziehung geworden. Jetzt folgt eine bittere Scheidung zum Jahresende, bevor noch klar ist, ob und wie die Formel 1 in dieser Saison noch fährt.

Das gegenseitige Einvernehmen sieht so aus: Ferrari glaubt nicht mehr an ihn, der 32-Jährige glaubt nicht mehr an Ferrari. Beides ist übrigens schon länger so. Vorwürfe gibt es nur versteckt. Was in den vergangenen Monaten passiert sei, habe bei vielen dazu geführt, über die Prioritäten nachzudenken, verklausuliert der Fahrer. Was er genau meint, bleibt im Ungewissen. Die Lage der Welt an sich, die Befindlichkeiten im Mikrokosmos Ferrari? Teamchef Mattia Binotto klingt ein wenig scheinheilig in seiner Begründung: „Es war keine leichte Entscheidung, angesichts Sebastians Wert als Fahrer und als Mensch. Es gab keinen besonderen Grund, der zu dieser Entscheidung geführt hat… Abgesehen von der gemeinsamen Überzeugung, dass die Zeit gekommen war, getrennte Wege zu gehen – um unsere jeweiligen Ziele zu erreichen.“

Vergiftetes Klima bei Ferrari

Genau dieses vergiftete Klima torpediert seit gut zwei Jahren den Versuch des Heppenheimers, das Erbe seines Vorbildes Michael Schumacher erfolgreich anzutreten. Der hatte fünf Rennjahre zum ersten Titel in Rot gebraucht, und wurde im Anschluss zum erfolgreichsten Piloten der Königsklasse. Doch die Scuderia von damals, preussisch von Jean Todt, Ross Brawn und Schumi geführt, hat mit der Chaos-Werkstatt von heute gar nichts zu tun. Sebastian Vettel ist nicht nur an den vielen Fehlern gescheitert, die er mit einem meist unterlegenen Auto unter Druck gemacht hat, sondern vor allem am Schlingerkurs der Ferrari-Führung. Team- und Technikchef Mattia Binotto, der Vettel jetzt im besten Rennfahreralter auf die Straße setzt, hatte in der zweiten Saisonhälfte 2018 in die falsche technische Richtung entwickelt – das kostete Vettel die bislang beste Titelchance.

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Trotzdem wurde der Ingenieur in Maranello zum Alleinherrscher befördert, und erkor mit dem zehn Jahre jüngeren Charles Leclerc einen Nachwuchsmann zu seinem Liebling. Dem Monegassen lag das zickige rote Auto besser, er konnte sich besser verkaufen, hatte schon früh das Intrigenspiel bei Ferrari beherrscht und Vettel den Schneid abgekauft. Das Trio Binotto-Leclerc-Vettel war daher Wahrheit ein Spiel Zwei gegen einen. Sebastian Vettel hatte es über die strahlenden Anfangsjahre hinweg versäumt, sich eine Hausmacht aufzubauen. Dass er schnell fließend Italienisch sprach nutzte ihm nichts. Keinem Manager zu vertrauen, alles selbst zu regeln, zählte sicher zu den größten eigenen Fehlern. Denn vom Charakter her ist der Hesse eher unpolitisch.

Twitter-Worte von Leclerc bitterer Hohn

Sebastian Vettel braucht eine Wohlfühlatmosphäre in seinem Umfeld. Der schleichende Leistungsverfall am roten Rennwagen übertrug sich auf den Fahrer: Gereizt, unzuverlässiger als gewohnt, dünnhäutig. Daher ist der offizielle Abschiedssatz von Vettel ausnahmsweise keine Floskel: „Um in diesem Sport die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen, ist es unerlässlich, dass alle Parteien in perfekter Harmonie zusammenarbeiten. Das Team und ich haben festgestellt, dass wir nicht weiter das Verlangen haben, über das Ende dieser Saison zusammenzubleiben.“ Wie bitterer Hohn müssen die Twitter-Worte seines Inteamfeindes Leclerc klingen: „Ich habe nie soviel gelernt wie mit Dir als Teamkollege. Danke für alles, Seb.“

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Dass es in Krisen-Zeiten auch um die angeblich 30 Millionen Euro Jahresgage gegangen sein soll bei den gescheiterten Vertragsverhandlungen, mag ja sein. Vettel wollte gern bleiben, doch die Italiener haben wohl nur einen Ein-Jahres-Kontrakt geboten. Was soll das für eine Perspektive sein? Geringschätzung statt Wertschätzung. Der Schlussstrich ist daher richtig, das konsequenteste, was seit langem im Ferrari-Hauptquartier passiert ist. Das Ende eines rotens Irrtum.

2021 kein Deutscher mehr in der Königsklasse?

Für den Rücktritt ist der Hesse im Prinzip zu jung, zu fit, zu ehrgeizig. Doch was bleibt? Höchstens ein spektakulärer Ringtausch mit Lewis Hamilton, falls der Mercedes doch noch verlassen sollte. Oder dort die Nachfolge antreten, wo sein Nachfolger herkommen könnte: Zu McLaren anstelle des Spaniers Carlos Sainz jr. oder zu Renault für Daniel Ricciardo. Ein Sabbatical oder ein Abstieg zu einem anderen Mittelfeldteam wird er sich hoffentlich nicht antun. „Ich selbst werde mir die Zeit nehmen, die ich brauche um darüber nachzudenken, was wirklich in meiner Zukunft zählt", erklärt Vettel. Doch es ist so wie mit dem jähen Ende der Traumehe: die Entscheidung liegt nicht allein in seinen Händen. Gut möglich, dass 2021 kein Deutscher mehr in der Königsklasse am Start ist. Für Ferrari-Junior Mick Schumacher käme die Beförderung wohl zu früh.

Vielleicht liegen noch zwei oder drei Handvoll gemeinsame Rennen mit Ferrari in dieser Rumpfsaison vor Vettel. Bei seinen bisherigen 101 Ferrari-Einsätzen hat er 14 Siege geholt, ist der dritterfolgreichste Fahrer überhaupt in der Scuderia und war zwei Mal WM-Vize. Aber der Zweite gilt in der Formel 1 immer als der erste Verlierer. Für Sebastian Vettel trifft das auch im eigenen Rennstall zu.