Berlin. Den Airport Tegel weiterbetreiben? Der Präsident des Flughafenverbands, Michael Garvens, führt einige Argumente dagegen ins Feld.

Das Geschäft der deutschen Flughäfen befindet sich im Umbruch. Die Billigflieger werden immer dominanter. Michael Garvens, Chef des Flughafens Köln/Bonn, fordert in seinem Amt als Präsident des deutschen Flughafenverbands ADV von der Politik daher weniger Regulierungen für die Branche.

Herr Garvens, wie geht es Deutschlands Flughäfen derzeit?

Michael Garvens: Wir erwarten in diesem Jahr ein Plus von rund drei Prozent sowohl im Passagier- als auch im Frachtverkehr. Grundlage dieses verhaltenen Wachstums sind die guten wirtschaftlichen Perspektiven. Allerdings sollten wir uns nicht täuschen lassen. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern hinken wir ein Stück weit hinterher. Dort sind die Zuwächse seit Jahren deutlich größer. Zum fünften Mal hintereinander liegt das Wachstum der Reisenden unter dem europäischen Durchschnitt.

Warum?

Deutsche Flughäfen verlieren an internationaler Vernetzung. Konnektivität, also Verbindungen in der Langstrecke gehen verloren. Der Rückgang bei den für die globale Vernetzung Deutschlands wichtigen interkontinentalen Strecken ist ein Alarmzeichen für den Wirtschaftsstandort. Konkurrierende europäische Luftverkehrsstandorte legen im Interkontinentalverkehr teilweise deutlich zu. Unsere Analysen zeigen, dass ausländische Airlines im Vergleich zu deutschen Airlines fast doppelt so viele neue Strecken in den Markt einbringen.

Also liegt es vor allem an Lufthansa und Air Berlin?

Ja und nein. Nicht nur die deutschen Flughäfen, auch die heimischen Fluglinien verlieren Marktanteile. Weitere Langstreckenverbindungen an den deutschen Flughäfen werden nur angeboten, wenn deutsche Fluggesellschaften sich wettbewerbsstark aufstellen können und gleichzeitig den ausländischen Airlines Verkehrsrechte gewährt werden. Eine Politik, die unseren heimischen Airlines durch Steuern und Regulierungen Mühlsteine um den Hals legt und für Airlines aus Drittstaaten die Märkte abschottet, verfehlt ihre Ziele.

Schottet sich der deutsche Flugmarkt ernsthaft ab?

Lassen Sie mich die Frage umformulieren: Könnte Deutschland mehr Wettbewerb vertragen? Ja, das könnten wir. Nach meinem Grundverständnis gehört eine liberale Marktentwicklung mit nachfragegerechten Anpassungen und Weiterentwicklungen dazu. Wir brauchen eine Mobilitätsagenda für die Zukunft. Davon profitieren Reisende und Regionen.

Easyjet, Norwegian und vor allem Ryanair drängen weiter nach Deutschland. Was bedeutet das für die deutschen Flughäfen?

Wir beobachten diese Entwicklung seit Jahren. Und sie wird sich noch verstärken. Am Flughafen von Manchester beispielsweise, in der Größe vergleichbar mit Düsseldorf, sehen sie kaum noch die alten, klassischen europäischen Fluglinien wie British Airways. An vielen deutschen Flughäfen wird es bald ähnlich aussehen. Die Lufthansa wird sich auf ihre wichtigen Drehkreuze Frankfurt und München konzentrieren. Die anderen Airports werden von Low-Cost-Carriers dominiert sein.

Wobei gerade Ryanair auf dem Frankfurter Flughafen landen will.

Auch die großen Flughäfen wollen wachsen. Da kommen sie an dem Angebot der Low-Cost-Carriers nicht vorbei. Hinzu kommt ein weiterer Trend: Auf der Langstrecke wird es bald schon viel mehr Angebote von Billig-Airlines geben als heute. Und Deutschland ist ein attraktiver Markt. Die Deutschen sind innerhalb der EU mit Abstand die preissensibelsten Kunden. Gleichzeitig nimmt die Markenloyalität ab. Bei meinen Eltern hieß es noch: Wir fliegen Lufthansa und nichts anderes. Heute sprechen wir vom multioptionalen Verbraucher, der morgens bei einem Discounter seinen Champagner für 13 Euro kauft und abends für 500 Euro beim Edel-Italiener diniert. Die Luftfahrtbranche ist auch deswegen kolossal im Umbruch.

Verdient ein Flughafen am Billigflieger weniger als an einer klassischen Fluggesellschaft wie Lufthansa oder Air France?

Die Gebühren für An- und Abflug sind für alle gleich – ob Lufthansa oder Low-Cost-Carrier. Aber es gibt weitere Gebühren, an denen etwa Ryanair spart. Check-in und Gepäck: Der Prozess der Ent- und Beladung eines Ryanair-Fliegers ist mit weniger Aufwand verbunden als bei einer Lufthansa-Maschine. So kann man bei der Abfertigung insgesamt Geld sparen.

Besonders für Berlin und Düsseldorf ist Air Berlin enorm wichtig. Was halten Sie von einer möglichen Übernahme der Krisen-Airline durch Lufthansa?

Air Berlin schätze ich sehr. Die Airline ist ein wichtiger Faktor für die deutschen Flughäfen. Die Marke Air Berlin ist immer noch gut. Hinter ihr stehen 8000 Mitarbeiter. Wir haben großes Interesse daran, dass die Fluglinie gerettet wird. Ob dies durch staatliche Hilfen geschieht oder die Marke in der Eurowings aufgeht, bleibt abzuwarten. Das Zweite halte ich allerdings für wahrscheinlicher. In dem Fall würde die Marktmacht von Lufthansa gegenüber den Flughäfen, aber auch gegenüber den Passagieren weiter steigen. Also, ein weiterer Grund für eine Marktöffnung ausländischer Airlines.

Bei der Planung des BER ging man davon aus, dass Air Berlin den neuen Flughafen als Drehkreuz nutzen wird. Das ist nun Geschichte – aber längst nicht das entscheidende Problem des Airports.

Ich verrate wohl kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass der BER ein wichtiges Projekt ist, bei dem viele Dinge schiefgelaufen sind. Die Presse ist voll davon. Dennoch: Eine Hauptstadt braucht einen Drehkreuzflughafen. Welche Airline Berlin als Heimatflughafen nutzt, wird man dann schon sehen. Dass Berlin immer noch anstrebt, dauerhaft nur einen Flughafen zu betreiben, ist nachvollziehbar. Doppelstrukturen sind teuer. Zudem würde eine Doppelstruktur, sprich Berlin hätte den BER und Tegel, alles verkomplizieren. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Passagiere wollen kurze Umsteigezeiten und nicht noch quer durch die City fahren, um den Flughafen zu wechseln.

Denkbar, dass Tegel offen bleibt und Berlin am Ende zwei Flughäfen betreibt?

In Tegel sind die Kapazitätsgrenzen mehr als ausgelastet. Wir beobachten die politische Initiative, Tegel offen zu halten, mit Spannung. In Düsseldorf und München beispielsweise kämpft man für Kapazitätserweiterungen am jeweiligen bestehenden Standort, und in Berlin scheint eine Vielzahl an Bürgern einen ganzen Flughafen mehr zu wollen. Dennoch: Wenn der Volksentscheid erfolgreich ist und Tegel wirklich offen bleiben soll, kommt das Thema Schallschutz noch einmal auf die Agenda. Dann müsste man den gesamten Berliner Norden mit Schallschutz versehen. Und man müsste in den Flughafen kräftig investieren. Wer soll das zahlen?

Ihre Prognose?

Ein Flughafen arbeitet mit Prognosen, wenn es um Passagier- oder Cargowachstum geht. Politische Entscheidungen zu prognostizieren ist gefährlich. Für September 2017 ist der Volksentscheid geplant – danach müssen die Gesellschafter entscheiden. Aber wie gesagt, wirtschaftlicher ist es, Tegel zu schließen. Auch wenn ich verstehen kann, dass die Berliner ihren Flughafen Tegel sehr lieben.