Frankfurt/Main. Die Folgen des EU-Austritts Großbritanniens: Deutschland hat gute Chancen, Standort für die europäische Aufsichtsbehörden zu werden.

Wird Frankfurt zum Gewinner des Brexit? Fast ein Jahr nach dem Referendum der Briten zum Austritt aus der EU sind die Aussichten für Deutschlands Finanzmetropole nicht schlecht. Es geht darum, wo die Abwicklung von auf Euro lautenden Finanzgeschäften, das Euroclearing, künftig angesiedelt ist; wo die Europäische Bankenaufsicht EBA arbeitet und um Europazentralen großer ausländischer Banken. Bisher heißt der Standort jeweils London.

„Das Euroclearing ist die zentrale Frage“, glaubt Hubertus Väth, Geschäftsführer der Lobbyvereinigung Frankfurt Main Finance, in der sich das Land Hessen, die Stadt Frankfurt, Banken, die Deutsche Börse, Wissenschaft und Dienstleister zusammengeschlossen haben.

Wird Großbritannien EU-Regulierung weiter zulassen?

Täglich werden da Handelsgeschäfte im Volumen von etwa einer halben Billion Euro abgewickelt. Die Bedeutung dieses Geschäfts erkennen inzwischen auch die Politiker, die sich lange mit öffentlichen Forderungen zurückgehalten hatten. Dabei geht es vor allem um die Durchgriffsrechte der Aufsichtsbehörden. Selbst wenn in London europäisches Recht für das Clearing anerkannt würde, ist fraglich, ob die Briten der EU die Regulierung britischer, nach dem Brexit also von Nicht-EU-Firmen gestattet.

Das Clearing-Geschäft habe zentrale Bedeutung für die Finanzmarktstabilität, sagt Väth. Nach Ansicht von Michael Meister, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, sollte es aus London abgezogen werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) diskutiert darüber am 21. Juni.

Standortverlagerung brächte Frankfurt Tausende Arbeitsplätze

Sollte auch die Notenbank für eine Ansiedlung des Geschäfts im Euro-Raum plädieren, habe Frankfurt als Standort eine gute Ausgangsposition, sagt Väth. Denn es gebe mit der Eurex Clearing am Standort schon eine Institution, die sowohl über die Technologie als auch über die Lizenzen verfüge. Eine Standortverlagerung brächte „Tausende Arbeitsplätze“, glaubt der Geschäftsführer von Frankfurt Main Finance.

Auch für die Übersiedlung der Bankenaufsicht EBA sind die Chancen Frankfurts gut. Mitte dieser Woche erst bekräftigte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei den deutschen Volks- und Raiffeisenbanken den Anspruch Deutschlands auf die europäische Behörde, die 189 Mitarbeiter beschäftigt. Für deren Umzug nach Frankfurt spricht auch die Nähe zur EZB – immer noch gibt es ja Überlegungen, die beiden Teile der Bankenaufsicht zusammenzufügen. Die EBA ist für die Regeln, die EZB für die direkte Aufsicht zuständig.

Die Chancen stehen nicht schlecht, denn die Auswahlkriterien, nach denen die Europäische Union den neuen Standort wahrscheinlich bewerten wird, kommen Frankfurt entgegen. Da wird etwa die gute Erreichbarkeit genannt – der Rhein-Main-Flughafen ist schnell zu erreichen – oder die erforderlichen Immobilien. Die biete die Stadt, sagt Väth von der Lobbyvereinigung. 300.000 Quadratmeter Bürofläche seien in Entwicklung, 20 neue Hochhäuser sollen in den nächsten fünf Jahren entstehen, sechs davon schon bis 2020. Wohnraum werde auch geschaffen, weil die Stadt mit einem Wachstum um 15.000 bis 20.000 Menschen pro Jahr rechne. 10.000 Banker, so erwartet man, würden allein bis 2022 kommen.

Einige Banken wechseln von London nach Deutschland

Denn inzwischen haben sich einige Banken entschieden, ihre Europa-Zentrale an den Main zu verlegen. Außereuropäische Banken benötigen einen EU-Pass, damit sie Geschäfte innerhalb der EU tätigen können. Frankfurt konkurriert dabei mit Dublin, Paris und Amsterdam. Klar ist bisher schon, dass die US-Banken JP Morgan und Goldman Sachs ihre Präsenz am Main ausbauen, auch die Silicon Valley Bank hat sich für Frankfurt entschieden. Die russische VTB will sich hier ansiedeln, die koreanische Woori-Bank, die bisher noch nicht in Europa aktiv war, auch, ebenso die britische Standard Chartered. Zwei japanische Banken denken ebenfalls über den Standort Frankfurt nach.