Berlin. Wie sieht die Zukunft der Bringdienste aus? Delivery-Hero-Chef Östberg über Datenanalyse und 3D-Brillen, Wettbewerb und Börsengang.

Feierabend. Jetzt noch 30 Minuten Heimfahrt. Da meldet sich das Smartphone: „Wie wäre es heute Abend mit einem Burger, medium, extra Salat, Pommes und ein mexikanisches Bier? Danach rote Grütze?“ fragt die App. Einmal tippen, und mit der Ankunft zu Hause liefert auch der Bringdienst.

So könnte die nahe Zukunft aussehen. Dabei muss es nicht immer Burger sein, möglicherweise schlägt die App je nach Wetter auch Sushi vom Edel-Japaner, Quallen-Carpaccio vom Chinesen oder Steak vor – was die Restaurants der Umgebung halt anbieten. „Das Programm wird uns immer besser kennen“, sagt Niklas Östberg. Und es lerne mit jeder Bestellung dazu.

Delivery Hero, der große Bruder von Lieferheld.
Delivery Hero, der große Bruder von Lieferheld. © Delivery Hero | Delivery Hero

Östberg ist Mitgründer, Miteigentümer und Chef von Delivery Hero, nach eigenen Angaben der größte Bringdienstvermittler der Welt. Zuletzt rund 300 Millionen Euro Umsatz, 5000 Mitarbeiter, dazu etwa 7000 Radfahrer. Und derzeit einer der heißesten Kandidaten für einen großen deutschen Börsengang in diesem Jahr – angeblich sogar noch im Juli.

Delivery Hero ist nach dem Geschmack vieler Anleger: enormes Wachstum seit Gründung vor sechs Jahren (46 Prozent Plus bei den Bestellungen allein im ersten Quartal), weltweit tätig, ein smarter Chef mit einer klaren Vorstellung und ein Milliarden-Markt, der erst am Anfang steht.

„Nicht zehn Minuten grübeln, was ich essen will“

Östbergs Unternehmen lebt davon, dass der Mensch bequem ist – auch beim Essen. Delivery Hero vermittelt Speisen über seine verschiedenen Plattformen, aus Sicht des Chefs arbeitet es im Prinzip auch daran, das Leben einfacher zu machen. Genauer: „Warum soll ich darüber nachdenken, mir jeden Tag Essen zu kochen?“ fragt Östberg. Und: „Ich will nicht zehn Minuten grübeln, was ich essen will.“ Hier könnte künftig die selbst lernende Bringdienst-App helfen.

Das ist ziemlich weit vom klassischen Anruf beim Italiener um die Ecke entfernt, der dann nach 45 Minuten eine Pizza Hawaii liefert. Dennoch: „Es ist sehr schwer, die genaue Entwicklung vorherzusagen“, behauptet Östberg. Klar ist nur: Es wird immer mehr Geräte geben, die sich untereinander verstehen. Und: Wir hinterlassen in sozialen Netzen, Mailprogrammen, Terminplanern enorme Datenmengen, die die Bestell-App von morgen intelligent analysieren kann.

Per 3D-Brille schon mal das Restaurant ansehen

Sie könnte also nicht nur Abendessen nach Feierabend vorschlagen, sondern auch 45 Minuten vor einer Besprechung anfragen, ob man Essen dafür bestellen wolle – etwa je nach Tageszeit unterschiedlich. Für Östberg steckt in diesen Daten vor allem eins: Die Möglichkeit, besseren Service anzubieten, was im umkämpften Lieferdienstmarkt den Unterschied macht. Die Basis ist gigantisch, bereits heute hat das Unternehmen etwa 20 Millionen aktive Kunden.

Daten sind das eine, neue Technik das andere. Delivery Hero experimentiert etwa mit Virtual Reality. Die Idee: Hat der Kunde zu Hause eine der entsprechenden Brillen, etwa von Samsung oder Google, kann er sich dann das Restaurant von innen ansehen, in dem er dann möglicherweise Essen nach Hause bestellt.

Über vieles, was es in fünf oder zehn Jahren geben wird, lässt sich nur spekulieren. „Wenn es autonomes Fahren gibt, warum sollte nicht auch Essen autonom geliefert werden?“ fragt Östberg. Anfang Mai hat das Unternehmen den ersten Roboter-Lieferservice in Hamburg gestartet – allerdings muss die kleine fahrende Kiste noch von einem Menschen begleitet werden.

Essensbestellung per Klick im Netz

Delivery Hero bietet unter anderem den Internetdienst lieferheld.de, über den Kunden Essen bestellen können.
Delivery Hero bietet unter anderem den Internetdienst lieferheld.de, über den Kunden Essen bestellen können. © imago/Schöning | imago stock&people

Der vergleichsweise junge Markt wandelt sich beständig. Und neben Delivery Hero suchen andere Anbieter nach Geschäft, etwa die niederländische Takeaway-Gruppe mit Lieferando, Nummer zwei in Deutschland. Das Grundmodell ist einfach: Delivery Hero bietet einen Internetdienst, in Deutschland etwa Lieferheld und pizza.de, über den hungrige Kunden Essen bestellen können. Das jeweilige Restaurant liefert dann.

Delivery Hero bekommt für die Vermittlung eine Gebühr. So läuft es in mehr als 40 Ländern weltweit, vor allem in Europa, im Nahen Osten und in Asien. Das ist allerdings nur ein Teil des Geschäftsmodells. Seit September 2015 liefert Delivery Hero über das Tochterunternehmen Foodora auch Essen per Rad aus – von Restaurants, die bisher keinen Bringdienst hatten.

Foodora wächst bei schrumpfenden Verlusten

Die klassische Vermittlung, die etwa 90 Prozent des Geschäfts ausmacht, ist seit 2016 profitabel, der Gesamtkonzern aber nicht. Das liegt vor allem an Foodora. Die Tochter kostet Geld, viel Geld. Genaue Zahlen will Östberg nicht nennen. „Foodora ist erst rund zwei Jahre alt“, sagt Östberg. „Da ist es ganz natürlich, dass wir noch nicht profitabel sind. Die Entwicklung aber laufe nach Plan, „wir wachsen kräftig bei gleichzeitig sinkenden Verlusten.“ Eine klassische Start-up-Geschichte.

Foodora – einer der vielen Lieferdienste.
Foodora – einer der vielen Lieferdienste. © imago/Christian Mang | Christian Mang

Zudem ist der Markt umkämpft. Bei Lieferdiensten konkurriert Foodora unter anderem in Deutschland mit Deliveroo. Die Londoner arbeiten im selben Segment und sind weniger als halb so groß wie Foodora. Wer von beiden überlebt? „Ich bin zuversichtlich, dass wir das auf dem Wettbewerbsweg lösen können“, sagt Östberg. „Wir wollen in erster Linie organisch wachsen. Zukäufe ziehen wir dann in Betracht, wenn der Preis sehr gut ist.“

Gewinn ist nicht so wichtig wie eine gute Story

Für Östberg ist Gewinn ohnehin nicht so wichtig. Zumindest nicht so wichtig, wie eine gute Geschichte, die er den Investoren erzählen kann. Von Wachstum, neuen Märkten, kreativen Ideen. Und immer die Frage: „Sind wir aus Sicht des Nutzers gut genug?“ Denn wenn nicht, gerät das Unternehmen womöglich schnell ins Hintertreffen.

Östberg sieht Delivery Hero in einer guten Position: Der Markt, auf dem das Unternehmen tätig ist, entwickelt sich auch dank der Ideen des Unternehmens erst. Die Chancen scheinen enorm. Östbergs grobe Rechnung: Der globale Essensmarkt habe ein Volumen von 7,5 Billionen Euro, 563 Milliarden Euro davon entfielen auf Restaurants, etwa 72 Milliarden Euro davon machen dabei Bringdienste aus – in den Märkten, in denen Östbergs Unternehmen tätig ist.

Delivery Hero bewege 2017 wohl 2,5 bis drei Milliarden Euro Bestellwert, sagt der Firmenchef. „Da sind noch 70 Milliarden, die wir nicht bewegen.“ Zudem könne man mit besserem Service noch mehr Kunden dazu bringen, Essen im Restaurant zu bestellen und sich liefern zu lassen.

Burger von McDonald’s werden auch vermittelt

Zuletzt hatte sich das Unternehmen vom britischen Geschäft getrennt, weil die Konkurrenz übermächtig war, mit Foodpanda vom Firmenentwickler Rocket Internet vor allem in Asien und im nahen Osten zugekauft. In Polen hat sich das Unternehmen mit Amrest, dem größten Betreiber von Pizza Hut und Kentucky Fried Chicken zusammengetan.

Auch in Deutschland lassen sich über die Delivery-Hero-Angebote inzwischen Burger von Burger King und McDonald’s bestellen. Das meiste Geschäft machen die Bestellplattformen aber mit einzelnen Restaurants. Deutschland macht etwa ein Zehntel des Gesamtgeschäfts aus.

Kommt der Börsengang jetzt doch?

Für Zukäufe und Wachstum braucht das Unternehmen frisches Geld, wie es über einen Börsengang hereinkommen könnte. Am 12. Mai steckte allerdings erst einmal das südafrikanische Technologie- und Infrastruktur-Investor Naspers 387 Millionen Euro in die Berliner. Delivery Hero soll dadurch nun mit rund 3,5 Milliarden Euro bewertet sein.

Der Anteil von Rocket Internet, bisher größter Anteilseigner, schrumpfte auf rund 33 Prozent. Also doch kein Börsengang in diesem Jahr? „Wir dürfen nicht darüber sprechen“, sagt Östberg. „Aber wir sind an dem Punkt, dass wir einfach den Knopf dafür drücken können.“