Berlin. Der Medienkonzern Bertelsmann verdiente blendend an den Büchern von Thilo Sarrazin. Nun hat sich das Unternehmen mit ihm überworfen.

Wenn Historiker eines fernen Tages erforschen werden, was Anfang des 21. Jahrhunderts in Deutschland schief gelaufen ist, könnten sie auf den 30. August 2010 kommen – ein Datum, an dem in diesem Land etwas ins Kippen geriet.

Die AfD existierte damals noch nicht, und der bundesweite Siegeszug einer rechtspopulistischen Partei schien undenkbar. Aber dann kam jenes Buch heraus, das so etwas wie ein Startschuss war. Jedenfalls setzte eine Entwicklung ein, die zu einem Rechtsruck und einer Verrohung der politischen Debatte führen sollte: Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“, eine Mischung aus Fremdenfeindlichkeit, kruden biologistischen Theorien und Alarmismus.

1,5 Millionen Exemplare dieses Buches gingen über den Ladentisch. Damit ist es eines der am besten verkauften Sachbücher der deutschen Nachkriegsgeschichte. Menschen, die mit der komplexen digitalen und globalisierten Gegenwart nicht zurechtkommen und von Abstiegsängsten geplagt werden, haben seither eine pseudowissenschaftlich untermauerte Erklärung, wer an ihrer Misere schuld ist: die Fremden.

Sarrazin ist durch sein Buch und dessen drei Nachfolgewerke vergleichsweise reich geworden. Seit dem Erscheinen von „Deutschland schafft sich ab“ schaffte es jeder seiner Titel auf Platz eins der „Spiegel“-Bestsellerliste. Auch der sich liberal gebende Medienkonzern Bertelsmann, in dessen Buchsparte die Werke des ehemaligen Berliner Finanzsenators und Bundesbankers erschienen, verdiente blendend.

Sarrazins spezielle Theorie über Juden

Nun aber hat sich Bertelsmann mit Sarrazin überworfen. Sein nächstes Werk „Feindliche Übernahme – Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“ wird im Münchner FinanzBuch Verlag erscheinen, der dem schwedischen Medienkonzern Bonnier gehört. Und das macht die Angelegenheit bemerkenswert. Nicht nur, weil Bonnier stolz auf seine antifaschistische Vergangenheit ist. Auf seinem Online-Portal rühmt sich der Konzern, 1944 „die Anti-Nazi-Zeitung ,Expressen’“ gegründet zu haben. Bonnier gehört der gleichnamigen jüdischen Verlegerfamilie. Gründer des Unternehmens war der 1801 aus Dresden eingewanderte Gutkind Hirschel, der sich später Gerhard Bonnier nannte.

Was Juden angeht, hat Sarrazin eine ganz spezielle Theorie: Sie hätten alle „ein bestimmtes Gen“, sagte er 2010 in einem Interview. Stephan Kramer, bis 2014 Generalsekretär des Zentralverbandes der Juden in Deutschland, stellte daraufhin fest, der Autor sei „einem Rassenwahn“ erlegen. Schon zuvor hatte er Sarrazin einen Rassisten genannt.

Ist das den Schweden egal? Zählt für sie nur die Rendite? Aber vielleicht wissen sie gar nicht, was ihre deutschen Statthalter so treiben. Im FinanzBuch Verlag erscheint auch die Buchreihe von „Tichys Einblick“, jenes Portal mit rechtspopulistischer Schlagseite, das der einst renommierte Wirtschaftsjournalist Roland Tichy verantwortet.

Er legt seinen Lesern das neue Buch seines Bruders im Geiste, das noch gar nicht erschienen ist, wärmstens an Herz. In Verlagskreisen heißt es, Tichy habe Sarrazins Wechsel zum FinanzBuch Verlag mit eingefädelt. Er selbst war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Bertelsmann muss Umgang mit Rechtspopulisten noch lernen

Übrigens haben die Bertelsmänner ihrem Ex-Autor unfreiwillig einen letzten Dienst erwiesen. Um ihn loszuwerden, behaupteten sie, Sarrazin habe sich geweigert, von einem Gutachter klären zu lassen, ob seine Interpretation des Korans in seinem neuen Buch haltbar sei. Das ist, wie sich mittlerweile herausgestellt hat, eine Falschbehauptung.

Sarrazin darf sich nun auf einen üppig bemessenen Schadenersatz freuen. Er fordert einen Betrag in Höhe von 800.000 Euro. Und Verschwörungstheoretiker haben unverhofft neues Material bekommen. Wie man mit Rechtspopulisten umgeht, muss Bertelsmann offenbar noch lernen.