Berlin. Die FDP ist nicht mehr in Fraktionsstärke in der Hamburger Bürgerschaft vertreten. Ganz raus sind die Liberalen allerdings nicht.

  • Die FDP sitzt nicht mehr in Fraktionsstärke in der Hamburger Bürgerschaft – nach einer Neuauszählung kommt die Partei nur auf 4,9 Prozent
  • Nur Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels sicherte sich ein Mandat in ihrem Wahlkreis Blankenese
  • Von Sonntagabend bis Montagabend musste die Partei um den Einzug in die Hamburger Bürgerschaft bangen
  • Im Wahlbezirk 43202 sind die Stimmen von FDP und Grünen vertauscht worden – vermutlich beim Übertragen des Ergebnisses in die Datenbank des Landeswahlleiters
  • Ein Twitter-User hatte auf die Unregelmäßigkeiten hingewiesen
  • Beim Nachzählen rutschte die FDP doch noch unter die Fünf-Prozent-Hürde

Die FDP ist nicht mehr in Fraktionsstärke in der Hamburger Bürgerschaft vertreten. Nach einer Neuauszählung kommen die Liberalen nur noch auf 4,9 Prozent der Stimmen. Nur FDP-Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels sicherte sich nach den am Montag vom Landeswahlamt veröffentlichten Ergebnissen über ihren Wahlkreis Blankenese ein Mandat.

Die Hängepartie erinnerte an Ende Oktober, als die FDP in Thüringen die ganze Wahlnacht lang um den Einzug ins Erfurter Parlament bangte. Erst Tage später stand fest, dass sie es geschafft hatte – mit gerade mal 73 Stimmen. Dieses Mal kam am Ende des Wartens die Ernüchterung.

Der Grund für die lange Zitterpartie: Wahlbezirk 43202 in Langenhorn. Er wurde entscheidend für Wohl oder Wehe der FDP. Wie der zuständige Bezirkswahlleiter Tom Oelrichs am Montag bestätigte, wurden der Partei hier am Sonntagabend zu viele Stimmen zugerechnet. Die Liberalen wurden nach ersten Angaben hinter der SPD zweitstärkste Kraft – mit 22,4 Prozent. 549 Stimmen wären demnach auf die FDP entfallen – ungewöhnlich viele.

FDP mit 22,4 Prozent, die Grünen mit 5,1 – konnte das sein?

Die Grünen kamen bei der ersten Zählung angeblich nur auf 5,1 Prozent (126 Stimmen). Angesichts der sonstigen Wahlergebnisse in Hamburg und des Ergebnisses bei der Bürgerschaftswahl 2015 wurde rasch über eine Verwechslung der beiden Parteien spekuliert. Das könnte beim Übertragen des Ergebnisses in die Datenbank des Landeswahlleiters geschehen sein.

Twitter-User Matthias Kruse hatte als erster auf das ungewöhnliche Ergebnis hingewiesen. Es wurde daraufhin überprüft – und korrigiert.

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Das Fiasko der FDP begann mit den Thüringer Tabubruch

Vor fünf Jahren hatten die Liberalen in Hamburg noch solide 7,4 Prozent geholt. Bis vor Kurzem sah es so aus, als könnte das diesmal wieder klappen. „Doch dann kam das Fiasko von Thüringen“, sagt Lindner am Abend, als klar ist, dass die FDP in Hamburg abgestürzt ist. „Bei manchem muss erst wieder Vertrauen wachsen.“

Mit dem Fiasko meint er die drei Sekunden von Erfurt: Der Moment, in dem sich FDP-Mann Thomas Kemmerich entschied, die Wahl zum Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD anzunehmen. Es war der liberale Super-GAU. Zweieinhalb Wochen später bekommt die FDP in Hamburg ein Drittel weniger Stimmen als 2015.

FDP-Chef Lindner gesteht Fehler bei Thüringen-Wahl ein

Linder räumte am Dienstag ein, nach dem Wahldebakel in Thüringen Fehler gemacht zu haben. Er hätte „noch unmissverständlicher und weniger diplomatisch“ sprechen können, nachdem Kemmerich auch mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, sagte Lindner in der RTL-Sendung „Guten Morgen Deutschland“. Er habe damals bereits deutlich gemacht, als Parteivorsitzender zurückzutreten, wenn es keine klare Abgrenzung zur AfD gebe. „Aber das war möglicherweise nicht klar genug.“

Lindner verteidigte trotzdem die Kandidatur Kemmerichs: „Die Idee war ja nachvollziehbar, nicht mit der Linkspartei, nicht mit der AfD etwas zu tun haben zu wollen, sondern zu sagen: Okay, wir bieten eine Alternative der Mitte an.“ Man sei dann allerdings von der AfD ausgetrickst worden. Der Rücktritt Kemmerichs einen Tag nach der Wahl sei laut Lindner bereits der erste Schritt gewesen, um Vertrauen zurückzugewinnen. „Irgendwann geht’s auch wieder um Sachfragen, wenn klar ist, wir haben nichts mit der AfD zu tun“, erklärte Lindner.

Der FDP in Hamburg hilft das nicht mehr. „Gut, dass dieses Jahr keine Landtagswahl mehr ist“, seufzt am Montag einer aus der FDP-Parteispitze. Die letzten Wochen, Tage und Stunden haben Spuren hinterlassen. An diesem Montag steht Marie-Agnes Strack-Zimmermann auf dem Karnevalswagen in Düsseldorf. Sie ist die Nächste, die für die FDP eine wichtige Wahl gewinnen will. Sie ist auch die Nächste, die fürchten muss, dass ihr das Debakel von Thüringen den Erfolg vermasselt.

Die 61-Jährige will am 13. September Oberbürgermeisterin der NRW-Landeshauptstadt werden. Mit Blick auf die Kemmerich-Wahl spricht sie von einer unerträglichen Sache, einer Katastrophe, die nur schwer wieder in den Griff zu kriegen ist. Sie denkt dabei nicht nur an Düsseldorf, sondern auch schon weiter, bis ins nächste Jahr: „Ich hoffe, dass der Vertrauensverlust durch die Ereignisse in Thüringen bis zur nächsten Bundestagswahl geheilt ist“, sagt sie. „Sicher sein kann man sich aber nie.“

Die Unsicherheit in der FDP ist groß

Sicher ist sich gerade niemand in der FDP. Am Montag sitzt die FDP-Spitze in Berlin zusammen. Es geht um die Wirkung des FDP-Fiaskos von Thüringen: Bei den Wählern sei der Eindruck entstanden, dass die FDP keine klare Grenzziehung nach rechts betreibe, beklagt Lindner in einer Sitzungspause. „Offensichtlich hat Thüringen zu großer Irritation geführt.“ Dass SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil die FDP deswegen nun nicht mehr zur politischen Mitte zähle, sei aber absurd, ärgert sich Lindner. Es mache ihn „betroffen“, wenn die Ereignisse in Erfurt für den Versuch genutzt würden, „das politische Koordinatensystem in Deutschland zu verschieben“.

Und der Vertrauensverlust nach Thüringen? Groß, aber heilbar, glaubt Lindner. „Das ist ein Ereignis, das in die Geschichte der FDP eingehen wird.“ Aber: Mit der Zeit würden die Leute sehen, dass die Kemmerich-Wahl kein politischer Richtungswechsel der Liberalen gewesen sei. Andere Parteifreunde sind sich da nicht so sicher. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeige: Es gebe keine Partei, an der negative Etiketten so lange hängen blieben wie an der FDP.

Eine Debatte um seine Person muss Lindner derzeit dennoch nicht fürchten. Zwar hatte der Parteichef am Donnerstag vor drei Wochen ein paar Stunden lang an den eigenen Rücktritt als äußerstes Druckmittel gedacht – um damit Kemmerich zum Rücktritt zu bewegen. Der reagierte dann aber schnell und warf hin: Der Parteichef hatte die Machtprobe gewonnen. Tags darauf sprach die Mehrheit der Parteispitze Lindner das Vertrauen aus. Beim Wundenlecken nach der Hamburg-Wahl, so heißt es übereinstimmend, sei das umstrittene Krisenmanagement des Parteichefs dann überhaupt kein Thema mehr gewesen.

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Lindner, der Unantastbare? Wer mit Wahlkämpferin Strack-Zimmermann über Lindners Ruf als Parteichef und seinen Beitrag zum schlechten Bild der letzten Wochen spricht, bekommt eine vielsagende Antwort: „Es wäre falsch, jetzt eine Personaldebatte zu führen. Man sieht doch bei SPD und CDU, wohin das führt: jeder gegen jeden. Diesen Fehler werden wir nicht machen.“ So sehen es viele in der FDP. Und wer auch immer ins Zweifeln kommt: Es reicht ein Blick zu den Grünen, die gerade zeigen, wie man mit Geschlossenheit an der Spitze Wahlen gewinnen kann.

Dazu kommt: Die meisten, die heute in der Bundespartei oder im Parlament Ämter und Mandate haben, verdanken Lindner ihren politischen Aufstieg. Ohne ihn, dass wissen sie, hätte die FDP vor drei Jahren möglicherweise nicht mal den Wiedereinzug in den Bundestag geschafft. Kalkül, Dankbarkeit, echter Respekt – Lindners Rückhalt speist sich derzeit aus drei starken Quellen.