Essen. Thyssen-Krupp erprobt in Rottweil in Baden-Württemberg neue Aufzüge – ohne Seile. Die Technik ist ähnlich wie bei Magnetschwebebahnen.

Hinter der historischen Altstadt von Rottweil ragt eine 246 Meter hohe Stahlsäule in die Höhe. Es ist der Essener Industriekonzern Thyssen-Krupp, der in dem Turm neue Aufzüge testet – manche sogar ohne Seil. Es gehe um eine Neuheit, die das Zeug habe, die Branche von Unternehmen wie Otis, Schindler oder Kone zu revolutionieren, heißt es bei Thyssen-Krupp. In Rottweil will der Revierkonzern den weltweit ersten seillosen und seitwärts fahrenden Aufzug vorstellen.

Das System namens „Multi“ basiert auf der Technologie der Magnetschwebebahn. Die neuen Aufzüge sind vergleichbar mit einem U-Bahn-System im Gebäude. Beim Multi fährt nicht mehr nur eine Kabine pro Schacht auf und ab, stattdessen zirkulieren viele Kabinen unabhängig voneinander im Haus.

„Wir sind durch diese Innovationen nun in der Lage, unsere Industrie voranzubringen und zu transformieren“, sagte Andreas Schierenbeck, der Chef der Aufzugsparte von Thyssen-Krupp, zur „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ)“. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebe in Städten – und der Trend werde sich fortsetzen. Die Zahl der Hochhäuser werde also steigen.

„Technologien für die Zukunft urbaner Mobilität“

Die Multi-Technologie benötige weniger und kleinere Schächte als konventionelle Systeme. Auch Wartezeiten an den Aufzügen will Thyssen-Krupp verringern. Mit Hilfe des Multi können nach Angaben des Unternehmens Transportkapazitäten im Vergleich zu konventionellen Anlagen um bis zu 50 Prozent gesteigert werden.

Andreas Schierenbeck, Vorstandsvorsitzender von Thyssenkrupp Elevator.
Andreas Schierenbeck, Vorstandsvorsitzender von Thyssenkrupp Elevator. © dpa | Patrick Seeger

Mit zwölf Schächten bietet der Turm in Rottweil Möglichkeiten für Tests von Hochgeschwindigkeitsaufzügen, die mit bis zu 18 Metern pro Sekunde unterwegs sind. Für die Erprobung des Multi sind drei Schächte reserviert.

„Eine Reihe von Jahren waren wir eher nicht bekannt für Innovationen“, sagt Thyssen-Krupp-Spartenchef Schierenbeck. „Wir haben dann angefangen, genau zu schauen, welche Technologien für die Zukunft urbaner Mobilität erfolgversprechend sind.“

Kooperation mit Microsoft

So kooperiert Thyssen-Krupp nun unter anderem mit dem US-Softwarekonzern Microsoft. Ziel der Digitalisierung sei es, ein System vorausschauender Wartung zu etablieren, damit Servicetechniker Aufzüge reparieren, bevor diese ausfallen. Durch die Microsoft-Datenbrille Hololens soll der Service effizienter werden.

„Zwei bis vier Prozent unseres jährlichen Umsatzes gehen in Forschung und Entwicklung“, berichtet Schierenbeck. Ungefähr ein Drittel davon fließe in Innovationen, ein Drittel in neue Produkte für bestehende Märkte und ein weiteres Drittel in die Pflege von Altprodukten. Die Entwickler sollen „ausdrücklich auf den ersten Blick verrückte Sachen“ ausprobieren, betont Schierenbeck. „Dabei ist völlig okay, wenn die Hälfte der Projekte wieder eingestellt wird. Aus den anderen 50 Prozent können revolutionäre Entwicklungen wie der Multi entstehen.“

„Bekenntnis zum Standort Baden-Württemberg“

Eine Kabine des neuen Augzufssystems „Multi“.
Eine Kabine des neuen Augzufssystems „Multi“. © dpa | Patrick Seeger

Thyssen-Krupp hat sich für Baden-Württemberg und nicht etwa für einen Ort am Konzernsitz in Essen als Standort für den Testturm entschieden, weil sich in der Nähe von Rottweil das konzerneigene Aufzugswerk in Neuhausen befindet. Auch die Einbindung in den „Hightech-Gürtel rund um Stuttgart“ und die politische Unterstützung vor Ort seien ausschlaggebend gewesen, wird im Konzern betont. Das mehr als 40 Millionen Euro schwere Projekt sei „ein klares Bekenntnis zum Forschungs- und Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg“, erklärt Thyssen-Krupp.

Die Aufzugsparte hat innerhalb des Essener Industriekonzerns eine besondere Bedeutung. Derzeit arbeiten weltweit mehr als 50 000 Beschäftigte von Thyssen-Krupp in diesem Bereich – etwa jeder dritte Mitarbeiter des Konzerns. Zum Vergleich: In der Stahlsparte beschäftigt Thyssen-Krupp rund 27 000 Menschen. Im vergangenen Geschäftsjahr trug die Aufzugsparte mit einem operativen Ergebnis von 860 Millionen Euro zuletzt weit mehr als die Hälfte zum Konzerngewinn bei.

• Dieser Text ist zuerst bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung erschienen