Berlin . Lebensmittelkonzerne setzen zunehmend auf alternative Süßungsmittel. Neue Ersatzstoffe aus den USA fluten nun den europäischen Markt.

Lebensmitteltechnologen lieben Zucker. Sie rühren ihn nicht nur in Eis, Kuchen, Schokolade, sondern auch in Fleischsalat, Joghurt, Tiefkühlpizza. Doch nun gerät die Zuckerindus­trie unter Druck. Weil er der Gesundheit schadet, suchen Lebensmittelhersteller Alternativen für den Süßstoff. Und billiger Zuckersirup aus Mais, genannt Isoglukose, macht dem Zucker zunehmend Konkurrenz.

Noch werden weltweit rund 160 Millionen Tonnen Zucker im Jahr aus Zuckerrohr und Zuckerrüben produziert. Schlechte Ernten und schwankende Preise haben dem schätzungsweise rund 75 Milliarden Dollar schweren globalen Zuckermarkt zwar immer wieder zu schaffen gemacht. Der Verbrauch sei bislang aber Jahr für Jahr um bis zu vier Prozent gestiegen, sagt Udo Kienle, Agrarwissenschaftler an der Universität Hohenheim. Die wachsende Weltbevölkerung und die aufstrebende Mittelschicht Chinas kurbeln den Absatz zusätzlich an.

Nestlé hat den Zuckerzusatz um acht Prozent gemindert

Foodwatch fordert Abgabe auf zuckerhaltige Getränke

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    Doch der Markt ist unter Druck. Die großen Nahrungsmittelproduzenten versprechen, den Verbrauch des süßen Stoffs zu mindern. Nestlé, der größte Lebensmittelhersteller der Welt, erklärte, man teile die öffentliche Besorgnis darüber, dass Gesundheitsrisiken mit dem Zusatz von Zuckern in Lebensmitteln, wie Zuckerkonzentraten, Honig, Sirup und Fruchtzucker, in Verbindung gebracht werden.

    Der Konzern gibt an, von 2014 bis Ende 2016 weltweit „die Menge an zugesetztem Zucker um 39.000 Tonnen beziehungsweise acht Prozent gemindert“ zu haben. Für Europa hat sich der Konzern ein weiteres Ziel gesetzt: Dort soll der Verbrauch bis zum Jahr 2020 um 18.000 Tonnen verringert werden, das heißt insgesamt um fünf Prozent. Die Forscher von Nestlé wollen außerdem einen Weg gefunden haben, die Struktur von Zucker so zu verändern, dass er sich schneller im Mund auflöst. Heißt: Für gleiche Süße ist weniger Zucker nötig.

    Coca Cola setzt auf andere Süßstoffe

    Andere Konzerne setzen auf süßen Ersatz, der im Labor gewonnen wird. Darunter Stoffe wie Aspartam, Erythrit oder Xylitol. So hat auch Limo-Gigant Coca Cola, der 1983 Furore machte mit der Coca Cola light, seine Rezepturen im Laufe der Jahre verändert. Man habe in den vergangenen zehn Jahren in Westeuropa 96.000 Tonnen Zucker eingespart und bis 2020 solle in der gesamten Europäischen Union „der Anteil an zugesetztem Zucker in den Erfrischungsgetränken um weitere zehn Prozent schrumpfen.“

    In Deutschland macht der Konzern nach eigenen Angaben mittlerweile allein zehn Prozent seines Umsatzes mit Mineralwasser, 70 Prozent allerdings weiterhin mit klassischen Limonaden wie Cola, Fanta, Sprite. Laut Stiftung Warentest enthält eine Coca Cola Classic pro 0,5 Liter noch immer eine Menge an Zucker vergleichbar mit 17 Stück Würfelzucker.

    Ab Oktober dieses Jahres darf Isoglukose in Europa frei gehandelt werden

    „Die Versprechen der Unternehmen sind richtig, reichen werden sie aber nicht“, sagt Kienle. Die Weltgesundheitsorganisation hat Ende des vergangenen Jahres alle Regierungen der Welt aufgerufen, Steuern auf zuckrige Getränke zu erheben. Mexiko, wo die Bevölkerung massiv von Übergewicht betroffen ist, hat aber bereits im Jahr 2014 eine zehnprozentige Steuer auf zuckerhaltige Getränke eingeführt. Der Umsatz der Produkte sank innerhalb eines Jahres um zwölf Prozent. Die Industrie – allein in Europa gibt es knapp 300.000 Hersteller von Lebensmitteln und Getränken – wird also wohl weiter an ihren Rezepturen arbeiten.

    Die Zuckerhersteller haben jedoch noch ein weiteres Problem: Isoglukose. Ab Oktober dieses Jahres darf dieser Sirup in Europa frei gehandelt werden. In den USA sitzen die bedeutendsten Maissirup-Hersteller. Der Stoff ist bis zu 40 Prozent billiger als andere Süßstoffe. Bislang war die Einfuhr zum Schutz der europäischen Rübenbauern stark beschränkt.

    „Experten, unter anderem der EU-Kommission, schätzen, dass bis zu 40 Prozent des verbrauchten Zuckers in Europa durch Isoglukose ersetzt wird“, meint Kienle. Die Rübenbauern müssten sich nun stärker „an den Gegebenheiten des Marktes orientieren“, sagt Günter Tissen, der Geschäftsführer der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker. Man sei gut vorbereitet. Einige Unternehmen planten, ihre Produktion auszuweiten und etwa den heimischen Rübenzucker zu exportieren. Kienle warnt, der Sirup berge Gesundheitsrisiken. Der flüssige Sirup enthalte einen hohen Fruchtzuckeranteil – das mache schnell fett.